„Je näher am Mast, desto weniger Insekten“
15. Mai 2023
Bis zu 2 % der deutschen Bevölkerung sind elektrohypersensibel. Sie leiden bei Mobilfunkstrahlung unter Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Forschung dazu gibt es kaum. Die Langzeitfolgen für die menschliche Gesundheit sind unklar. Noch unklarer sind die Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung auf die Tierwelt.
Interview mit Peter Hensinger
ÖkologiePolitik: Herr Hensinger, gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilfunkstrahlung und Artensterben?
Peter Hensinger: Es deutet viel darauf hin. Vor ein paar Monaten erschien wieder einmal eine wissenschaftliche Studie, eine Meta-Studie, die 127 Studien auswertete. Sie kommt zum Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen Insektensterben und Mobilfunk sehr wahrscheinlich ist. Denn Mobilfunkstrahlung wirkt sich negativ auf die Körperfunktionen, die Orientierung, die Nahrungssuche und die Fortpflanzung aus. Sie schädigt die DNA, erzeugt Zellstress und verändert das Verhalten. Die Studie wurde im Auftrag des Schweizer Bundesamts für Umwelt von Wissenschaftlern der Universität Neuchâtel erstellt und von ihm veröffentlicht.
Wie wurde bei den Untersuchungen vorgegangen?
Es gab vor allem Versuche im Labor. Aussagekräftige Feldversuche gibt es noch zu wenige. Aber der fehlende endgültige Nachweis einer Wirkung beweist ja nicht, dass die Wirkung nicht da ist. Das betont die Schweizer Studie und fordert deshalb dringend weitere Feldstudien. Da unterscheidet sich die Schweiz von deutschen Behörden, für die Nicht-Wissen bzw. Noch-Nicht-Wissen ein ausreichender Grund für Entwarnung und Untätigkeit ist. Dabei kann von Nicht-Wissen eigentlich kaum die Rede sein, denn es gibt Hunderte Studien, die auf die negativen Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung hinweisen. Auf unserer Online-Datenbank emfdata.org ist dies dokumentiert. Dennoch das Vorsorgeprinzip so zu missachten, ist grob fahrlässig.
Wie hoch war die Strahlungsintensität im Labor? Höher als durchschnittlich vorhanden?
Die negativen Auswirkungen wurden bereits bei Strahlungsintensitäten festgestellt, die unterhalb von denen lagen, die die „Internationale Kommission für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung“ (ICNIRP) als Schwellenwerte für Schädigungen von Organismen festgelegt hat.
Es herrscht hier also eigentlich ein hoher Handlungsbedarf?
Ja. Insekten sind enorm wichtig: für das Bestäuben und als Nahrung für andere Tierarten, vor allem Vögel. Auch wenn die Mobilfunkstrahlung die Insekten nicht gleich alle umbringt oder unfruchtbar macht – sie schwächt sie und macht sie anfälliger für Krankheiten. Insekten sind ja neben der Mobilfunkstrahlung auch noch Pflanzenschutzmitteln und einer Vielzahl anderer Gifte ausgesetzt. Deren Wirkungen können sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. Und das kann dann in der Summe tatsächlich zu einem dramatischen Rückgang bis hin zum Aussterben diverser Arten führen.
Was sollte getan werden?
Erstens sollten die Lebensräume der Insekten vor Mobilfunkstrahlung so weit wie möglich geschützt sein. Zwei aktuelle Feldstudien afrikanischer Wissenschaftler weisen nach: Je näher am Mast, desto weniger Insekten. Also: Keine neuen Mobilfunkmasten! Vor allem nicht in Naturschutzgebieten und Wäldern! Zweitens muss die Forschung über die gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung deutlich intensiviert werden. Und selbstverständlich nicht nur zu den Auswirkungen auf Insekten, sondern auch zu den Auswirkungen auf uns Menschen.
Herr Hensinger, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Onlinetipp
Diagnose-Funk
Studie des Schweizer Bundesamtes für Umwelt hält den Zusammenhang von Mobilfunk und Insektensterben für wahrscheinlich
Forschungsüberblick „Wirkung von nichtionisierender Strahlung auf Arthropoden“
24.01.2023
www.diagnose-funk.org/1938
Buchtipp
Prof. Dr. Klaus Buchner, Dr. med. Monika Krout
5G-Wahn(sinn)
Die Risiken des Mobilfunks
Mankau, Mai 2021
255 Seiten, 16.95 Euro
978-3-86374-608-7