Gemeinsam für eine neue Agrarpolitik
7. August 2020
Der mächtige Bauernverband steht für eine konkurrenz- und wachstumsorientierte Landwirtschaft. Doch dies trug und trägt maßgeblich dazu bei, dass viele bäuerliche Höfe aufgeben müssen. Deren Interessen vertritt vor allem die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL). Ihr bayerischer Landesvorsitzender stellt die Organisation vor.
von Josef Schmid
In den 1970er- und 1980er-Jahren glaubte auch ich noch, ein Strukturwandel in der Landwirtschaft wäre notwendig, um die Situation der verbleibenden Höfe zu verbessern und ihre Zukunft zu sichern. Diese Hoffnung schwand im Laufe der Jahre umso mehr, je deutlicher sich zeigte, dass der Wachstumsprozess letztendlich zwangsläufig in die Agrarindustrie führen musste. Hunderttausende Höfe und damit bäuerliche Existenzen gingen verloren, ohne dass sich die Lage der übrig gebliebenen Höfe wirklich verbessert hatte. Sie wurden nur größer. Die Ställe und Viehbestände verdoppelten sich, die notwendigen Investitionen und Darlehen genauso. Teure Maschinen erleichtern zwar die körperliche Arbeit, Stress und nervliche Belastung nahmen aber umso mehr zu.
Jeder vernünftige Mensch müsste erkennen, dass es sinnlos ist, immer wieder aufs Neue das zu tun, was schon bisher keinen Erfolg brachte. Doch leider erkannten die sogenannte „Berufsvertretung“ und die Agrarpolitiker dies bislang nicht.
Um die Interessen der bäuerlich wirtschaftenden Höfe wahrzunehmen, wurde bereits im Jahr 1980 aus einem Arbeitskreis junger Landwirte und Landwirtschaftsstudenten ein Verein gegründet: die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL). Sie gibt seither die Zeitung „Bauernstimme“ heraus. Nach der Übernahme des elterlichen Hofes im Jahr 1985 dauerte es keine zwei Jahre, bis ich die Mitgliedschaft beim Bauernverband kündigte und AbL-Mitglied wurde.
Schon damals waren mir die traditionelle „Berufsvertretung“ und ihre Funktionäre viel zu eng mit Handel und Verarbeitern, Raiffeisenverband und Molkereiverbänden „verbandelt“. Denn damit waren und sind Interessenkonflikte vorprogrammiert. Genauso unsinnig wäre es, würden sich die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern oder die Mietervereine mit den Vermietern zusammentun. Doch in der Landwirtschaft setzt man noch heute auf dieses seltsame Modell – auch wenn sich die Zahl der Höfe regelmäßig halbiert, auch wenn die Einkommen unter denen anderer vergleichbarer Berufe liegen, auch wenn und die Akzeptanz des Berufsstandes in der Gesellschaft schwindet.
Förderpolitik ist entscheidender Hebel zum Umsteuern
In der AbL befasste man sich schon damals mit der Förderpolitik. Diese funktioniert laut Forschungen des österreichischen Agrarhistorikers Franz Rohrmoser schon immer nach dem von ihm benannten „Vorspann-Prinzip“. Seit es Agrarförderungen gibt, werden unter dem Vorwand, Kleinbetriebe zu unterstützen, Fördergelder beantragt, um dann die Verteilung so zu organisieren, dass die Großbauern am meisten davon profitieren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Bauernverband verteidigt vehement die Flächensubventionen, auch wenn man nicht erklären kann, wieso das Einkommen einer Familie, die 300 Hektar bewirtschaftet, mit zehnmal so viel Steuergeld gestützt werden muss wie das einer Familie, die nur 30 Hektar bewirtschaftet.
So verschärft sich die Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Betriebsgrößen und Bewirtschaftungsformen. Der Strukturwandel wird mit Steuergeldern angeheizt. Noch dazu liegen diese Großbetriebe häufig in von Natur, Klima und Boden begünstigten Gebieten, während die Höfe in ungünstigen Gegenden eher weniger Hektar bewirtschaften und damit geringe Chancen haben, an die Gelder zu kommen.
Fördermilliarden fördern auch Rückgang der Biodiversität
Auch in ökologischer Hinsicht sind die Fördermilliarden aus Brüssel nahezu wirkungslos. Das bestätigen Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Und auch der Sonderbericht 13/2020 des EU-Rechnungshofs. Er stellte fest, dass die Fördermilliarden den Rückgang der Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen nicht gestoppt haben. Das bei der letzten Agrarreform neu eingeführte „Greening“ wurde durch das Zutun der Agrarlobby und rückwärtsgerichteter „Berufsvertreter“ so weit verwässert, dass am Ende auch der Anbau von Leguminosen (Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen) genügte, um das Soll von 5 % „ökologischen Vorrangflächen“ zu erfüllen. Es wurde sogar gefordert, die Anwendung von Herbiziden auf diesen Flächen zu erlauben, doch das wurde nicht genehmigt.
Derartige Vorgehensweisen sind äußerst kurzsichtig und nicht im Interesse der Landwirte. Die Agrarförderung wird so grundsätzlich gefährdet, weil die Steuerzahler die Überförderung von Großbetrieben und die ökologische Wirkungslosigkeit immer weniger akzeptieren – zumal wegen Brexit, Klima- und Coronakrise immer neue Forderungen und alternative Verwendungsmöglichkeiten entstehen.
Diese ungerechte, wirkungslose und großteils in ökologischer und sozialer Hinsicht sogar kontraproduktive Verschwendung von Steuergeldern muss abgestellt werden! Ein Herumdoktern am System der Flächenförderung wie z. B. die erhöhte Förderung der ersten Hektare ist allenfalls ein Versuch, das untaugliche System der Flächenförderung noch mal zu retten.
Ökologischere Förderung über komplexes Punktesystem
Ziel des AbL-Vorschlags zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ist es, über ein Punktesystem auf Basis von Betriebsdaten, wie durchschnittliche Feldgröße, Fruchtfolge (Anbauvielfalt), Grünlandanteil, Biotopflächen und Art der Tierhaltung, die Förderung betriebsindividuell zu gestalten. Damit wäre in der Agrarförderung der Grundsatz „Öffentliche Gelder für gesellschaftliche Leistungen“ umzusetzen. Und das ohne zusätzlichen Aufwand, da die erforderlichen Daten den Ämtern auch schon bei der bisherigen Antragstellung mitgeteilt werden mussten. Es bliebe also der unternehmerischen Entscheidung der Landwirte vorbehalten, ob der Schwerpunkt weiter auf Rationalisierung und Billigproduktion oder künftig mehr auf die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen gesetzt werden soll.
Nach dem derzeitigen Diskussionsstand sollen auch in der ersten Säule der EU-Agrarförderung Ökokriterien eingeführt werden. Auch hierzu würden sich Kriterien des AbL-Modells, wie Flächenstruktur, Fruchtfolge, Grünlandanteil, Anteil von Biotopflächen und bodengebundene Tierhaltung, gut eignen, gezielt benachteiligte Betriebe und bäuerliche Landwirtschaft zu fördern.
Raus aus dem internationalen Preisdumping-Wettbewerb
Allein die Umverteilung von Fördergeldern wird nicht ausreichen, um das Höfesterben aufzuhalten. Eine wesentliche Ursache für die aussichtslose Situation vieler Höfe ist seit Jahrzehnten die Exportorientierung der Agrarpolitik. Bis heute versucht man, „neue Märkte zu erobern“ und die Landwirtschaft „wettbewerbsfähig“ zu machen, was nicht weniger bedeutet, als dass unsere Bauernhöfe weiterhin verheizt werden sollen beim Versuch, Weltmarktpreise zu unterbieten, die unter niedrigsten Aufwendungen für Löhne, Umweltschutz und Tierwohl zustande kommen. Dabei hätten wir es nicht nötig, diese außereuropäischen Märkte zu bedienen, würden wir nicht Millionen Tonnen Futtermittel, großteils auf Regenwaldrodungen basierend, importieren.
Wir produzieren mit Futter, das wir nicht haben, Milch und Fleisch, das wir nicht brauchen, für Märkte, die dafür nicht genug zahlen wollen oder können. Wirklich ein tolles Geschäftsmodell. Auch wenn die Schweinemäster mit den derzeitigen Preisen zufrieden sind: Es funktioniert nur unter Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Natur. Und solange Wetterkatastrophen und Schweinepest unsere Kollegen in anderen Kontinenten treffen.
Warum produzieren wir nicht einfach bei Milch und Fleisch 10 % weniger und beliefern dann nur noch die höherpreisigen EU-Binnenmärkte? Das Gegenargument „Dann kommt noch mehr vom Ausland“ ist ziemlich unlogisch, denn wenn wir als bedeutender Exporteur den Druck auf den Weltmarkt reduzieren, müsste eigentlich auch der Druck von außereuropäischen Märkten nachlassen. Unsere weniger exportstarken Nachbarländer werden schließlich auch nicht mit Lebensmitteln vom Weltmarkt überflutet. Im Gegenteil, dort sind die Lebensmittelpreise oft sogar höher als in Deutschland.
Zurück zu einem menschen- und naturverträglichen Maß
Nebenwirkungen einer etwas weniger intensiven Produktion könnten mehr Stallplatz für die Tiere, geringere Güllemengen, mehr Lebensräume für die Artenvielfalt und mehr Akzeptanz in der Gesellschaft sein. Darauf sind wir angewiesen, denn Wertschätzung, höhere Preise für heimische Lebensmittel und die Bereitschaft, Steuergelder für Fördermaßnahmen bereitzustellen, lassen sich dauerhaft nicht erzwingen.
Derartige Überlegungen wären auch für die Organisatoren der zahlreichen Schlepperdemos vorteilhaft. Wesentlich Erfolg versprechender als Straßenblockaden, PS-starke Schlepperparaden, Rücktrittsforderungen und Klagen über Umweltauflagen wäre es, zusammen mit großen Teilen der Gesellschaft eine Agrarpolitik zu fordern, die nicht ständig zu mehr Intensivierung zwingt und dadurch Korrekturmaßnahmen in Form von zusätzlichen Auflagen und Bürokratie verursacht.
Es ist schon seit jeher Grundpfeiler der AbL-Arbeit, in Kooperation mit allen an der Agrarpolitik interessierten Organisationen aus Umwelt- und Tierschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Verbraucherschutz, Lösungen und Zukunftsperspektiven zu erarbeiten. Das zu unterstützen, lohnt sich, denn nicht die Kritiker der Landwirtschaft sind bauernfeindlich, sondern die Verantwortlichen in Politik und „Berufsvertretung“, die auch für die Zukunft nicht mehr zu bieten haben als Strukturwandel, Konkurrenzkampf und gegenseitiges Unterbieten. Und die obendrein noch zu Solidarität und Zusammenhalt aufrufen.
Onlinetipps
AbL – Landesverband Bayern
Reform der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP)
Positionspapier 2019
www.t1p.de/v044
Europäischer Rechnungshof
Biodiversität landwirtschaftlicher Nutzflächen: Der Beitrag der GAP hat den Rückgang nicht gestoppt
Sonderbericht 13/2020
www.t1p.de/qs45
proplanta – Informationszentrum für die Landwirtschaft
Aktuelles Greening bringt wenig für die Artenvielfalt
16.01.2017
www.t1p.de/907f