Die Plattform "Hauptsache Commons" erläutert das Thema umfassend und übersichtlich. - Screenshot

Gesellschaft & Kultur

„Die Fantasie der Leute anregen“

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Wer im Internet nach Informationen über Commons sucht, der findet eine schwer überschaubare Vielfalt an Plattformen unterschiedlichster Initiativen – Gemeinschaftsgärten, Reparatur-Cafés und anderes. Und es gibt im Internet auch einige Meta-Plattformen. Zu denen gehört die 2016 gegründete „Hauptsache Commons“.

Interview mit Holger Roloff

ÖkologiePolitik: Herr Roloff, Sie sind Mitbegründer der Internetplattform „Hauptsache Commons“. Wozu braucht es die?

Holger Roloff: Die eigentliche Gründerin ist meine Commons-Kollegin Stefanie Haupt. Sie machte mich darauf aufmerksam, dass die breite Bevölkerung informiert werden muss. Und der schnellste Weg ist heutzutage das Netz. Auf unserer Plattform finden Interessenten alles übersichtlich dargestellt und leicht verständlich erklärt. Wer tiefer einsteigen will, findet im Blog entsprechende Buchtipps, erfährt im Newsletter von neuen Commons-Projekten, Veranstaltungen, Vorträgen und Treffen, kommt so in Kontakt mit anderen Commonern. Wir möchten die Fantasie der Leute anregen.

Wie wurden Sie selbst zum „Anhänger“ der Commons-Bewegung?

Initialzündung war hier in Hamburg ein Vortrag der Commons-Vordenkerin Silke Helfrich im Jahr 2011. Damals suchte ich nach Bausteinen, um ein größeres Lösungskonzept für alle ökonomischen Probleme zu erarbeiten. Es kursierten verschiedene Ideen zum Bereich Gemeinwohl-Wirtschaften, die in Vorträgen präsentiert wurden. Ich habe mir alles neugierig angehört. Beim Commons-Vortrag fiel sofort der Groschen. Für mich war klar, dass es das sein könnte, was ich gesucht hatte. Es passte wie ein fehlendes Puzzleteil in meine schon vorhandenen Ideen. Die Lösung konnte ich dann 2013 veröffentlichen. Sie heißt „Ressourcenwirtschaft“ und ist im Netz zu finden als „violette Wirtschaftsvision“. Commons bilden darin den zentralen Kern.

Warum erleben Commons  gerade einen Boom?

Wir stehen vor einem großen Umbruch, einem Epochenwechsel. Dem geht ein bewusstseinsmäßiges Erwachen voraus. Die Neugier nach neuen Antworten wächst. Die Leute spüren, dass es mehr an Lösungen geben kann, dass wir aus der geistigen Enge bürgerlicher Verhältnisse ausbrechen können. Commons bieten eine neue Logik des Umgangs mit der Natur einerseits sowie zwischen uns Menschen andererseits. Wem das klar wird, der spürt in sich eine sich freisetzende Begeisterung. Diese Energie wirkt ähnlich positiv ansteckend wie Lachen. Der ganz große Boom kommt allerdings erst noch, nämlich dann, wenn es den Mainstream erreicht und zum Massenphänomen wird. Das geht manchmal schneller, als man ahnt. Man denke nur an die Dynamik der Gelbwesten-Bewegung oder die Fridays-for-Future-Demos.

Wo liegen die Unterschiede zu ähnlichen Bewegungen der Vergangenheit, z. B. die der Hippies?

Die grundlegenden, universellen Wahrheiten sind immer gleich. Das eint alle dieser alten Bewegungen. Unterschiede sehe ich drei: erstens im historisch erreichten Stand der Produktivität, zweitens im Informationsfluss durch das Internet und drittens in den Begriffen, die aus der kritischen Gesellschaftstheorie kommen. Wir können die Problemlage exakter und begrifflich schärfer fassen als je zuvor. So lassen sich auch Lösungen besser formulieren. Durch das Internet erfahren wir rasend schnell davon. Es kann kein Zurück zu vorkapitalistischen Verhältnissen geben. Die Gesellschaftsentwicklung lässt sich nur vorwärts, quasi über den Kapitalismus hinaus denken und über Transformationen verändern. Wobei es durchaus lokal auch politische Revolutionen geben könnte, wenn die Lage zu prekär wird.

Wie politisch sind die Commoner?

Die meisten Leute sind zumindest am Anfang des Erwachens politisch interessiert und auch engagiert. Sobald aber bewusst wird, dass die klassisch-bürgerliche Politik selbst Bestandteil des Problems ist, wird klar, dass die wirklichen Lösungen – zumindest im Ansatz – außerhalb liegen. Ergebnis sind die Bürgerbewegungen, NGOs, BGE-Initiativen und unabhängigen Commons-Projekte weltweit. Gleichzeitig kann man sich als Einzelperson vielfältig positionieren: in einer Partei, in anderen Initiativen und in Commons. Die Zukunft ist bunt. Das soll auch unser Logo darstellen.

Lenkt das viele „Machen“ nicht von der politischen Reflexion und vom politischen Protest ab?

Ich erlebe das Gegenteil. Ich lese regelmäßig Beiträge aus der kritischen Theorie, höre mir Vorträge an, besuche Veranstaltungen, diskutiere mit Leuten und versuche, andere zu ermutigen, selber in die Verantwortung zu gehen, anstatt das allein der Politik zu überlassen. Ich nehme auch an Demonstrationen teil und staune immer, dass ich nicht alleine bin. Das Energielevel steigt und die Menschen erlangen endlich das scheinbar lange verschollene Selbstbewusstsein zurück. Während der G20-Woche 2017 in Hamburg waren weit über 100.000 Menschen friedlich auf der Straße. Ausgelassene Stimmung, Party, Gesang, kreative Verkleidungen, tolle Begegnungen. Es gab sogar einen „Alternativen G20-Gipfel“ mit Rednerinnen und Rednern aus aller Welt, wesentlich spannender als der offizielle Gipfel der großen Politik. Die Medien transportierten etwas völlig anderes ins öffentliche Bewusstsein: Bilder von Feuer und zerstörten Autos.

Strebt die Bewegung auch gesellschaftspolitische Ziele an, deren Erreichung sie eines Tages überflüssig werden lässt?

Wird Commoning als Formprinzip der Normalzustand, weil die Marktwirtschaft historisch durch eine Ressourcenwirtschaft abgelöst wurde, dann verschwindet die positive Energie nicht einfach so. Sie wird ihren Ausdruck in neuen Bewegungen finden, die versuchen, die Gesellschaft in Richtung einer kosmologisch ausgerichteten Welt weiterzuentwickeln. Dann stehen neue Themen an.

Herr Roloff, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.


Onlinetipps

Hauptsache Commons
www.hauptsache-commons.de

Commons-Institut
www.commons-institut.org

 

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