„Das Recht muss ökologisiert werden“
11. Dezember 2024
In unserem Rechtssystem wird die Natur als bloßes Objekt betrachtet. Das wird ihr nicht gerecht, ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und muss geändert werden – findet eine bayerische Bürgerinitiative. Sie sammelt derzeit Stimmen für ihr Volksbegehren „Rechte der Natur“ und will mit dem die bayerische Verfassung ändern.
Interview mit Hans Leo Bader
ÖkologiePolitik: Herr Bader, wer oder was ist „die Natur“?
Hans Leo Bader: Das ist eine gute Frage. Sie trifft den Kern dessen, worum es eigentlich geht. Um eine objektive oder um eine subjektive Sicht. Wir bezeichnen die Natur meistens als Umwelt, also etwas, was uns umgibt, und tun so, als wären wir davon völlig unabhängig. Wir als Menschen sind aber nicht nur Teil dieses großen Ganzen, sondern davon komplett abhängig. Das haben wir aber aus unserem Bewusstsein verdrängt. Statt das Wort „Umwelt“ wäre es vielleicht in Zukunft besser, das Wort „Mitwelt“ zu verwenden. Wenn man sich die Herkunft des Wortes „Natur“ anschaut, bekommt man vielleicht auch eine kleine Ahnung, was Natur sein könnte. Es stammt aus dem lateinischen „nasci“, das „geboren werden, wachsen, gedeihen, gezeugt werden“ bedeutet. „naturus, natura, naturum“ ist das Partizip Futur aktiv dieses passiven Wortes und bedeutet: „im Begriff sein, geboren zu werden, zu wachsen, zu gedeihen“.
Wie lässt sich begründen, dass die Natur eigene Rechte hat?
Am Ende schizophrenerweise mit unserer vorher bereits genannten Verwobenheit und totalen Abhängigkeit von der Natur. Ohne den Erhalt unserer Lebensgrundlagen wird u. a. auch die Spezies Mensch am Ende nicht überleben können. Wenn wir unsere Handlungsgrundlagen, die in ihrer jetzigen Form aktiv zur Zerstörung der allgemeinen – also auch unserer eigenen – Lebensbasis beitragen, nicht so anpassen, dass sie sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegen, wird es für zukünftige Generationen nicht einfach nur schwierig, ein gutes Leben zu haben, sondern voraussichtlich unmöglich, überhaupt ein würdevolles Leben führen zu können. Die Natur braucht eigentlich keine Rechte, denn sie wird sich am Ende immer durchsetzen, auch ohne den Menschen und seine Existenz. Aber wir als Menschen in unserer westlichen Gesellschaft benötigen diese Rechte, um uns unserer Verantwortung für den Erhalt der Funktionalität der uns versorgenden Ökosysteme, deren Teil wir sind, bewusst zu werden und diese Verantwortung auch wahrnehmen zu können. Die Natur um ihrer selbst willen zu erhalten und gleichzeitig aber ein Teil davon zu sein, scheint ein unlösbarer Knoten. Das Recht der Natur in unserem Rechtssystem auf Existenz, Regeneration, Entwicklung und Wiederherstellung sowie das Recht, diese Rechte auch durchsetzen und verteidigen zu können, ist ein wichtiger Schritt hin zu einer grundlegenden Änderung unserer Handlungsgrundlagen. Christian Rotta, ein Jurist und Verleger, schreibt in seinem Vorwort zu dem Buch „Das Meer klagt an“ von Laura Burgers und Jessica den Outer: „Recht und Natur müssen vom Kopf auf den Fuß gestellt werden. Nicht die Ökologie muss verrechtlicht, sondern das Recht ökologisiert werden. Das Konzept von Eigenrechten der Natur kann dabei eine bedeutende Rolle spielen und einen ersten Schritt aus der ökologischen Krise weisen.“
Warum dieses Volksbegehren?
Im Grunde genommen ist dieses Volksbegehren ein Beitrag der Zivilgesellschaft zur Umsetzung des Paris-Abkommens. Die Politik hat in den letzten 30 Jahren in über 20 Völkerrechtsabkommen Vereinbarungen zur Sicherung der ökologischen Integrität unterschrieben. In der nationalen Umsetzung aber bleibt die Politik in den Nationalstaaten trotzdem notwendige Ergebnisse schuldig. Im Paris-Abkommen ist auch die zivilgesellschaftliche Ebene aufgefordert, etwas beizutragen, um hier vorwärtszukommen. Die Bewegung der Rechte der Natur ist bereits erfolgreich in vielen Staaten aktiv, in Ecuador z. B. sind die Rechte der Natur bereits seit 2008 in der Verfassung verankert. In Neuseeland und Kolumbien z. B. wurden Flüsse zu Rechtspersonen erklärt. Auch in Europa wurde in Spanien das Mar Menor 2022 zur juristischen Person erklärt. Rechte der Natur sind am Ende ein kleiner Schritt und Beitrag zur Entwicklung einer sozial-ökologischen Rechtsordnung. Prof. Dr. Jens Kersten hat hier im Jahr 2022 einen interessanten Vorschlag zur Entwicklung eines ökologischen Grundgesetzes gemacht. Es geht also darum, einen Prozess in Gang zu setzen, der uns auch in Zukunft ein gutes Leben ermöglicht und die Handlungsgrundlagen unserer Gesellschaft positiv weiterentwickelt.
Wer steckt hinter dem Volksbegehren?
Das Volksbegehren „Rechte der Natur“ ist eine unabhängige, überparteiliche Bürgerinitiative, die sich inzwischen im Rahmen eines immer größer werdenden Netzwerkes „Rechte der Natur“ mit Sitz in Hamburg universitär begleitet darum bemüht, die Rechte der Natur nach dem Vorbild Ecuadors in die Verfassungen der Bundesländer zu implementieren. Schirmherrin und Schirmherr sind die Rechtsprofessorin Teresa Vicente, die maßgeblich für die Bürgerinitiative Mar Menor in Spanien verantwortlich zeichnet, und Alberto Acosta, der ehemalige Präsident der verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors und maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Rechte der Natur dort verankert wurden. Großes Ziel ist natürlich die Verankerung im Grundgesetz. Da jedoch auf Bundesebene die Möglichkeiten der Bürger hier beschränkt sind, fokussiert sich die Bürgerinitiative auf die Verfassungen der Bundesländer.
Wie ist der Stand? Und wie geht’s weiter?
Zurzeit geht es darum, das Thema „Rechte der Natur“ bzw. „ökologische Rechtsordnung“ möglichst in die Breite zu bekommen. Aus diesem Grund sollen in der Antragsphase mindestens 300.000 Unterschriften gesammelt werden. Für das Volksbegehren sind unter anderem inzwischen mehr als 120 Bürger unterwegs, die Unterschriften sammeln. Zurzeit sind 1.000 Listen à 30 Unterschriftsmöglichkeiten im Umlauf. Wir bereiten gerade die zweite Charge von 10.000 Listen vor, sind immer wieder auf Veranstaltungen unterwegs und sammeln Bündnispartner ein. Auch die ÖDP ist hiermit aufgefordert, sich zu engagieren. Das Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ hat ja gezeigt, welches Potenzial hier schlummert. Die größte Hürde jenseits der Unterschriften ist natürlich die Finanzierung. Das Volksbegehren kostet einen höheren sechsstelligen Betrag, der vom Initiator getragen werden muss. Auch das muss noch über Spenden und Unterstützer organisiert werden. Internationale Unterstützung haben wir durch die UN erfahren. Im April 2023 war ich vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeladen, um im Rahmen des Volksbegehrens eine Rede unterstützend für die Einrichtung einer Earth Assembly zu halten. Mit verschiedenen Universitäten arbeiten wir an der Etablierung der Earth Assembly Germany, sodass Deutschland dort offiziell unterstützend vertreten ist. Denn die Herausforderungen der Zukunft werden wir nur gemeinschaftlich in Zusammenarbeit aller Ebenen von Zivilgesellschaft, Staaten, Politik und auch der Wirtschaft bewältigen können, so wie es auch im Biodiversitätsabkommen von Montreal/Kunming aus dem Dezember des Jahres 2022 vereinbart wurde, in dem auch die Rechte der Natur als Instrument zur Bewältigung der sozial-ökologisch notwendigen Transformation verankert sind.
Herr Bader, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und viel Erfolg!
Onlinetipps
Hans Leo Bader
Rechte der Natur – Das Volksbegehren
https://gibdernaturrecht.muc-mib.de
Christine Ax
Netzwerk Rechte der Natur
www.rechte-der-natur.de
Buchtipps
Bernd Söhnlein
Die Natur im Recht
Vision einer ökologischen Rechtsordnung
oekom, Oktober 2024
200 Seiten, 26.00 Euro
978-3-98726-122-0
Katharina Bader-Plabst
Natur als Rechtssubjekt
Die neuseeländische Rechtsetzung als Vorbild für Deutschland
Springer, März 2024
345 Seiten, 89.99 Euro
978-3-658-44120-3
Matthias Kramm (Hrsg.)
Rechte für Flüsse, Berge und Wälder
Eine neue Perspektive für den Naturschutz
oekom, November 2023
112 Seiten, 20.00 Euro
978-3-98726-039-1
Elisabeth Weydt
Die Natur hat Recht
Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen – für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur
Knesebeck, September 2023
288 Seiten, 20.00 Euro
978-3-95728-723-6
Laura Burgers, Jessica den Outer
Das Meer klagt an!
Der Kampf für die Rechte der Natur
Hirzel, März 2023
128 Seiten, 18.00 Euro
978-3-7776-3311-4
Jens Kersten
Das ökologische Grundgesetz
C.H.Beck, Oktober 2022
241 Seiten, 34.95 Euro
978-3-406-79545-9