Auf den Bäumen muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …
19. November 2018
Martin, Umweltaktivist und ÖDPler, hat sich an den friedlichen Protesten im Hambacher Wald beteiligt und berichtet über seine Erlebnisse exklusiv in ÖkologiePolitik.
Ich schaue unter mich: Wahnsinn! Ich bin gut 20 Meter über der Erde. Ich reiche einer befreundeten Aktivistin die Hand und habe es geschafft: Ich sitze in einem der berüchtigten Baumhäuser im Hambacher Wald, liebevoll auch Hambi genannt. Mein Rucksack und mein Schlafsack werden parallel hochgezogen. Die Plattform wird die nächste Zeit mein Zuhause sein, fernab von meiner Wohnung und meinem Bett. Selbst nicht nur stiller Protestler sein, sondern aktiv am Widerstand gegen den geplanten Braunkohletagebau teilhaben und mich mit meinen Fähigkeiten einbringen – das war mein Wunsch. Und das, obwohl mir klar ist, dass es nicht ungefährlich ist und am Tag, an dem ich das zweite Mal den Hambi besuche, ein Mensch tödlich verunglückt ist.
Während die Kohlekommission der Regierung über den Zeitplan für den Kohleausstieg verhandelt, will RWE im Hambacher Wald Fakten schaffen. Den uralten Wald roden. Sie wollen die Bäume fällen und damit neue Flächen für den Kohleabbau erschließen. Das Unternehmen will scheinbar allen zeigen, dass der Konzern an einem gesellschaftlichen Diskurs zum Ausstieg aus dem umweltschädlichen Energieträger Braunkohle nicht interessiert ist. Die Flächen werden gar nicht gebraucht.
Die Politik schiebt die Verantwortlichkeiten von einer Instanz zur nächsten. Während meiner Zeit im Hambi kam auch Anton Hofreiter mit einer Delegation der Bundestagsgrünen vorbei. In persönlichen Gesprächen will er keine klare Stellung beziehen. Wie auch? Im Landtag von Nordrhein-Westfalen haben die Grünen schließlich für die Rodung gestimmt und so eiert er herum, während wir mit ihm sprechen und er skeptisch unsere Barrikaden begutachtet, die wir errichtet haben. Erleichtert wirkt er, als sein Handy klingelt. Er müsse nun zu einem wichtigen Termin. Wir sind ebenfalls erleichtert. Erleichtert, dieses Rumgerede über „Arbeitsplätze“ und „Mehrheiten“ nicht länger anhören zu müssen, und genießen gemeinsam erst mal eine leckere vegane Gemüsepfanne. Einfaches, leckeres Essen, gemeinsames Yoga oder Spiele gehören zum Alltag im Wald, aber auch Seminare, gemeinsames Musizieren und Tanzen.
Zur Polizei. Es gibt durchaus Polizisten, wo Mensch bei der Polizeikontrolle spürt, dass ihnen nicht wohl dabei ist, was sie hier gerade tun. Aber unsere Stimmung können sie nicht trüben, wenn sie nachts mit Scheinwerfern versuchen, uns wach zu halten, oder eine Reiterstaffel durch den Wald jagen, während wir um den Menschen trauern, der tödlich verunglückt ist. Viele Anwohner aus den umliegenden Orten zeigen sich solidarisch mit uns. Sie lassen uns bei sich duschen oder die Wäsche waschen oder sie stellen Lebensmittel oder auch Hilfsmittel wie Decken zur Verfügung.