Von Früher und Heute
10. November 2023
Dieser Text entsteht am 85. Jahrestag des Pogroms vom 9. November 1938. Leider kann man nicht nur über Vergangenes nachdenken. Man muss sich über die Gegenwart Gedanken machen. Und doch denke ich zuerst an früher. In meiner Regensburger Heimatstadt gab es im Februar 1521 – also nicht im „finsteren“ Mittelalter, sondern zu Beginn der Neuzeit (!) – ein mörderisches Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung mit Vertreibung aller Familien bei Eiseskälte, Abbruch der Synagoge, Schändung des Friedhofes und der Zerstörung des ganzen jüdischen Stadtviertels.
Der geistige Zwilling des Pogroms scheint das widerliche Gerede zu sein, dass „es ja nicht im luftleeren Raum geschah“: Die in wirtschaftliche Probleme geratene Bürgerschaft der freien Reichsstadt hatte sich im 15. Jahrhundert bei den Juden hoch verschuldet – und Gläubiger werden dem Schuldner oft zum Problem, hieß es „erklärend“ im Geschichtsunterricht. Auch wenn in meiner Kindheit der 1950er-Jahre über den Holocaust geredet wurde, fand sich immer jemand, der etwas über einen besonders reichen und „gerissenen“ Geschäftsmann jüdischer Herkunft oder über die „Macht der Finanzwelt“ erzählen konnte. Als ob das eine etwas mit dem anderen zu tun hätte.
Die Erinnerung an frühere, und das Entsetzen beim Innewerden heutiger Mordtaten gegen jüdische Menschen muss Trauer und Entschiedenheit auslösen. Es darf kein „verstehendes Erklären“ zu Pogromen geben und erst recht kein Verständnis für deren Organisatoren und Sympathisanten!