Forschungshäuser in Bad Aibling: identische Grundrisse, unterschiedliche Baumaterialien – Foto: Sebastian Schels

Bauen & Verkehr

„Innovation durch Reduktion“

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Bauen wird immer komplizierter. Das führt in der Planung und Ausführung zu Fehlern. Und die fertigen Gebäude überfordern Bauherren und Nutzer. Das ist nicht nachhaltig. Ein Architekturprofessor initiierte deshalb eine Gegenbewegung und führte unter dem Titel „Einfach Bauen“ ein interessantes Forschungsprojekt durch.

Interview mit Prof. Florian Nagler

 

ÖkologiePolitik: Herr Prof. Nagler, wie robust sind heute errichtete Gebäude?

Prof. Florian Nagler: Sprechen wir von Deutschland? Sogar hier bei uns gibt es eine große Bandbreite. Einige wenige Kolleginnen und Kollegen bauen seit Jahrzehnten eher traditionell und damit auch ziemlich robust. Das Gros der Bauproduktion allerdings setzt vermehrt auf aufwendige Haustechnik, aber auch Baukonstruktion – vereinfacht ausgedrückt: viel zu kompliziert. Und das macht die Gebäude störungsanfällig. Das betrifft zum einen die Ausführung – wir haben ja nicht nur Top-Handwerker auf unseren Baustellen – und zum anderen den Gebrauch. Viele Nutzer sind von der immer komplizierter werdenden Haustechnik oft schlicht überfordert. Das Ziel muss daher sein, einfacher zu bauen: weniger auf den Einsatz komplizierter Technik zu setzen, und mehr auf das, was Architektur eigentlich von sich aus leisten kann.

Was ist denn an heutigen Gebäuden so kompliziert?

Die Anforderungen an die Gebäude wurden in den letzten Jahren vor allem hinsichtlich Schallschutz, Gebäudehülle und Energieverbrauch immer weiter hochgeschraubt – was mir nicht in allen Fällen als sinnvoll erscheint. Beim Schallschutz sind die Anforderungen aus meiner Sicht inzwischen völlig überzogen, aber auch beim Dämmstandard haben wir inzwischen längst die Grenze dessen, was sinnvoll ist, erreicht bzw. überschritten. Das hat zu komplexen Lösungen geführt: in der Baukonstruktion zu vielschichtigen Konstruktionen, bei denen jede Schicht ein besonderes Problem lösen soll, wobei allerdings auch jede Schicht mit einer eigenen Fehleranfälligkeit behaftet ist. Die Haustechnik ist inzwischen bisweilen so kompliziert, dass es Jahre dauert, bis sie einwandfrei funktioniert – wenn überhaupt. Es tut sich eine Lücke auf zwischen dem, was in der Planung theoretisch z. B. für den Energieverbrauch ermittelt wird, und dem, was sich in der Praxis hinterher als Realität herausstellt – so z. B. beim Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf, das wir gemeinsam mit meinem Kollegen Hermann Kaufmann geplant und gebaut haben.

Seither interessieren Sie sich für „einfaches Bauen“?

Ja, das Gymnasium und auch andere Projekte haben mir klargemacht, dass hier die Richtung nicht mehr stimmt, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. Glücklicherweise konnten wir in den letzten Jahren mit dem Forschungsprojekt „Einfach Bauen“ an der TU München wissenschaftlich untersuchen, wie wir auch anders – einfacher! – bauen können. In Bad Aibling errichteten wir drei Forschungshäuser in Beton-, Ziegel- und Holzbauweise. Sie sollten mit möglichst wenig Haustechnik auskommen, konstruktiv radikal einfach – möglichst monolithisch – gebaut sein und dabei schöne und angenehme Räume bieten, die gut belichtet sind, sich im Sommer nicht überhitzen und im Winter wenig Energie zum Heizen brauchen. „Innovation durch Reduktion“ lautete das Motto. Alles weglassen, was sich nur begrenzt bewährt hat und wieder neue Probleme erzeugt! Das hat nichts mit irrationaler Technikfeindlichkeit zu tun. Im Gegenteil: Dem Bauen ging eine lange Serie von Berechnungen und Simulationen voraus, um den Entwurf zu optimieren.

Was wurde da optimiert?

Optimieren bedeutet nicht maximieren, sondern die Dinge in ein optimales Verhältnis zueinander bringen, d. h. Raumgröße, Raumhöhe, Fenstergröße, Anordnung der Fenster, Einsatz von Speichermassen und das eingesetzte Material ausgewogen einsetzen. Die Räume z. B. sind mit 3,30 m ungewöhnlich hoch, doch das erwies sich in Zusammenhang mit den anderen Parametern als ideal für ein gutes Raumklima. Wir gingen von einem 18 m2 großen Wohnraum aus und untersuchten verschiedene Geometrien, Raumhöhen und Fenstergrößen. Wir wollten wissen, welche Räume im Sommer die geringste Zahl an Überhitzungsstunden haben und im Winter am wenigsten Heizwärme brauchen. Ergebnis: Am besten haben in unseren Simulationen Wohnräume funktioniert, wie wir sie aus den Altbauten des 19. Jahrhunderts kennen: 3 m breit, 6 m tief und 3,30 m hoch mit einem angemessen großen bzw. kleinen Fenster – und das unabhängig vom Material und interessanterweise auch fast unabhängig von der Orientierung. Die Raumhöhe von 3,30 m sorgt dabei für ein größeres Luftvolumen und mehr Wandfläche, was wiederum mehr Speichermasse bedeutet, um Temperaturschwankungen auszugleichen. Leider werden die so wichtigen Speichermassen in den Berechnungsverfahren des Gebäudeenergiegesetzes gar nicht berücksichtigt.

Welche Bedeutung hat das Baumaterial?

Beton, Ziegel und Holz sind die Materialien, mit denen heute üblicherweise Wohnbauten errichtet werden. Daher wollten wir diese untersuchen und in unserem Sinne optimieren: möglichst sortenrein und möglichst schichtenarm. Der radikal einfache Ansatz hat auf mehreren Ebenen zu besonderen Lösungen geführt. Die Fensterformen unserer drei Forschungshäuser beispielsweise leiten sich direkt aus den konstruktiven Gegebenheiten der verwendeten Materialien ab: Beim Dämmbetonhaus haben wir auf die sonst im Stahlbetonbau übliche Bewehrung verzichtet – die Wände waren ohnehin wegen des erforderlichen Dämmstandards bereits 50 cm stark. Allerdings bedurfte es dann einer besonderen Lösung für die Ausbildung der Fensterstürze. Hier haben wir auf die bewährten Bogenkonstruktionen der alten Römer zurückgegriffen, in denen nur Druckkräfte herrschen, die im Dämmbeton abgeleitet werden können. Auch beim Mauerwerksbau haben wir auf Sonderelemente verzichtet und den Stein, mit dem die Wand gemauert wurde, geviertelt und daraus einen Segmentbogen erstellt. Nur beim Holzgebäude erzeugt ein waagrechter Balken die gewohnte Rechteckform. Es gibt in den Gebäuden noch viele andere ungewöhnliche Lösungen. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Alle drei Baumaterialien eignen sich fürs „einfache Bauen“.

Wie sieht es mit den Baukosten aus?

Die in Ziegel- und Holzbauweise errichteten Gebäude waren relativ kostengünstig. Der Betonbau war etwas teurer – was daran lag, dass wir keinen normalen Beton nahmen, sondern Dämmbeton. Das ist bei uns ein immer noch wenig gebräuchlicher Baustoff, der vor Ort auch nur schwer verfügbar war. Das Bauen mit Dämmbeton war für uns neu und hat gleichzeitig viel Freude bereitet. Langfristig werden wir jedoch versuchen müssen, den Einsatz von Beton und des darin enthaltenen Zements drastisch zu reduzieren.

Wie sieht es mit der Ökobilanz der Baustoffe aus, vor allem mit der CO2-Bilanz?

Durch den relativ sortenreinen Einsatz der Materialien sind die Häuser vorbildlich, was kreislaufgerechtes Bauen anbelangt. Im Hinblick auf die CO2-Bilanz hat das Holzhaus mit dem umfangreichen Einsatz von regenerativen Materialien die Nase vorne. Ansonsten „performen“ die Gebäude recht ähnlich.

Welchen Energiestandard erreichen die drei Musterhäuser in Bad Aibling?

Wir erfüllen schlicht die Mindestanforderungen des heutigen Gebäudeenergiegesetzes. Dennoch kann sich der Heizenergieverbrauch der Gebäude – beim Holzhaus nur 30 kWh/m2! – durchaus sehen lassen und entspricht im Übrigen ziemlich genau den im Vorfeld simulierten Werten.

Wie wird geheizt und gelüftet?

Eine einfache Abluftanlage in den innen liegenden Bädern sorgt in Verbindung mit in den Fenstern integrierten Fensterfalzlüftern für den hygienisch erforderlichen Mindestluftwechsel. Den Rest können die Bewohner durch klassisches Öffnen und Schließen der Fenster selbst nach Wunsch regeln. Geheizt wird ganz klassisch mit stationären Heizkörpern.

Verhindern Heizkörper aufgrund der hohen Vorlauftemperatur, die sie benötigen, nicht den Einsatz regenerativer Energieträger?

Wir haben in diesem Fall die drei Häuser an das vorhandene Nahwärmenetz des Bauherren – Hackschnitzelheizung – angeschlossen. Die Wahl der Heizflächen kann je nach den Rahmenbedingungen angepasst werden. In Teilflächen des Projekts haben wir auch Wandheizungen und in einem Raum sogar eine Infrarotheizung ausprobiert.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die sie aus dem Forschungsprojekt gewonnen haben?

Die Beschränkung auf einfache Konstruktionen und Technik geht nicht einher mit Einschränkungen auf die Gestaltungsmöglichkeiten und die architektonischen Ausdrucksmöglichkeiten. Vielmehr sehen wir in der Anwendung dieser neuen Methoden vielleicht sogar Potenzial für eine neue Architektursprache. Was wir aber auch gelernt haben, ist: Man kann keine komplizierten Entwürfe einfach bauen – zum „einfach bauen“ gehört „einfach entwerfen“. Das ist eine Herausforderung und macht gerade deshalb ungeheure Freude.

Lassen sich die in Bad Aibling realisierten Konzepte auch auf urbane Mehrgeschosser übertragen?

In die Gebäudeklasse 4 sind wir bereits vorgedrungen, an der Gebäudeklasse 5 arbeiten wir. Aber klar ist auch, dass die von uns bei den Forschungshäusern eingesetzten Materialien als tragende Konstruktionen im Bezug auf die Dämmeigenschaften sehr leistungsfähig sind. Dem steht aber eine geringere Leistungsfähigkeit im Bezug auf das Tragwerk gegenüber. Hochhäuser kann man damit keine bauen.

Herr Prof. Nagler, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Florian Nagler
Einfach Bauen
Ein Leitfaden
Birkhäuser, November 2021
128 Seiten, 38.00 Euro
978-3-0356-2463-2

Edeltraut Haselsteiner
Robuste Architektur
Lowtech Design
Detail, August 2022
192 Seiten, 59.90 Euro
978-3-95553-585-8


Onlinetipps

TU München / Florian Nagler
Einfach Bauen
Forschung, Lehre, Praxis
www.einfach-bauen.net

Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis
Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur für „Einfach Bauen“
Pressemitteilung, 03.12.2021
www.t1p.de/93jas

Interview mit Florian Nagler
Wie man einfach und nachhaltig baut
Deutsches Architektenblatt, 02.09.2021
www.t1p.de/drsto

Interview mit Florian Nagler
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Bauwelt, 16.02.2021
www.t1p.de/v7314

Interview mit Florian Nagler
Wir verpulvern die Ressourcen unserer Welt!
Das Haus, 10.06.2020
www.t1p.de/xhrl8


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