„Waldumbau ist eine generationen-übergreifende Aufgabe“
5. Dezember 2022
Holz kann im Bauwesen CO2-intensiv hergestellte Baustoffe ersetzen und bindet zudem große Mengen CO2. Das Bauen mit Holz ist deshalb beim Klimaschutz von zentraler Bedeutung. Doch jüngst mussten infolge der Klimaerwärmung viele Bäume vorzeitig geerntet werden. Sägefähiges Holz wurde knapp und teuer. Was tun?
Interview mit Erwin Engeßer
ÖkologiePolitik: Herr Engeßer, wie sehr schwächt die Klimaerwärmung unsere Wälder?
Erwin Engeßer: Wir sehen in vielen Regionen Deutschlands massive Schäden, in einigen Mittelgebirgsregionen wie dem Harz und Frankenwald sogar großflächige Waldauflösungen. Seit 2018 hatten wir – mit Ausnahme von 2021 – 4 Trockenjahre. In Hitzeperioden „verbrennen“ vor allem die peripheren Blätter und Nadeln der Baumkronen, was dann zum vorzeitigen Abstoßen dieser Pflanzenteile führt. Untere Kronenpartien bleiben jedoch einigermaßen grün und Waldbestände als Ganzes erhalten. Kommt es aber zusätzlich zu einer explosionsartigen Ausbreitung von Borkenkäfern oder anderen Schadinsekten, so führt dies vor allem in Fichten- und Kiefernwäldern zu großflächigen Waldauflösungen. Durch die plötzliche Freilegung des Bodens kommt es zu verstärkter Erosion, zu Nitrataustrag und Entwässerung. So kann sich der Schutzmantel ganzer Landstriche auflösen – mit gravierenden Folgen für die Trinkwasserversorgung und das regionale Klima. Richtig bedrohlich sind auch die immer häufigeren Waldbrände. Die Waldbrandfläche der Jahre 2021 und 2022 ist in Deutschland so groß ist wie die der letzten 20 Jahre zuvor.
Was wurde in der Vergangenheit falsch gemacht?
Die Waldwirtschaft ist immer ein Spiegel der Anforderungen der jeweiligen Gesellschaft. Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Wälder in Deutschland großflächig übernutzt und devastiert. Energienot und Hunger waren die Triebfedern für ihre Wiederbestockung. Aus damaliger Sicht waren die großflächigen Aufforstungen mit Fichte und Kiefer eine große Kulturtat. 100 Jahre später gab es die ersten warnenden Stimmen. 1886 veröffentlichte der Münchner Waldbauprofessor Karl Gayer das Buch „Der gemischte Wald“. Aus heutiger Sicht ist glasklar, dass Reinbestände – besonders einschichtige – forstliche Fehlkonstruktionen sind. Auch reine Buchen- und Eichenbestände sind nicht zukunftssicher. In den letzten 25 Jahren gab es überall in Deutschland vor allem organisatorische Fehlentscheidungen mit einer gravierenden Reduktion des Förster- und Waldarbeiterpersonals. Wo Menschen bei der Waldarbeit fehlten, sollten Maschinen das kompensieren. Holzerntemaschinen arbeiten aber am effizientesten bei Fahrgassenabständen von 20 Metern. Ein solch engmaschiges Netz an Schneisen führt allerdings zu gravierenden Bodenschäden und zur Auflösung des Waldinnenklimas. Man nahm dem Wald großflächig seinen Selbstschutz vor der Klimaerwärmung.
Wie sieht ein robusterer Wald aus?
Ein robuster, zukunftsfähiger Wald ist ein baumartenreicher Mischwald aus Licht- und Schattbaumarten. Verschiedene Waldstockwerke decken wie übereinanderliegende Schutzhüllen den Boden ab und bewahren das Wasser und die Feuchtigkeit. Durch eine Mischung von Laub- und Nadelbäumen können wir durchaus Wälder mit 4 bis 5 Stockwerken bekommen. Überall in Deutschland gibt es bereits kleinflächig solche Wälder. Meistens sind das stadtnahe Erholungswälder, wo sich die Verantwortlichen in Bezug auf Baumartenvielfalt und schonende Forsttechnik besondere Mühe geben. Ich hatte das Glück, 40 Jahre lang im Kelheimer und Oberpfälzer Jura zu arbeiten. Hier gibt es auf einer Fläche von 40.000 Hektar auf meist sehr flachgründigen Kalkstandorten Waldbestände mit regelmäßig 10 bis 15 Baumarten, wobei Rotbuchen, Hainbuchen, Ahornbäume, Linden, Birken und Aspen das Grundgerüst bilden. Unsere Vorfahren haben diesen Laubwald mit Bauholz- und Wertholzbäumen wie Lärche, Kiefer, Eiche, Fichte und Weißtanne angereichert. Durch gezielte Pflege und Förderung kommen auch viele Elsbeeren, Kirschbäume, Ebereschen und Eiben vor. Im Jura wurden bereits um 1900 mehrere Versuchsanbauten mit Schwarzkiefer und Douglasie durchgeführt. So zeigte sich, dass die Douglasie sehr gut mit der Rotbuche harmoniert, wenn sie einzeln oder truppweise dazu gepflanzt wird. Die Wälder im Jura haben die Trockenjahre bisher erstaunlich gut überstanden.
Was ist zu tun, um robustere Wälder zu erhalten?
Das Wichtigste ist: Orientierung an den guten Beispielen mit hoher Baumartenvielfalt und pfleglicher Holznutzung. Dazu braucht es gut ausgebildete Förster und mehr Waldarbeiter für Pflanzung, Pflege und Betreuung sowie eine Reorganisation der zu großen Strukturen in der Forstwirtschaft. Für die Holzernte müssen die Rückegassenabstände wieder einen Abstand von 40 bis 60 Metern erhalten. Dazu sind neue Arbeitstechniken und Maschinen zu entwickeln, vielleicht auch mit alten, bewährten Methoden zu kombinieren. Besonders problematisch sind in Falllinie, also senkrecht im Hang verlaufende Wege, denn die beiden Fahrspuren wirken hier wie Entwässerungsgräben. Der zunehmenden Wasserknappheit und parallel auftretenden Sturzflutproblematik muss durch Wasserrückhaltemaßnahmen entgegengewirkt werden. Dieser notwendige Waldumbau ist eine langwierige, generationenübergreifende Aufgabe.
Gibt es nach einem solchen Waldumbau noch genügend Nutzholz für eine richtige Bauwende mit Holz als Standard-Baustoff?
Ja – wenn man es richtig macht! Das Beispiel der Jura-Mischung ist ein hervorragender Wegweiser. Im Schutz der Buche wächst das dazu gepflanzte Nutzholz sehr gut. Dieses Konzept gilt es weiterzuentwickeln: statt Fichte vor allem mehr Eiche und Douglasie beimischen. Diese Baumarten liefern super Bau- und Wertholz in großer Menge. Es gibt jedoch auch Waldbesitzer, die pflanzen aktuell Schadflächen mit 2.000 bis 3.000 Douglasien pro Hektar aus. Da entsteht wieder problematischer einschichtiger Wald. Besser ist es, auf den Freiflächen nach Borkenkäferbefall einen natürlichen Sukzessionswald aus Birke, Aspe, Weide und Eberesche entstehen zu lassen und dann nach 2 bis 4 Jahren damit zu beginnen, im Schutz des natürlichen Vorwaldes Weißtanne, Eiche und auch Douglasie kleinflächig einzupflanzen. Nach 70 Jahren haben wir dann auch hier Bauholzvorräte von 300 bis 500 Festmetern.
Herr Engeßer, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Onlinetipps
Susanne Götze
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Spiegel, 16.09.2022
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Denny Ohnesorge
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Tagesspiegel Background, 06.09.2022
www.t1p.de/bvoqx
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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Pressemeldung, 30.08.2022
www.t1p.de/fu7ik
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ÖkologiePolitik, 13.08.2020
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