Geist, bitte bleib!
17. Mai 2024
Von der deutschen Dichterin Gertrud von Le Fort (1876–1971) gibt es eine sehr schöne Zeile, die mich seit vielen Jahrzehnten begleitet: „Überall, wo einer auszieht, da zieht ein anderer ein, und jeden Ort, welchen die Liebe verlässt, den gewinnt der Hass.“
Da wir wieder einmal Pfingsten, mein Lieblingsfest, feiern, möchte ich das Gedicht für eine Frage abwandeln: „Wenn Geist ausziehen würde, was zöge dann ein?“ Es gibt da wohl verschiedene Möglichkeiten. Das Gegenteil von „Geist“ ist gar nicht so leicht zu finden. Ist es der Ungeist? Ist es der schnöde Materialismus? Ist es die Denkfaulheit? Oder gar die Resignation?
Vor all diesen Möglichkeiten graut mir. Deshalb wünsche ich mir zum Pfingstfest 2024: Begeisterung! Geistvolle Herangehensweisen an alle unsere Probleme und Fragen – das wäre pfingstlich.
Wenn aber die Tiefendimension unserer Existenz keine Rolle mehr spielen darf, weil das Haben und Anhäufen von Dingen angeblich schon genug Lebenssinn vermittelt – dann zieht der Geist aus. Wenn Nachdenklichkeit und Differenzierung durch oberflächliche und vor allem schnelle Urteile ersetzt werden, weil man sonst zu wenig Klicks bekommt – dann zieht der Geist aus. Wenn man sich nicht mehr müht, die Folgen seiner Handlungen und Absichten zu bedenken, weil das den Erfolg am Markt schmälern könnte – dann zieht der Geist aus.
Es gilt: Überall, wo einer auszieht, da zieht ein anderer ein … Die möglichen „Nachmieter“ des Geistes sind mir allesamt nicht geheuer. Wir sollten uns deshalb bemühen, dem Geist eine gute Umgebung zu schaffen, damit er Lust hat zu bleiben.