Landwirte gegen Umweltschützer – ein unlösbarer Konflikt?
17. Juli 2018
Anstelle des folgenden Textes war für diese ÖP-Ausgabe ein Interview mit einem Buchautor vorgesehen, dessen Werk seine Sicht auf die Zusammenhänge zwischen Bienensterben und Landwirtschaft darlegt. Der Text enthielt jedoch Passagen, die geeignet waren, die aktiven Landwirte unter den ÖDP-Mitgliedern so zu verletzen, dass ich den innerparteilichen Frieden gefährdet sah und den Artikel deshalb nicht zum Druck freigeben konnte. Stattdessen sollen die beiden Heftseiten genutzt werden, einen Blick „von innen nach außen“ zu wagen.
Wir starten den Versuch einer Annäherung an ein heikles Thema mit einer über 200 Jahre alten Sage. Die Geschichte vom „Riesenspielzeug“ ist dem ein oder anderen Leser vielleicht als Ballade aus Schulzeiten bekannt. Lesen Sie nachfolgend die Version der Brüder Grimm:
Im Elsass auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall liegt, waren die Ritter vorzeiten große Riesen. Einmal ging das Riesenfräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre, und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas Neues war. „Ei“, sprach sie und ging herzu, „das nehm ich mir mit.“ Da kniete sie nieder zur Erde, spreitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand über das Feld, fing alles zusammen und tat’s hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend; wo der Berg so jäh ist, dass ein Mensch mühsam klettern muss, da tat sie einen Schritt und war droben.
Der Ritter saß gerad am Tisch, als sie eintrat. „Ei, mein Kind“, sprach er, „was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus.“ Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. „Was hast du so Zappeliges darin?“ – „Ei Vater, gar zu artiges Spielding! So was Schönes hab ich mein Lebtag noch nicht gehabt.“ Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine Wesen darauf hin- und herbewegte. Der Vater aber sprach: „Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was Schönes angestiftet! Geh nur gleich und trag’s wieder hinab ins Tal.“ Das Fräulein weinte, es half aber nichts. „Mir ist der Bauer kein Spielzeug“, sagt der Ritter ernsthaftig, „ich leid’s nicht, dass du mir murrst, kram alles sachte wieder ein und trag’s an den nämlichen Platz, wo du’s genommen hast. Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsennest nichts zu leben.“
Und die Moral von der Geschicht?
Gott behüte uns davor, dass der Bauer zum Spielball moralischer oder wirtschaftlicher Riesen werde … solche oder ähnliche Gedanken könnten Bauernfamilien haben. Auf den Präsentierteller gestellt von Wesen aus einer anderen Welt, der Riesenwelt, die unfähig sind zu erkennen, dass der Bauer nicht wie ein aufgezogenes Spielzeug putzige Dinge tut, sondern unsere Nahrung erzeugt. Auch heute noch.
Moment, könnten nun die „modernen“ Riesen sagen, was heißt hier angeprangert? Hören wir nicht ständig neue Meldungen darüber, was in der Landwirtschaft falsch läuft? Überhöhte Nitratwerte im Grundwasser, verseuchte Lebensmittel, Schlachthofskandale, Tierquälerei in überfüllten Ställen, und jetzt auch noch das Insektensterben! Daran ist doch „die Landwirtschaft“ schuld! Wer wollte das bestreiten? Der soll vortreten …!
Ja, die Riesen haben recht, und doch auch nicht. Die deutsche Landwirtschaft hat sich verändert in den letzten Jahren. Bauernhöfe sterben, meistens lautlos, gerade kleinere Betriebe geben auf, verpachten ihren Grund und Boden an den größeren Nachbarn, oder gleich an die Agrargenossenschaft.
Landwirtschaft im Effizienzdruck
Die moderne Landwirtschaft in Deutschland ist mechanisiert, digitalisiert, zertifiziert (oft mehrfach und parallel), sie ist durchstrukturiert und sie ist vor allem eines: gnadenlos effizient. Dies muss sie auch sein, denn Deutschland steht im weltweiten Wettbewerb, nicht nur mit Autos und Maschinen, nein, auch mit seinen landwirtschaftlichen Produkten. Und da der Landwirt von seiner Arbeit leben muss, versucht er, sie so effizient wie möglich zu gestalten, um die Arbeitsbelastung für sich und seine Familienangehörigen im erträglichen Rahmen zu halten. Denn eine Kuh macht „Muh“, und viele Kühe machen Mühe, und geben mehr Milch, was bei dem derzeitigen Spot(t)-Preis für Rohmilch die finanzielle Basis doch ein wenig verbreitert. Da werden auch die Veranstaltungen der Landwirtschaftsämter gerne besucht. Der nette Herr vom Amt hat ja damals schon dazu geraten, den Stall gleich ein wenig größer zu bauen, als man das eigentlich vorgehabt hatte. Mehr Tiere – mehr Gewinn, hat er damals gesagt. Nun muss die Feldarbeit noch effizienter werden, und da gibt es ja glücklicherweise die hochwirksamen zugelassenen Mittel der Chemiegiganten, geprüft, gesiegelt, zertifiziert, vom Amt empfohlen. Und bei korrekter Anwendung ungefährlich für Mensch und Tier. So steht’s auf dem Behälter.
Und die Riesen, oben in ihren Burgen, die wenden natürlich auch die zugelassenen Mittel aus der Drogerie an, wenn’s in der Küche krabbelt oder flattert oder die Schnecken die Dahlien abfressen.
Unübersehbarer Wandel
Ist das eine falsch, das andere richtig? Das Unbehagen der Natur- und Umweltschützer, es hat viele Ursachen. Der Wandel draußen ist unübersehbar. Und jeder neu aufgedeckte Skandal ist einer zu viel. Militante Eiferer und Tierschützer aber, die Eigentum Dritter verletzen oder Shitstürme in den sozialen Medien entfachen und damit manchen Bauern in den Wahnsinn treiben (Letzteres übrigens wörtlich – die Zahl psychischer Erkrankungen bei Landwirten ist stark steigend), tragen nichts dazu bei, dass es sich zum Besseren wenden könnte. Im Gegenteil. Denn der wahre Schuldige ist nicht der Landwirt, der sich schon allein deshalb akribisch an die Gesetze hält, da nur dann ein Großteil seines Einkommens am Jahresende als Subvention aus Brüssel überwiesen wird. Viele Landwirte leiden heute unter der mörderischen Konkurrenz des Weltmarktes, sie leiden unter einem unerhörten Arbeitspensum, und sie leiden unter einer ausufernden Bürokratie, die sie mehr Zeit im Büro als auf dem Traktor verbringen lässt.
Die Schuldigen für die Misere sitzen in Berlin und Brüssel. Dort werden die Gesetze gemacht und damit die Voraussetzungen geschaffen für eine Landwirtschaft, die gar nicht gut ist für die Landwirte, für die Wildtiere, für die Flüsse und Seen, und für die Entwicklungsländer, und die nicht gut genug ist für die Nutztiere und die Verbraucher. Dorthin also, an die Politiker, an die Regierung, an die EU-Kommission, sollten wir gemeinsam unseren Zorn richten und unsere Trauer artikulieren, was sie aus dem „freien“ Beruf des Bauern gemacht haben in heutiger Zeit. Und unsere Ideen kundtun, wie es besser werden könnte.
Nicht gegen Landwirte, nicht gegen die Landwirtschaft. Sondern alle miteinander – die Produzenten und die Konsumenten. Die Riesen sollten den ersten Schritt tun. Heraus aus der Burg, runter ins Tal, zum Bauern.