„Wärme stinkt nicht!“
11. März 2024
Die Nutzung von Wärmepumpen im urbanen Raum ist schwierig. Luftwärmepumpen haben hier oft keinen Platz. Oder sie stören. Geothermische Bohrungen sind erst recht nicht möglich. Aber unter unseren Städten liegt eine große und bislang noch viel zu wenig beachtete Wärmequelle: unser Abwasser.
Interview mit Prof. Dr.-Ing. Volker Stockinger
ÖkologiePolitik: Herr Prof. Stockinger, warum und wie lässt sich aus Abwasser Wärme gewinnen?
Prof. Dr.-Ing. Volker Stockinger: Durch den Einsatz von Wärmepumpen. Die ziehen aus einer Umgebung mit niedrigerer Temperatur mithilfe von elektrischem Strom sehr effizient Wärmeenergie, um höhere Temperaturen zu erzeugen – z. B. von 5 °C auf 50 °C. Außenluft oder Grundwasser können als Wärmequelle dienen. Oder eben Abwasser. Gerade Abwasser hat selbst im Winter meist eine Temperatur von über 10 °C – und ist damit eine tolle Wärmequelle!
Welches Potenzial steckt in dieser Methode?
Ein großes. Gerade für Städte, denn die stellen für die Wärmewende eine große Herausforderung dar, da es dort oft keine Flächen für Erdwärmesonden oder Erdwärmekollektoren gibt und der flächendeckende Einsatz von Luftwärmepumpen zum Problem werden könnte. Neben Fernwärme und Abwärme bietet sich die Nutzung von Abwasser an. Die Kanäle sind ja schon vorhanden. Zudem hängen die Abwassermenge und der Wärmebedarf mit der Einwohnerdichte zusammen. Wo der Wärmebedarf höher ist, ist meist auch mehr Abwasser vorhanden. Rund 10 % des deutschen Gesamtwärmebedarfs würden sich wohl über die Nutzung des Abwassers decken lassen.
Warum wurde das bislang vernachlässigt?
Bis vor 2 Jahren waren fossile Energieträger einfach zu günstig. Der Ukraine-Krieg und die daraus resultierenden stark gestiegenen Energiepreise haben zu einem Umdenken geführt. Es ist vorteilhaft, von Energielieferungen aus dem Ausland unabhängig zu sein. Als Energiequelle für Wärmepumpen sind Luft und Erdwärme bereits etabliert, Abwasser ist es noch nicht. Das liegt an verschiedenen Gründen, die mögliche Investoren bisher abschreckten: z. B. die notwendige Erlaubnis der Entwässerungsbehörde; der Platzbedarf für externe Wärmetauscher; die Notwendigkeit, dass große Abwassermengen mit einem großen Wärmebedarf zusammenkommen, was aber in der Quartierswärmeversorgung meist der Fall ist. Größere Wärmeabnehmer scheuen den Eingriff in städtische Kanäle. Und Kanalnetzbetreiber gehen hauptsächlich ihrer hoheitlichen Pflicht der Abwasserbehandlung nach und sehen sich nicht als Energielieferant. Wir haben hier einen blinden Fleck am Übergang zweier Verantwortlichkeiten, der noch nicht allumfassend geklärt ist. Dies muss aber aufgrund des Potenzials zwingend geschehen, denn: Wärme stinkt nicht!
Wie sieht der aktuelle Stand der Technik aus? Und was braucht es noch, um die Methode zu etablieren?
Die nötige Technik ist bereits vorhanden. Sie hat sich in einer Vielzahl von Projekten bewährt und ist im Grunde etabliert. Ein Beispiel hierfür ist die Wohnanlage „Lagarde-Campus“ im Herzen von Bamberg. Wie so oft liegt die Herausforderung nicht mehr in der Technik selbst, sondern in der Überzeugungsarbeit. Bei den Kanalnetzbetreibern muss Aufklärungsarbeit geleistet werden, um unbegründete Bedenken abzubauen. Eine Schlüsselrolle kommt den Stadtwerken zu, da die Abwassernutzung besonders bei Quartierwärmeversorgungen wirtschaftlich ist. Da die Abwassertemperaturen an den meisten Stellen im Kanalnetz nicht bekannt sind, weil diese Information bisher keine relevante Messgröße war, müssen Messstellen installiert werden, um das Potenzial besser abschätzen und im späteren Betrieb überwachen zu können.
Herr Prof. Stockinger, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
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