Gesundheit

„Am wenigsten profitieren die kranken Patienten“

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Eine elektronische Patientenakte (ePA) erhalten ab Januar 2025 alle gesetzlich Krankenversicherten – wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen. Sie wird als wichtiges Instrument zur Verbesserung der medizinischen Versorgung gepriesen, birgt aber gravierende Schwächen und Risiken.

Interview mit Dr. Andreas Meißner

 

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Meißner, welche Vorteile soll denn die elektronische Patientenakte (ePA) bringen?

Dr. Andreas Meißner: Alle Befunde an einem Ort, auch Medikationsplan und Impfpass, das ist grundsätzlich schon gut. So sollen Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Doppeluntersuchungen vermieden werden.

Und wo liegt das Problem?

Der Preis für solch eine zentrale Sammlung sensibler Daten auf Servern privater Firmen ist hoch. Heute sicher verschlüsselte Daten sind im Gesundheitsbereich auch noch wertvoll, wenn sie in 10 Jahren geknackt werden. Mit Quantencomputer- und KI-Entwicklung wird Datensicherheit sowieso schwierig werden. Auch garantiert niemand die Vollständigkeit der Daten. Es können Fehldiagnosen dabei sein. Die Datenpflege ist nicht geregelt. Und ob jemand die verzeichneten Medikamente auch wirklich genommen hat, ist ebenfalls nicht klar. Über das Ausmaß an Doppeluntersuchungen gibt es keine Studien, aber oft sind sie sogar nötig, etwa kurz vor Operationen oder als Zweitmeinung. Und Wechselwirkungen können wir längst mit anderen Tools prüfen. Das ganze IT-Projekt kostet bisher schon an die 10 Mrd. Euro, während wir gleichzeitig schon wieder über Leistungskürzungen für gesetzlich Versicherte und höhere Beiträge diskutieren. Und aus ökologischer Sicht ist zu kritisieren, dass die Cloudspeicherung sehr viel Energie verbraucht.

Wieso findet das Thema bislang so wenig öffentliche Aufmerksamkeit?

Es ist zu komplex, technisch und abstrakt. Selbst Journalisten meiden es daher. Zudem haben Medien im Digitalisierungsbereich manchmal auch eigene wirtschaftliche Interessen und veröffentlichen deshalb keine kritischen Meinungen dazu. Die Bürger sind von all dem völlig überfordert, leiden – wie aktuelle Studien zeigen – zunehmend an digitaler Erschöpfung, durchaus auch jüngere Bürger. Und mit Krankheit, Schmerz und Leid befasst man sich sowieso nicht gern. Da mag es sogar als angenehm erscheinen, wenn einem die Sammlung der Daten dazu abgenommen wird. Dabei ist kaum bekannt, wie schnell und automatisch die Daten aus der Praxis in die ePA fließen. Und von dort weiter an ein Forschungsdatenzentrum sowie in den Europäischen Gesundheitsdatenraum. All dem muss extra widersprochen werden, was sehr leicht übersehen wird.

Wer sind die treibenden Kräfte hinter diesem Vorhaben?

Die Politik will im internationalen Wettbewerb mithalten können. Ökonomische Aspekte spielen dabei eine große Rolle. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa hat im Zusammenhang mit den dazugehörigen Gesetzen die Standortsicherung für die Pharmaindustrie betont. Mit den Daten lässt sich leichter personalisiertes Marketing für neue Produkte betreiben. Die Krankenkassen selbst dürfen zwar nicht in die ePA schauen, dürfen aber über die Abrechnungsdaten aus den Praxen jetzt Patienten auf etwaig bisher übersehene Krankheiten aufmerksam machen. Auch Forscher sollen solche Rückmeldungen geben können, wenn ihnen in den Daten etwas auffällt. Die sind ja nur pseudonymisiert, also nur Name durch Nummer ersetzt, und können leicht auf die Person hin rekonstruiert werden.

Wer würde von einer ePA am meisten profitieren?

Am wenigsten die schwer und chronisch kranken Patienten, zumal wenn sie sich vielleicht nicht die neuesten Mobilgeräte leisten können, um die ePA im vollen Umfang selbst zu bedienen. Leider ist es immer noch so, dass arm zu sein, eher krank macht, reich zu sein, eher gesund. Hier wäre, wie in anderen Präventionsbereichen, dringender anzusetzen. Am meisten profitieren Ökonomie und Politik. Die Vorgaben kommen entsprechend auch von dieser Seite. In den Praxen sehen wir bisher eher Mehraufwand und gebremste Abläufe.

Was sollte getan werden?

Zu empfehlen ist, der Einrichtung der elektronischen Patientenakte grundsätzlich zu widersprechen. Infos dazu gibt es auf der Onlineplattform widerspruch-epa.de. Im Herbst kommen die Infoschreiben der Krankenkassen zum Opt-out der ePA mit Aufklärung über die Widerspruchsmöglichkeiten. Die sollten ganz genau gelesen werden!

Herr Dr. Meißner, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Andreas Meißner
Die elektronische Patientenakte – Das Ende der Schweigepflicht
Für Risiken und Nebenwirkungen übernimmt niemand die Verantwortung
Westend, Mai 2024
72 Seiten, 10.00 Euro
978-3-86489-472-5

Franz Bartmann contra Andreas Meißner
Digitalisierte Gesundheit
Streitfrage
Westend, September 2022
112 Seiten, 14.00 Euro
978-3-86489-351-3

Andreas Meißner
Mensch, was nun?
Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen
oekom, Juli 2017
328 Seiten, 23.00 Euro
978-3-86581-847-8


Onlinetipps

Patientenrechte und Datenschutz e. V.
Widerspruch gegen die elektronische Patientenakte (ePA)
Onlineplattform, 2024
www.widerspruch-epa.de

Interview mit Andreas Meißner
„E-Patientenakte läutet Ende der Schweigepflicht ein“
Heise, 06.06.2024
www.t1p.de/tzi61

Interview mit Andreas Meißner
„Mit der elektronischen Patientenakte wird keine gute Arzt-Patient-Beziehung entstehen“
Overton, 05.06.2024
www.t1p.de/5sjg9


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