Die Judenstraße im mittelalterlichen Stadtzentrum Kempens – Foto: Jeyaratnam Caniceus

Gesellschaft & Kultur

„Ursprünglich hatte ich nicht die Absicht, lange hier zu bleiben“

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Heimat – persönliche Erfahrungen III: Normalerweise denken wir nicht viel über sie nach. Denn sie ist einfach da. Doch was ist, wenn wir die alte verlassen und uns in einer neuen niederlassen? Einwanderer können deshalb viel über Heimat sagen. Wie war das für einen Sri-Lanka-Tamilen, dessen Flucht in NRW endete?

Interview mit Jeyaratnam Caniceus

 

ÖkologiePolitik: Herr Caniceus, seit wann leben Sie in Deutschland?

Jeyaratnam Caniceus: Ich lebe seit Mai 1985 in Deutschland, seit Anfang 1998 in meiner heutigen Heimatstadt Kempen.

Was war der Grund, sich hier niederzulassen?

Damals herrschte in Sri Lanka ein furchtbarer Bürgerkrieg, der es mir unmöglich machte, meine Schullaufbahn fortzusetzen. Es bestand dort jederzeit die Gefahr, verhaftet oder ermordet zu werden. Deshalb verließ ich das Land und beantragte in Deutschland Asyl. Anfangs lebte ich in Tönisvorst, heiratete dann und zog aufgrund des Mangels an Wohnraum ins benachbarte Kerken, wo meine Familie um zwei Kinder wuchs. Letztlich entschieden wir uns aufgrund der besseren Infrastruktur und Schulen, nach Kempen zu ziehen.

Fühlen Sie sich heute heimisch?

Ja. Obwohl meine Ausgangslage äußerst ungünstig war. Die damalige Flüchtlingspolitik war nicht auf Integration ausgerichtet, sondern von vielerlei restriktiven Maßnahmen geprägt. Flüchtlinge wurden in Unterkünfte eingewiesen, wo es kaum Betreuung oder soziale Unterstützung gab. Doch trotz eines Arbeits- und Ausbildungsverbots und ohne fundierte Sprachkenntnisse gelang es mir, eine Berufsausbildung und anschließend die Meisterausbildung zu absolvieren.

Dauerte es lange, bis Sie sich heimisch fühlten?

Ja. Ursprünglich hatte ich auch gar nicht die Absicht, lange hier zu bleiben. Doch sehr schnell wurde mir bewusst, dass eine Rückkehr nach Sri Lanka kaum möglich sein würde. Deshalb habe ich mit aller Kraft versucht, in Deutschland eine neue Heimat zu finden. Ich knüpfte Kontakte und begann nach meiner Ausbildung, politisch aktiv zu werden. Alles entwickelte sich danach sehr schnell. Inzwischen lebe ich seit 39 Jahren in Deutschland und fühle mich heimisch. Die Frage ist aber, ob ich auch von den Einheimischen als einer der ihren angesehen werde.

War es schwierig? Was war dabei wichtig?

In Deutschland Fuß zu fassen und heimisch zu werden, war für die allermeisten Flüchtlinge unmöglich. Es gab Ausbildungsverbote, Arbeitsverbote, Abschiebungen und Abschreckungsmaßnahmen. In dieser Situation sind viele auf die schiefe Bahn geraten, flüchteten in Alkohol und Drogen. Für mich haben sich die Kontakte zu Einheimischen – besonders im Umfeld der katholischen Kirche – als sehr wichtig und hilfreich erwiesen. Ich konnte meinen Ausbildungsplatz nur durch Beziehungen erhalten. Gegenseitiges Vertrauen war dabei eine wichtige Grundlage.

Wie wichtig ist die Sprache, um sich heimisch zu fühlen?

Sprache ist bekanntermaßen der Schlüssel zur Welt. Ohne ausreichende Sprachkenntnisse sind alle Bemühungen um Integration zum Scheitern verurteilt. Doch die deutsche Sprache ist ausgesprochen schwer und komplex. Und damals gab es nur sehr begrenzte und kaum passende Sprachangebote. Ich hatte sehr wenigen Sprachunterricht und habe mir viel selbst beigebracht.

Was betrachten Sie noch als Ihre Heimat?

Ich definiere Heimat für mich emotional und kulturell, nicht materiell oder geografisch. Damit hebe ich mich vom landläufigen Heimatbegriff ab. Wikipedia definiert Heimat als eine Beziehung zwischen Mensch und Raum, als den Ort, in den ein Mensch hineingeboren wird und der seine Identität, Mentalität, Einstellungen und Weltauffassungen prägt. So einfach ist das bei mir nicht! Als Heimaten empfinde ich meine Aktivität in der Kirche, mein politisches Engagement, meine Beteiligung in Vereinen, meine Rolle als Familienvater und meine große Verwandtschaft.

Welche dieser Heimaten ist Ihnen am wichtigsten?

Alles, was ich gerade genannt habe, ist jeweils ein Puzzleteil, das nahtlos in ein anderes passt. Und zusammen erzeugen sie ein vollständiges und intaktes Heimatgefühl.

Herr Caniceus, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


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