Dr. Herbert Gruhl (li) und Hans-Joachim Ritter (re), ehem. Bundesvorsitzende der ÖDP
Dr. Herbert Gruhl beim ÖDP-Bundesparteitag im Januar 1990 in Veitshöchheim (li) und Hans-Joachim Ritter im Europawahlkampf 1989 (re). / Foto: ÖDP

Bundesverband

Die Anfänge der ÖDP

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Die Entstehung und ersten Jahre der ÖDP waren Thema eines Online-Seminars am 12. November 2022 mit Hans-Joachim Ritter, dem ehemaligen ÖDP-Bundesvorsitzenden (1989 – 1993) und heutigen Vorsitzenden der Stiftung für Ökologie und Demokratie e. V.

 

Im ersten Teil befasste sich der Referent ausführlich mit der Person des ÖDP-Gründers und ersten Bundesvorsitzenden Dr. Herbert Gruhl, der sich zunächst in der CDU politisch betätigt hatte, 1969 in den Deutschen Bundestag einzog und dem als Mitglied des Innenausschusses das damals neue Fachgebiet „Umweltschutz“ übertragen wurde. Er bekam noch vor Erscheinen des Buches „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome davon Kenntnis, was ihm über die Folgen einer wachstumsfixierten Politik die Augen öffnete.

Während bei Gruhl zunehmend die Skepsis am Kurs aller Parteien wuchs,  entdeckte die CDU, dass sie über ihren umweltpolitischen Sprecher die Chance besaß, das wachsende Umweltbewusstsein für sich in Wählerstimmen umzumünzen. Dies garantierte Gruhl 1972 den erneuten sicheren Einzug in das Parlament.

 

Gruhl, nunmehr Leiter der „Arbeitsgruppe Umweltvorsorge“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schrieb ein Buch: „Ein Planet wird geplündert“ (1975) mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren brachte Gruhl eine ungeahnte öffentliche Aufmerksamkeit. Am 11. Juli 1978 erklärte Gruhl in der Fernsehsendung „Report Baden-Baden“ in einem Interview mit Franz Alt seinen Austritt aus der CDU. Nur einen Tag später folgte die Gründung einer eigenen Partei, der „Grünen Aktion Zukunft“ (GAZ). Um sich nicht an einer Zersplitterung des grünen Lagers zu beteiligen, schloss man sich mit anderen grünen Listen zusammen. Bei der Europawahl 1979 mit Petra Kelly und Herbert Gruhl als Spitzenkandidaten erzielte diese Liste mit 3,2 % einen Achtungserfolg. Nachdem auf der Bundesversammlung in Offenbach die Grünen Doppelmitgliedschaften zuließen, übernahmen linke Gruppierungen die Programmdebatte. Daraufhin zog Gruhl auf dem Parteitag am 24. März 1980 seine erneute Bewerbung für ein Vorstandsamt zurück.

 

Der Bruch mit den Grünen bedeutete für Gruhl zunächst die Reaktivierung der nicht aufgelösten GAZ. Diese bildete mit einigen grünen Listen zunächst die „Ökologische Föderation“, die im Oktober 1981 zur Keimzelle einer neuen Parteigründung wurde. Am 10./11. Oktober 1981 fand in Frankfurt a. M. eine Vertreterversammlung statt. Dort wurde auf Antrag von Herbert Gruhl die Verschmelzung von GAZ, AGÖP und GLU/HH als Voraussetzung zur Gründung der Ökologisch-Demokratischen Partei beschlossen. Der Aufbau von Kreisverbänden sollte sofort beginnen und der erste Bundesparteitag (BPT) wurde auf 6./7. März 1982 terminiert. Eine Satzung und ein von Gruhl ausgearbeitetes Grundsatzprogramm wurden beschlossen. Auf dem Gründungsparteitag wurde Herbert Gruhl zum Bundesvorsitzenden und Baldur Springmann zu seinem Stellvertreter gewählt. Die Programminhalte der ÖDP als einer bürgerlichen Umweltpartei entsprachen weitgehend dem „Grünen Manifest“ der GAZ. Die ÖDP sollte, so Gruhl, zu einer Stärkung des gesamten ökologischen Spektrums beitragen: während die Grünen vor allem im linken Spektrum von den Altparteien Stimmen abzogen, sollte sich die ÖDP an christliche und konservative Schichten wenden. Doch die Abspaltung von den Grünen bis zur Gründung der ÖDP dauerte 2 Jahre – eine verpasste Chance, um als bürgerliche grüne Partei breite Schichten der Bevölkerung zu gewinnen.

 

Franz Alt berichtete über die Parteigründung im Fernsehen. Die ÖDP beteiligte sich 1982 erstmals bei Landtagswahlen in Hamburg und Bayern. Die erste bundesweite Wahlbeteiligung erfolgte im Juni 1984 zur Europawahl mit dem Ergebnis von 0,3 %.

Im Frühjahr 1988 gelang der ÖDP mit 1,4 % in Baden-Württemberg ein Erfolg, was die Wahlkampfkostenerstattung zur Folge hatte.

 

Dr. Gruhl forderte öffentlich die Abwahl von einigen Bundesvorstandsmitgliedern, da sie seiner Ansicht nach das Grundsatzprogramm verändern wollten. Abwahlanträge und ein Antrag auf einen „Grundsatzbeschluss zur Abgrenzung der ÖDP von den Rechtsparteien“ beherrschten den BPT am 18./19. Februar 1989 in Saarbrücken. Nachdem der Abgrenzungsbeschluss mit großer Mehrheit angenommen wurde und zwei Bundesvorstandsmitglieder nicht abgewählt wurden, trat Dr. Gruhl als ÖDP-Bundesvorsitzender zurück.

 

 

Hans-Joachim Ritter folgte als ÖDP-Bundesvorsitzender auf Dr. Gruhl

 

Als Nachfolger für das Amt des Bundesvorsitzenden wurden Hermann Bentele und ich vorgeschlagen. Ich bekam 88 Stimmen, Hermann Bentele 40 Stimmen bei 3 Enthaltungen.  Damit war ich zu meiner eigenen Überraschung als erster Nachfolger von Dr. Herbert Gruhl zum Bundesvorsitzenden der ÖDP gewählt.

 

Ich stand vor großen Herausforderungen: Die Europawahl am 18. Juni war vorzubereiten und gleichzeitig war es mir wichtig, dass die Gruhl-Anhänger bei der Stange blieben und weiterhin für die ÖDP Wahlkampf machten. Da ich mich als Mann des Ausgleichs zwischen beiden Lagern sah, gelang es mir, dass sowohl Dr. Gruhl als auch noch viele seiner Anhänger weiterhin in der Partei blieben und Wahlkampf machten. Mir war es wichtig, dass die ÖDP als wertkonservative Öko- und Lebensschutzpartei wahrgenommen wird.

 

Bei der Europawahl im Juni 1989 erzielten wir immerhin 184.309 Stimmen bzw. 0,7 %, und damit erstmals eine Wahlkampfkostenerstattung in Höhe von 1.518.348,66 DM. Durch den Wahlkampf konnten im Übrigen zahlreiche neue Mitglieder gewonnen werden: Von Ende August 1988 bis Ende August 1989 wuchs die Zahl der Mitglieder von 3.313 auf 3.776. Beim BPT in Bottrop im Jahr 1993 hatte die ÖDP dann bereits 4.500 Mitglieder.

 

Ich war ab dem BPT in Saarbrücken am 19. Februar 1989 bis zum BPT in Bottrop am 3. Juli 1993 ÖDP-Bundesvorsitzender. Insgesamt dreimal wurde ich gewählt – jeweils mit überwältigenden Ergebnissen. Meine Amtszeit fiel in eine historisch äußerst wichtige Zeit, in der nicht nur der Sozialismus zusammenbrach, sondern auch Deutschland wiedervereinigt wurde.

 

Bedeutende Ereignisse:

  • Fall der Mauer am November 1989
  • Gründung der ÖDP-Ost: 17. Juni 1990 zunächst als selbständige Partei.
  • Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten schloss sich die ÖDP-Ost der ÖDP-West an.
  • Bei den Landtagswahlen 1990 in NRW (0,5 %) und Bayern (1,7 %) bekamen wir Wahlkampfkostenerstattungen.
  • Entscheidung des BVerfG vom 17. Oktober 1990, wonach unserer Verfassungsbeschwerde stattgegeben wurde, dass zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 keine Unterstützungsunterschriften gesammelt werden mussten.
  • Aufgrund einer BVerfG-Entscheidung wurden die Ergebnisse von Ost und West getrennt gewertet. Wir bekamen insges. 204.813 Zweistimmen (0,44 %), davon 190.924 Stimmen (0,51 %) in Westdeutschland. Aufgrund dessen erhielten wir eine Wahlkampfkostenerstattung von über 1,2 Mio. DM.
  • Wir führten Gespräche mit dem Demokratischen Aufbruch. Doch der Umklammerungsprozess der CDU war in vollem Gange. Trotz der äußerst knappen Frist liefen von unserer Seite die Aktivitäten auf Hochtouren. Zum Sonderparteitag am 4. August 1990 erhielt ich eine Einladung und konnte ein Grußwort sprechen.
  • Ende 1990: Austritt von Dr. Herbert Gruhl aus der ÖDP. Von seinem hohen Bekanntheitsgrad und seinen Büchern profitierte die Partei noch lange Zeit.
  • Im Dezember 1990 bzw. April 1991 nahmen wir mit den ostdeutschen grünen Bundestagsabgeordneten Vera Wollenberger und Konrad Weiß Kontakt auf, die sich öffentlich gegen eine Vereinigung mit den West-Grünen ausgesprochen hatten. Es folgte ein intensiver Austausch. Wir wurden zur Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) am 1. Mai 1992 und zur Brandenburger Wirtschaftskonferenz des Bündnis 90 eingeladen. Die Medien berichteten ausführlich über diese Phase. Es entstand ein heftiger Streit innerhalb der Grünen und Bündnis 90. Im Hinblick auf eine mögliche Fusionierung mit ÖDP und Bündnis 90 kam trotz intensiven Dialogs keine Einigung zustande.
  • Über den Tod von Dr. Gruhl am 26. Juni 1993 wurde im Fernsehen und in fast allen Tageszeitungen berichtet. Ich nahm am 1. Juli 1992 in Marktschellenberg an der Beerdigung teil, hielt am Grab eine Rede und legte einen Kranz nieder.
  • Gründung der Jungen Ökologen am 5. September 1992 in Backnang.
  • Gründung der Stiftung für Ökologie und Demokratie e. V. am 12. September 1992.

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