Düngemittel-Knappheit als Chance
1. Dezember 2022
Wegen gestiegener Gaspreise sind auch Düngemittel momentan knapp und teuer. Bietet die Krise eine Chance, von energieintensivem Kunstdünger unabhängig zu werden?
von Susanne Aigner
Erdgas wird sowohl als Rohstoff als auch als Energiequelle im Produktionsprozess gebraucht: Das Gas liefert Wasserstoff, eine wichtige Zutat für die Gewinnung von Ammoniak. Allein die Herstellung von Ammoniak soll rund 2 % der weltweiten Energie verbrauchen. Aufgrund steigender Herstellungskosten stellen nun immer mehr große Düngemittelunternehmen ihre Produktion ein.
Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Menge der hierzulande in den Verkehr gebrachten Düngemittel im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahresquartal stark zurückgegangen. So halbierte sich der Absatz von Phosphatdünger auf 14.000 Tonnen des darin enthaltenen Nährstoffs Phosphat. Der Absatz von Kalidünger sank etwa um die Hälfte auf 55.900 Tonnen Kaliumoxid. Bei Stickstoffdünger wurden 18,5 % (238.000 Tonnen) weniger als im selben Quartal des Vorjahres abgesetzt. Allein Kalkdünger blieb mit 592.600 Tonnen gegenüber dem Vergleichszeitraum nahezu unverändert.
Nicht nur die Düngemittelproduktion im Inland ging seit dem Frühjahr zurück, sondern auch die Importe von Phosphat-, Stickstoff- oder Kaliumdünger. So wurden von Januar bis Juli rund 2 Mio. Tonnen dieser Düngemittel importiert – 11 % weniger als im Vorjahreszeitraum. Bei Phosphatdünger wurde mit 15.100 Tonnen etwa nur noch die Hälfte der ursprünglichen Menge eingeführt. Bereits 2020 sollen Stickstoff-, Phosphat- und Kalidünger auf nur noch 69 % der bewirtschafteten Fläche eingesetzt worden sein.
Hinzu kommen Auflagen beim Einsatz von Mineraldünger und Pflanzenschutz im Rahmen des europäischen Green Deals. Wegen zunehmender Werksschließungen und Produktionsdrosselungen werde das Angebot immer knapper, warnen Agrarexperten. Dies wirkt sich enorm auf die Preise von Dünger sowie auf die Produktion von Getreide und anderen Agrarprodukten aus.
Yara schließt Düngerfabrik in Belgien
Das Unternehmen werde die Produktion wegen steigender Gaspreise einstellen, teilte der norwegische Düngergigant Yara im September mit. Am belgischen Standort Tertre nahe der französischen Grenze wurden jährlich 400.000 Tonnen Ammoniak, 950.000 Tonnen Ammoniumnitrat sowie 800.000 Tonnen Salpetersäure produziert. Bereits im August hatte das Unternehmen angekündigt, die Produktion von Ammoniak um 65 % sowie die von Ammoniumnitrat um 35 % reduzieren zu wollen.
Nach eigenen Angaben will Yara sein jährliches Produktionsvolumen um rund 3 Mio. Tonnen Ammoniak, 4 Mio. Tonnen Fertigprodukte, 1,8 Mio. Tonnen Harnstoff, 1,9 Mio. Tonnen Nitrate und 0,3 Mio. Tonnen NPK-Dünger reduzieren. Infolgedessen werde sich das Ammoniumnitrat auf dem französischen Markt um 10 % verringern, warnte ein Sprecher von Yara France.
Auch andere Hersteller drosselten ihre Produktion: Neben der BASF stellen der polnische Düngerhersteller Grupa Azoty sowie CF Fertilisers in Großbritannien ihre Ammoniak- bzw. Düngeproduktion vorübergehend ein. Auch in der Ukraine wurde die Produktion von Stickstoffdünger und Harnstoff seit Mitte September zurückgefahren. In der deutschen SKW Piesteritz, in der die Anlagen zeitweise heruntergefahren waren, wurde die Produktion zumindest teilweise wieder aufgenommen.
Steigende Nachfrage nach Gülle
Ein großer Teil der Nutztiere wird mit Gras, Getreide und anderen Pflanzen gefüttert, die wiederum werden zum Teil mit Kunstdünger gedüngt. Gülle, eine Mischung aus Kot und Urin von Nutztieren wie Rindern, Schweinen und Geflügel, enthält Stickstoff, Kalium, Magnesium und Phosphat – wichtige Nährstoffe für den Ackerbau. Wird sie als Dünger auf dem Acker optimal verteilt, können die Pflanzen besser wachsen.
Während früher Betriebe dafür zahlen mussten, um Gülle loszuwerden, wird inzwischen für die Lieferung von Gülle bezahlt. Dennoch ist das Düngen mit Gülle nicht unumstritten. Düngt man zu viel, sodass die Pflanzen im Boden die Nährstoffe nicht völlig aufnehmen können, sammeln sich zu viele Nährstoffe im Boden, kritisiert Pierre Johannes, Referent für Agrarpolitik beim Naturschutzbund NABU.
Die Nährstoffe werden ausgewaschen, aus Stickstoff wird gesundheitsschädliches Nitrat, das im Grundwasser landet. Mit Nitrat belastetes Wasser muss aufwendig aufbereitet werden – den Preis dafür zahlen die Anwohner. Tatsächlich wurden die gesetzlichen Höchstgrenzen an Nitrat im Grundwasser in den vergangenen Jahren immer wieder überschritten – vor allem in Regionen, in denen viele Rinder, Kühe und Schweine gehalten werden.
Kann sich Europa künftig noch mit Dünger versorgen?
Welche Folgen hat eine mögliche Unterversorgung mit Dünger auf die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln? Die Mangelversorgung bei Dünger könnte zu geringeren Erträgen und einem Rückgang der Produktion führen, glauben Agrarexperten.
Vor allem die Nahrungsmittelproduktion werde darunter leiden, warnt Nicolas Broutin. Der französische Yara-Chef fordert finanzielle Unterstützung für die landwirtschaftliche Produktion und Düngemittelindustrie. Nicht nur die Versorgung in Deutschland und Europa sei gefährdet, auch die globale Nahrungsmittelkrise werde weiter angeheizt. Kaufen Landwirte ihre Düngemittel künftig außerhalb von Europa, werde dies deutlich teurer sein als bisher.
Russland falle als einer der wichtigsten Lieferanten von Stickstoffdünger fast komplett aus. Zwar gebe es keine direkten Sanktionen gegen Dünger oder Getreide – doch sie wirken trotzdem, heißt es in Fachkreisen. Russland sei allerdings bereit, mehr als 300.000 Tonnen russischer Düngemittel, die in europäischen Häfen festsitzen, kostenlos an die Entwicklungsländer zu liefern, wenn Europa zustimme, die Sanktionen gegen russische Exporte weiter zu lockern, wie Nachrichtenagenturen berichten.
Europa habe nur „teilweise“ Sanktionen aufgehoben, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin auf einem Gipfeltreffen in Usbekistan. Somit sei Russland nicht in der Lage, Düngemittel in die ganze Welt zu verkaufen. Europa habe selbst Probleme auf den Lebensmittelmärkten geschaffen und versuche nun, sie auf Kosten anderer zu lösen, so der Vorwurf des Kreml-Chefs.
Bauernverband fordert Aufhebung der Zölle
Um den Preisanstieg bei Stickstoffdüngern zu dämpfen, hat die EU-Kommission bereits im Juli vorgeschlagen, die Zölle auf Ammoniak von 5,5 % bzw. auf Harnstoff von 6,5 % (außer für Russland und Belarus) vorübergehend aufzuheben. Dieser Vorschlag sei aber noch nicht ausreichend, kritisiert Detlef Kurreck, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands. Auch auf handelsübliche Stickstoffdünger wie Kalkammonsalpeter, Diammonphosphat und NPK-Dünger müssten die Zölle aufgehoben werden. Die europäischen Düngerproduzenten hingegen wehren sich gegen ein weiteres Absenken der Schutzzölle.
Ammoniak und Stickstoffdünger werden auch anderswo hergestellt, wo Erdgas günstiger ist. Dennoch werden die Preise auf dem Weltmarkt voraussichtlich weiter steigen, fürchten Experten. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen empfiehlt den Betrieben, den Dünger für 2023 möglichst schon jetzt einzukaufen. Einerseits schlagen stark gestiegene Kraftstoffpreise zu Buche. Auf der anderen Seite werden Engpässe bei Saatgut wie Weizen, Roggen und Triticale befürchtet. Der Preis für Dünger habe sich seit einem Jahr vervielfacht, klagt etwa Stephan Claus, Chef der Pretzschendorfer Landwirtschafts- und Dienstleistungsgesellschaft in Klingenberg/Sachsen.
Sein Betrieb bewirtschaftet rund 1.500 Hektar Land. Im Sommer habe er rund 250 Tonnen Dünger auf Vorrat gekauft – zu hohen Preisen. Das Herunterfahren der Anlagen der SKW Piesteritz verschreckte nicht nur die Bauern, sondern auch die Logistikbranche: So produziert SKW auch AdBlue, unabdingbar für die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen. Mit dem Ausfall des Betriebs begebe sich Deutschland in größere Abhängigkeit von Produzenten im Ausland, warnt Bauernpräsident Thomas Krawczyk.
Mit weniger Kunstdünger die Ernährung sichern
Die Versorgung der Bevölkerung sei dennoch nicht gefährdet, erklärt Wolfram Günther. Immerhin liegt der Selbstversorgungsgrad bei Getreide und Milch in Sachsen bei über 100 %. Nun gelte es, regionale Wertschöpfungsketten zu stärken, um die Land- und Ernährungswirtschaft krisenfester zu machen, mahnt der sächsische Agrarminister.
Die Sorge, dass der Dünger so knapp werden könnte, dass in Europa nicht mehr genug Lebensmittel produziert werden können, sei unbegründet, glaubt auch Anne Preger vom Deutschlandfunk. Denn Landwirtschaft geht auch mit weniger Einsatz von energieintensivem Stickstoffdünger. Damit das funktioniert, müssen sich allerdings einige Dinge grundsätzlich ändern bzw. muss Neues ausprobiert werden. Zum Beispiel:
– Zielgerichtet düngen: Weltweit landet nur die Hälfte des Düngers auf den Pflanzen. Der Rest versickert im Boden und im Grundwasser.
– Weniger Nutztiere halten: 80 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche gehen für die Produktion tierischer Lebensmittel drauf. Diese aber tragen nur 18 % zur globalen Kalorienversorgung bei, so lautet das Ergebnis einer Studie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Werde ein größerer Teil der Ackerflächen für die Erzeugung von Essen für Menschen statt von Tierfutter genutzt, ließe sich das Angebot von Lebensmitteln nachhaltig ausweiten.
– Verstärkter Anbau von Leguminosen: Bohnen, Linsen, Erbsen oder Klee entnehmen Stickstoff aus der Luft und düngen damit den Boden.
– Düngen mit menschlichem Urin: Menschliche Ausscheidungen enthalten außer Stickstoff viele wichtige Pflanzennährstoffe wie Kalium, Magnesium und Phosphor. Diese bisher eher unübliche Düngepraxis wird immer besser erforscht.
Viele Ackerböden enthalten von früheren Düngungen noch ausreichend Stickstoff. Und selbst wenn Betriebe ihre Felder ein Jahr lang deutlich weniger düngen, müssen die Ernten deswegen nicht dramatisch kleiner ausfallen. Dass eine Agrarwende dringend nötig ist, zeichnet sich schon länger ab. Insofern bietet die Krise auch die Chance, die Wende endlich konsequent voranzutreiben.
Dieser Artikel wurde am 10.10.2022 mit ausführlichen Quellenangaben im Online-Magazin „Telepolis“ erstveröffentlicht: www.heise.de/-7288979. Die Zweitveröffentlichung wurde von der Autorin und „Telepolis“ genehmigt, der Text hierfür redaktionell leicht bearbeitet.
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