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Grüner Populismus
10. Februar 2025
Das Weltbild, das Selbstverständnis und die Denkweise der Grünen analysiert in seinem Buch „In falschen Händen“ der Kultursoziologe und Dramaturg Bernd Stegemann. Er kommt zu dem Schluss, dass die Umweltpolitik bei den Grünen schlecht aufgehoben ist. Denn um die geht es ihnen nur noch am Rande.
von Günther Hartmann
Warum kündigte Annalena Baerbock bei ihrem Amtsantritt als Außenministerin an, sie werde eine „feministische Außenpolitik“ machen? Warum kündigte sie als Grüne keine „ökologische Außenpolitik“ an? Für Bernd Stegemann ist dies ein Zeichen dafür, dass bei den Grünen nicht mehr die Ökologie im Zentrum steht, sondern die Emanzipationsansprüche eines neuen Individualismus. Dies legt er in seinem Buch anhand vieler Beispiele dar. In den vier Kapiteln „Grüner Hochmut“, „Grüne Selbstsucht“, „Grüner Zorn“ und „Grüne Ignoranz“ analysiert er die Partei und deren Politik.
„Die Ökologie ist bei den Grünen in falschen Händen, da der Anspruchs-Individualismus den Blick auf das eigene Wohlbefinden richtet und der bevormundende Politikstil das Thema ‚Ökologie‘ zu einem verhassten Politikfeld gemacht hat“, resümiert Stegemann. „Der fundamentale Widerspruch der Grünen Partei besteht darin, dass eine Politik aus der radikalen Ich-Perspektive im kategorischen Widerspruch zur Ökologie steht.“
Identitätspolitik statt Universalismus
Da die Ansprüche der Einzelnen unendlich sind, geraten sie in einer endlichen Welt in Konkurrenz. Die Folge ist eine moralisierende Identitätspolitik. „Hier wird die Identität, die sich diskriminiert fühlt, zum Ausgangspunkt von Forderungen gemacht. Es werden Quoten, Sonderregeln und Bevorzugungen verlangt. Die Individualisierung erzeugt ihr Gegenteil. Galt anfänglich, dass jeder einzigartig ist, werden nun identitätspolitisch feste Einheiten konstruiert, die aufgrund ihrer gemeinsamen Kränkungserfahrungen als ein Berechtigungssubjekt auftreten“, stellt Stegemann fest. „Aus der Gesellschaft der Singularitäten wird eine gespaltene Gesellschaft, in der sich widerstreitende Identitätsgruppen anklagen.“
Die Spaltung nimmt groteske Formen an. „Der Fortschritt einer modernen Gesellschaft, in der für alle die gleichen universellen Regeln gelten, wird nun rückabgewickelt und von neu-altem Stammesdenken ersetzt“, drückt Stegemann dies pointiert aus. „Ethnizität, Religion oder sexuelle Orientierung werden zu Grenzen, anhand derer bestimmt wird, wer zu welcher Community gehört und wer nicht dazu gehören darf. Identität und Moral werden zu Waffen im Kampf um Anerkennung und Macht.“
Das hat für die Politik fatale Auswirkungen. Denn durch die ständige Betonung der Identität erstarkt auch das rechte Identitätsdenken mit seiner Betonung von Volk und Nation. Sowohl die links- als auch die rechtsidentitäre Ideologie sind in ihrem Kern archaisch und antimodern. Es geht nicht mehr um das bessere Argument, sondern um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, aus der ein Grad an Berechtigung für das Vorbringen von Forderungen abgeleitet wird.
Spaltende statt gemeinwohlorientierte Politik
In einem solchen Weltbild hat sachliche Kritik keinen Platz mehr. „Wer Grüne kritisiert, ist rechts, ein Klimaleugner und ein Menschenfeind“, stellt Stegemann fest. „Damit sichert sich die neue Mittelklasse ihre Hegemonie, auch wenn das bedeutet, dass die Gesellschaft immer weiter in verfeindete Lager zerfällt.“ Andere Sichtweisen und Interessen werden nicht als gleichberechtigt anerkannt. Und somit gibt es auch keinen Dialog. Und keine Kompromisse. Stattdessen wird polarisiert, wird die Welt grobschlächtig in Gut und Böse eingeteilt, gibt es nur noch ein banales Entweder-Oder: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!
Stegemann vergleicht den Umgang der Grünen mit Andersdenkenden oder gar Kritikern mit dem Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft: Mit grobem Geschütz wird das Feld vom „Bösen“ gereinigt, um Platz für das „Gute“ zu gewinnen. Doch diese Strategie funktioniert nur kurzfristig, langfristig führt sie in ein Desaster.
Die Eindimensionalität im politischen Denken der Grünen steht im krassen Widerspruch zu den Anforderungen der Ökologie. Die verlangt eigentlich ein betont ganzheitliches Denken, das die Vielfalt allen Lebens, insbesondere aber auch die Vielfalt des sozialen Lebens unserer Gesellschaft einbezieht. Und vor allem natürlich deren komplexe Beziehungen, Wechselwirkungen und Rückkopplungen. Dabei sollte auch immer in Betracht gezogen werden, dass die eigene Einschätzung und das eigene Handeln einem Irrtum unterliegen und korrigiert werden müssen.
Doch die Grünen praktizieren genau das Gegenteil: Sie polarisieren und versuchen, mit einem fragwürdigen Moralismus als Waffe, ihren Willen durchzusetzen. Dabei geht es ihnen nicht ums Gemeinwohl.
Individuelles Wohlbefinden als Maßstab
Doch um was geht es den Grünen und ihrem Milieu dann? Stegemann ist sich sicher: Es geht ihnen vor allem um ihr eigenes Wohlbefinden. Dazu gehört ein Gefühl von Bedeutsamkeit. Das wird erzeugt, indem die eigenen Standpunkte moralisch überhöht und andere Standpunkte moralisch abgewertet werden. Und was im grünen Milieu keine Relevanz hat, soll als politisches Problem auch nicht vorkommen.
Linksidentitäre Themen wie die geschlechtliche Identität haben z. B. für die Grünen eine sehr hohe Relevanz, Themen wie Löhne, Inflation, Wohnraum und Kriminalität eine geringe. In der Schulpolitik ist den Grünen vor allem wichtig, dass eine angeblich „gendergerechte Sprache“ verwendet wird, während es ihnen eher egal ist, dass in manchen Schulen aufgrund des hohen Anteils an Kindern mit mangelhaften Deutschkenntnissen kein richtiger Unterricht mehr stattfinden kann. Wer diesen Missstand kritisiert, wird als „Ausländerfeind“, „Rassist“ und „Nazi“ diffamiert und mundtot gemacht, während die eigenen Kinder auf teure Privatschulen geschickt werden.
Zum eigenen Wohlbefinden gehört aber natürlich auch die Umwelt. „Dadurch erscheint es so, als wären die Interessen des neuen Individualismus auch die Interessen der Ökologie“, bemerkt Stegemann. „Doch zwischen dem Egoismus, der in einer heilen Welt leben will, und den Netzen der Ökologie besteht ein kategorischer Widerspruch. An die Stelle einer geistigen Öffnung der Welt tritt eine strategische Empfindlichkeit, die als Waffe gegen andere und als Panzerung gegenüber der Ökologie wirkt.“
Es wird bei den Grünen zwar viel von Sensibilität geredet, doch damit sind vor allem die eigene Empfindsamkeit und die Störungen des eigenen Wohlbefindens gemeint, nicht das sensible Lösen von Problemen oder ein sensibler Umgang mit Kritikern.
Wie ökologische Politik aussehen müsste
Was müsste eine Partei, die eine ökologische Politik betreiben möchte, tun? „Sie müsste als Erstes die Vorlieben des grünen Milieus kritisieren“, antwortet Stegemann. „Sie müsste eine geistige Inspiration sein, sodass die Enge des Anspruchsindividualismus verlassen werden kann. Und sie müsste dazu motivieren, die paradoxe Ich-Perspektive infrage zu stellen.“ Stattdessen betreiben die Grünen das Gegenteil: Ihre „Umweltpolitik folgt der Logik des Populismus, nach der komplexe Probleme auf einfache Gegensätze reduziert werden, um dann einfache Lösungen anbieten zu können. Und sie folge dem Moralismus, der Sünder beschämt, um sie zu erziehen, und alle durch den öffentlichen Pranger ermahnt“.
Stegemann betont immer wieder, dass es um einen grundlegenden Paradigmenwechsel gehen sollte: „In den Anfängen der Umweltbewegungen war die Frage wichtig, wie die geistige Einstellung weniger konsumistisch und ökologischer werden kann. Diese Frage wurde unter dem Erfolg der Proteste der 1980er-Jahre vergessen. Sie heute wiederzubeleben, gehört zu dem komplexen Geflecht einer neu zu findenden ökologischen Politik. Die Grünen sind auf dem Weg zur Ökologie falsch abgebogen.“
Seit den 2000er-Jahren haben sie immer mehr die identitätspolitischen Themen und Methoden übernommen. Das erschien verlockend, „da Protestlogik und Identitätspolitik von einem Gruppendenken ausgehen, bei dem die individuellen Gefühle bestimmend sind. Je inniger die Fusion von Protest und Identitätspolitik andauert, desto weiter geraten die unbegriffenen Dimensionen der Ökologie in Vergessenheit“.
Schluss mit den Kulturkampf-Phrasen!
Grüne Umweltpolitik wurde immer mehr zur „Identitätspolitik, die die Natur zu einem Diskriminierungsopfer macht“. Doch daraus „wächst gerade kein Bewusstsein von vielfältigen Netzen, in denen das Leben eingewoben ist, und es entsteht kein ökologischer Geist. Statt Zusammenhänge bewusst zu machen, werden kulturpolitische Spaltungen produziert“. Konkret hört sich das dann wie bei der Klimaaktivistin Luisa Neubauer an: „Die Wurzeln der Klimakrise liegen in Macht-Hierarchien von Männern über Frauen, von weißen Menschen über People of Colour, von Männern über die Natur.“
Diese Erklärung ist natürlich bequem, weil sie den eigenen Lebensstil und die eigene CO2-Bilanz als Ursache konsequent ausklammert – zielführend ist sie nicht. Für Stegemann sind solche identitätspolitischen Phrasen „Gift für die sozialen Systeme, da sie kollektives Vertrauen zerstören“. Dieser populistische Kulturkampf blockiert den Durchbruch eines ökologischen Bewusstseins. Denn dies bedeutet vor allem, sich selbst als Teil und nicht als Mittelpunkt der Welt zu sehen. Stegemanns Fazit: „Die Grünen sind die Partei, die den Widerspruch zwischen Ökologie und Individualismus sowohl leugnen als auch für sich nutzen will. In dieser Paradoxie liegt das Geheimnis ihres Erfolgs und zugleich der Grund für die Verachtung, die sie in weiten Teilen der Bevölkerung erfährt.“
Obwohl Stegemann bei der Beschreibung einer wirklich ökologischen Politik nur vage Andeutungen macht, sind seine Ausführungen sehr erhellend, wichtig und richtungsweisend. Deshalb: Pflichtlektüre!
Bernd Stegemann
In falschen Händen
Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern
Westend, Januar 2025
174 Seiten, 18.00 Euro
Onlinetipps
Interview mit Bernd Stegemann
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www.t1p.de/uy0vv
Bernd Stegemann
In falschen Händen
Overton, 08.01.2025
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Bernd Stegemann
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