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Anleitung zum Erringen der Weltherrschaft

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Zbigniew Brzezinskis „Die einzige Weltmacht“ wurde neu aufgelegt. In dem Buch erläutert der einflussreiche Politikwissenschaftler und Regierungsberater, welche Strategie die USA verfolgen sollten, um ihre globale Vormachtstellung zu sichern und auszubauen. Das Buch wurde sicherlich auch in Russland aufmerksam gelesen.

von Günther Hartmann

 

Kennen Sie das Brettspiel „Risiko“? Als Jugendliche haben wir es oft bis in die frühen Morgenstunden gespielt – so faszinierend fanden wir es. Ziel eines jeden Spielers ist, die Weltherrschaft zu erringen. Je mehr Länder und Kontinente ein Spieler besitzt, desto mehr neue Armeen kriegt er in jeder Spielrunde hinzu. Er muss sie aber strategisch klug einsetzen und darf sie nicht in unnötigen Schlachten verlieren.

Bei einer Schlacht ist der Verteidiger immer klar im Vorteil, sodass der Angreifer für einen Sieg mindestens 2-mal so viele, besser 3-mal so viele Armeen besitzen sollte. Es ist dem Erfinder des Spiels gelungen, die Siegwahrscheinlichkeiten von militärischen Kräfteverhältnissen durch eine ausgeklügelte Würfelregelung realitätsnah abzubilden.

 

Plausibilität der angeblichen Bedrohung

3-mal so stark muss ein Angreifer sein, damit er eine Schlacht mit großer Wahrscheinlichkeit gewinnt – mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf sollten wir die aktuellen Geschehnisse betrachten: Der Militäretat der NATO ist rund 12-mal so hoch wie der Russlands. Damit der Militäretat Russlands 3-mal so hoch wie der der NATO wird, müsste es ihn also ver-36-fachen – und die NATO dürfte derweil ihren nicht erhöhen. Da der Militäretat Russlands aktuell 6 % seines Bruttoinlandsprodukts beträgt, müsste es ihn auf über 200 % erhöhen.

Sicherlich entsprechen die militärische Kräfteverhältnisse nicht exakt den Militäretats. Bei den Flugzeugen beträgt das Verhältnis 22.300 : 4.800 zugunsten der NATO, bei den Helikoptern 8.950 : 1.540, bei den Flugzeugträgern 16 : 1, bei den Helikopterträgern 13 : 0, bei den gepanzerten Fahrzeugen 850.000 : 161.000. Das deutet alles nicht darauf hin, dass Russland imperialistische Pläne verfolgt und in absehbarer Zeit in der Lage wäre, die NATO anzugreifen.

Doch genau dies behaupten Pistorius, Hofreiter, Strack-Zimmermann, Kiesewetter & Co. unermüdlich: Russland würde nach einem Sieg in der Ukraine sofort dazu übergehen, NATO-Mitgliedsstaaten angreifen – wenn wir nicht sofort anfangen, massiv aufzurüsten und „kriegstauglich“ zu werden. Was ist da los? Was geht in den Köpfen solcher Politiker vor?

 

Zwei Erklärungsversuche für Militarisierung

In den USA kursieren zwei unterschiedliche Theorien zur Erklärung der neuen Lust am Aufrüsten. Die erste Theorie – zu deren Vertretern z. B. der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs gehört – geht davon aus, dass die US-Politik ziemlich planlos agiert und vornehmlich das tut, was die Militärindustrie von ihr wünscht. Die will vor allem, dass es auf der Welt ständig irgendwo Spannungen und Konflikte gibt, um ihre Waffen verkaufen zu können. „Je mehr Kriege, desto lukrativer das Geschäft“, bringt es Sachs auf den Punkt.

Die zweite Theorie hingegen findet, dass die US-Politik durchaus planvoll agiert: dass sie einen geostrategischen Masterplan verfolgt. Deren Vertreter verweisen gerne auf Zbigniew Brzezinski und dessen 1997 veröffentlichtes Hauptwerk „Die einzige Weltmacht“ – im englischen Original: „The Grand Chessboard“. Brzezinski war unter mehreren US-Regierungen als Berater tätig und hat deren Außenpolitik maßgeblich geprägt.

 

Brzezinskis geostrategischer Masterplan

Die von Brzezinski entwickelte Strategie dient dem Ziel, die USA zur „einzigen“ und in der Menschheitsgeschichte auch „letzten“ Weltmacht zu machen. Eurasien ist dabei „das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft ausgetragen wird“. Denn Brzezinski ist der Überzeugung, dass derjenige, der in Eurasien die Vorherrschaft erringt, damit auch die Vorherrschaft über die gesamte übrige Welt gewinnt. Weil Eurasien der mit Abstand größte Kontinent ist und die größten Öl-, Gas- und Rohstoffvorkommen besitzt.

Ein transatlantisch orientiertes Europa soll für die USA die Funktion eines Brückenkopfes spielen, sich immer weiter nach Osten ausdehnen und so den Einfluss der USA auf dem eurasischen Kontinent stärken. Der Ukraine kommt dabei aufgrund ihrer geografischen Lage eine Schlüsselrolle zu: „Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihr bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Transformation Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ Deshalb ist in der Ukraine eine pro-westlich eingestellte Regierung besonders wichtig.

Natürlich bedeutet die schrittweise Ost-Erweiterung der NATO eine massive Missachtung der Interessen Russlands und eine Bedrohung seiner Souveränität. Doch darin sieht Brzezinski kein Problem – im Gegenteil. Er gesteht Russland kein Recht auf einen eigenen geostrategischen Einflussbereich zu und rechnet damit, dass es durch eine entschlossene Ausgrenzung sowie die militärische, technologische und wirtschaftliche Überlegenheit der USA und ihrer Verbündeten zunehmend destabilisiert wird und irgendwann kollabiert.

Dann sollte Russland in 3 oder 4 kleinere Staaten aufgespalten werden, schlägt Brzezinski vor. Womit die US-amerikanische Vorherrschaft in Euroasien langfristig gesichert wäre.

 

Zbigniew Brzezinski
Die einzige Weltmacht
Amerikas Strategie der Vorherrschaft und der Kampf um Eurasien
Nomen, September 2024
295 Seiten, 20.00 Euro
978-3-939816-97-3


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Hauke Ritz
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Blätter für deutsche und internationale Politik, Juli 2008
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