
„Biodiversität ist ein ‚Motor‘ für ökosystemare Prozesse“
5. März 2025
Dass die Artenvielfalt kein Selbstzweck, sondern Grundlage für die Stabilität von Ökosystemen ist, dürfte bekannt sein. Doch was haben die mit uns Menschen zu tun? Warum sollten wir sie schützen? Was ist der Stand der Wissenschaft? Ein Ökologie-Professor hat hierüber kürzlich ein Buch veröffentlicht.
Interview mit Prof. Dr. Werner Härdtle
ÖkologiePolitik: Herr Prof. Härdtle, was hat Sie bewogen, ein Buch über Biodiversität zu schreiben?
Prof. Dr. Werner Härdtle: Der weltweite und unwiederbringliche Verlust an biologischer Vielfalt birgt – der Klimakrise vergleichbar – schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Risiken. Leider erfährt diese „Biodiversitätskrise“ derzeit keine angemessene gesellschaftliche und politische Wahrnehmung. Das Buch gibt erstmalig eine Übersicht über das heute verfügbare Wissen zur Bedeutung von biologischer Vielfalt für das „Funktionieren“ von Ökosystemen, für die von diesen erbrachten und von uns Menschen genutzten „Serviceleistungen“ und somit für gesellschaftlichen Wohlstand. Es versucht anhand von anschaulichen und leicht verständlichen Beispielen zu erklären, warum wir biologische Vielfalt als eine Art „Versicherung“ für unsere Lebensqualität verstehen müssen und warum umgekehrt ein Verlust an biologischer Vielfalt mit einem Verlust an Lebensqualität einhergeht.
Warum brauchen wir Biodiversität?
Wir müssen Biodiversität als eine Art „Motor“ für wichtige ökosystemare Prozesse verstehen, z. B. für den Wuchs von Bäumen, die Neubildung von sauberem Grundwasser, die Bereitstellung von Nahrung oder die Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid. Artenvielfalt und das Zusammenleben von ganz verschiedenen Pflanzen- und Tierarten sind eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Ökosysteme – einem Uhrwerk vergleichbar – „funktionieren“ und dass diese gegenüber Störungen oder Klimawandel stabilisiert werden, während ein kontinuierlicher Artenverlust dazu führen wird, dass die von uns Menschen zum Überleben notwendigen Ökosystem-Serviceleistungen abnehmen oder gar nicht mehr zustande kommen.
Was sind die größten Missverständnisse bzw. Mythen zu diesem Thema?
Wahrscheinlich fußen die größten Probleme im heutigen Umgang mit Ökosystemen und ihrer Biodiversität weniger auf Missverständnissen oder Mythen, sondern eher auf einer mangelnden Kenntnis um die Zusammenhänge zwischen Artenvielfalt und Ökosystem-Serviceleistungen sowie deren Bedeutung für gesellschaftlichem Wohlstand.
Welchen Einfluss hat die Klimaerwärmung auf die Biodiversität?
Klimaveränderungen erweisen sich derzeit – neben einer Zerstörung und Übernutzung von Lebensräumen – als wichtigste Faktoren für eine weltweite Gefährdung von Arten. Dabei wissen wir heute, dass Artenvielfalt Ökosysteme gegenüber Klimawandel wie auch die von Ökosystemen für uns Menschen erbrachten Serviceleistungen stabilisieren. So zeigen jüngere Untersuchungen, dass artenreiche Wälder gegenüber Trockenereignissen oder Temperaturstress resistenter sind als artenarme. Und auch in der Landwirtschaft benötigen wir artenreiche Bestäubergemeinschaften, ohne die landwirtschaftliche Erträge für viele kommerziell genutzte Pflanzenarten kaum möglich oder zumindest erheblich geringer wären.
Ist es angesichts der durch die Klimaerwärmung sich rapide wandelnden Rahmenbedingungen überhaupt sinnvoll, Ökosysteme bewahren zu wollen?
Eine Bewahrung von Ökosystemen und ihrer Artenvielfalt gewinnt gerade angesichts solcher Veränderungen an besonderer Bedeutung. Würde es uns z. B. nicht gelingen, unsere heimischen Laubwälder und die für sie charakteristischen Baumarten auch unter sich ändernden Klimabedingungen zu erhalten, so würden wir mit diesen auch wichtige Serviceleistungen wie die Produktion von Holz, die Neubildung von Grundwasser oder die Speicherung von Kohlendioxid verlieren.
Herr Prof. Härdtle, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
Buchtipp
Werner Härdtle
Biodiversität, Ökosystemfunktionen und Naturschutz
Springer Spektrum, Juni 2024
911 Seiten, 49.99 Euro
978-3-662-68235-7