„Ohne Mücke keine Schokolade“
10. Mai 2023
Die Vielfalt an Arten und Ökosystemen ist massiv bedroht. Aber warum ist sie eigentlich so wichtig? Sind im Lauf der Evolution nicht schon viele Arten ausgestorben? Können wir Heutigen nicht einfach auf die eine oder andere Art verzichten? Warum wir das besser nicht tun sollten, erklären zwei Umweltberaterinnen.
Interview mit Dr. Hilke Oberhansberg und Dr. Frauke Fischer
ÖkologiePolitik: Frau Dr. Oberhansberg, Frau Dr. Fischer, Sie haben zusammen zwei Bücher über Biodiversität geschrieben. Warum? Und warum gleich zwei?
Dr. Hilke Oberhansberg und Dr. Frauke Fischer: Eigentlich, weil wir uns immer gefragt haben, warum nicht jeder ein Fan von Biodiversität ist. Es ist doch faszinierend, mit welcher Perfektion und Genialität die Natur in ihren Ökosystemen großartige Dinge hervorbringt, von denen wir Menschen lebensnotwendig abhängen, wie Nahrung und Rohstoffe, saubere Luft, Trinkwasser, Arzneimittel, Katastrophenschutz, um nur einige zu nennen. Gleichzeitig haben wir immer wieder festgestellt, dass kaum jemandem diese Abhängigkeit klar ist und auch kaum jemand weiß, was es braucht, um diese Systeme am Laufen zu halten – nämlich Biodiversität. Darum scheint der Schutz von Biodiversität für viele Menschen auch kein wichtiges Thema. Wir haben das erste Buch also geschrieben, um zu erklären, was Biodiversität bedeutet und wie es um sie steht, in der Hoffnung, Begeisterung oder zumindest mehr Respekt vor ihr zu wecken. Das zweite Buch ist der Beobachtung geschuldet, dass sehr oft Klimawandel und Biodiversität als zwei verschiedene Dinge betrachtet werden. Als könnten wir uns entscheiden, um was wir uns zuerst kümmern. Das ist aber ein fataler Irrtum, denn beide Dinge sind nicht nur eng verwoben, sie können auch nur gemeinsam gelöst werden. Darum geht es im zweiten Buch.
Die Titel Ihrer Bücher machen neugierig. Tun Mücken tatsächlich etwas für uns?
Ganz sicher. Mücken stehen am Anfang langer Nahrungsketten und komplexer Nahrungsnetze. Wer sich an einem Froschkonzert und dem Gesang von Vögeln erfreuen oder ein Forellenfilet genießen möchte, profitiert von Mücken. Ein Totschlagargument gibt es auch noch: Zwei Arten von Bartmücken sind die mit Abstand wichtigsten Bestäuber von Kakao. Damit heißt es: Ohne Mücke keine Schokolade!
Und beeinflussen Wale tatsächlich das Klima?
Ja, Wale sind schwimmende Kohlenstoffspeicher. Anders als große landlebende Tiere, versinken sie nach ihrem Tod im Meer und werden oft im Sediment eingebettet. So binden sie über sehr lange Zeiträume Kohlenstoff. Dazu kommt, dass ihr spezieller Kot Algen, die besonders viel CO2 binden, sehr gut düngt. Auch damit tragen sie zum Klimaschutz bei. Weil wir die großen Wale aber mittlerweile zu seltenen Tieren gemacht haben, können sie diese Serviceleistungen nur noch eingeschränkt erbringen.
Welches sind die größten Bedrohungen der Biodiversität?
Am bedeutendsten sind fünf Faktoren – fünf menschengemachte Faktoren: Landnutzungsänderungen wie z. B. die Rodung von Regenwäldern für das Anlegen von Feldern oder Weiden, direkte Verfolgung, Umweltgifte, Klimawandel und invasive Arten.
Welche Bedrohungen entstehen durch schwindende Biodiversität?
Es geht schlicht um unser Überleben. Biodiversität ist die Voraussetzung für die Erbringung von Ökosystemleistungen wie die Bereitstellung fruchtbarer Böden, Bestäubung, das Reinigen von Luft und Wasser, die Aufrechterhaltung weltweiter Wasser- und Nährstoffkreisläufe, die Regulation von Krankheiten oder des Weltklimas. Das alles können wir entweder gar nicht, nur teuer oder unzulänglich ersetzen und keinesfalls bezahlen. Der Wert der weltweiten Ökosystemleistungen übersteigt den Wert des weltweiten Bruttosozialprodukts etwa um den Faktor 2. Mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts ist wiederum direkt oder indirekt von Leistungen der Natur abhängig.
Welche Rolle spielt dabei die Klimaerwärmung?
Eine sehr große. Einerseits machen steigende Temperaturen, Trockenheit oder Fluten natürlich auch Pflanzen und Tieren zu schaffen. Sie sind zwar bedingt in der Lage, sich an Veränderungen anzupassen, durch Arealverschiebungen oder Verhaltensänderungen, aber dieser Anpassung sind Grenzen gesetzt und damit ist Biodiversität vom Klimawandel bedroht. Das ist besonders „unpraktisch“, weil auf der anderen Seite intakte Natur genau das ist, was wir Menschen brauchen, um mit dem sich ändernden Klima zurechtzukommen. Vegetation bietet uns Schatten, Verdunstungskühlung, Wasserspeicherung und Schutz vor Fluten. Alles Leistungen, die wir in Zukunft dringender brauchen denn je. Und obendrein sind in intakten Ökosystemen riesige Mengen Kohlenstoff gespeichert. Zerstören wir sie, werden diese Mengen frei und treiben den Klimawandel zusätzlich an.
Ist es angesichts der sich aufgrund der Klimaerwärmung rapide wandelnden natürlichen Rahmenbedingungen überhaupt sinnvoll, natürliche Gleichgewichte bewahren zu wollen?
Aus Sicht des Menschen auf jeden Fall. Die Natur wird auch unter neuen klimatischen Bedingungen irgendwann wieder in ein Gleichgewicht finden. Nur für uns Menschen wird dieses Gleichgewicht keine angenehmen, vermutlich sogar unerträgliche Lebensbedingungen bieten. Wenn wir es ernst meinen und endlich anfangen, haben wir momentan noch eine Chance, mithilfe der Leistungen der Natur und der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft die Klimaveränderung auf ein Maß zu begrenzen, dass auch den kommenden Generationen ein Leben auf der Erde möglich macht. Diese Chance aufzugeben, wäre für den Menschen fatal.
Frau Dr. Oberhansberg, Frau Dr. Fischer, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Buchtipps
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg
Wal macht Wetter
Warum die biologische Vielfalt unser Klima schützt
oekom, März 2023
208 Seiten, 24.00 Euro
978-3-96238-419-7
Frauke Fischer, Hilke Oberhansberg
Was hat die Mücke je für uns getan?
Endlich verstehen, was biologische Vielfalt für unser Leben bedeutet
oekom, Oktober 2020
224 Seiten, 20.00 Euro
978-3-96238-209-4