„Es wird sehr viel hin- und hertransportiert“
29. November 2022
Die Landwirtschaft sichert unsere Ernährung. Deshalb sollte sie Störungen aller Art widerstehen können. Inwieweit kann sie das? Welche Risiken birgt die konventionelle Landwirtschaft, welche Chancen bietet die biologische? Die „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL) kennt sich aus und kämpft für eine Agrarwende.
Interview mit Josef Schmid
ÖkologiePolitik: Herr Schmid, wie globalisiert ist unsere Ernährung heute eigentlich?
Josef Schmid: Es wird sehr viel hin- und hertransportiert – national, international, global. Niedrigere Umwelt- und Sozialstandards in anderen Ländern verursachen geringere Herstellungs- und Verarbeitungskosten. Bei den Transporten werden die ökologischen Folgekosten nicht eingepreist und die Lkw-Fahrer arbeiten im Niedriglohnbereich. Das lässt die regional erzeugten Lebensmittel teurer erscheinen, doch die Folgekosten müssen wir alle bzw. unsere Kinder und Enkel trotzdem irgendwann bezahlen. Nahrungsmittel, die unterhalb der bei uns vorgeschriebenen Umwelt-, Tierschutz- und Sozialvorschriften angebaut und hergestellt wurden, dürften bei uns nicht in den Handel kommen. Autos oder Elektrogeräte, die nicht unseren Sicherheitsstandards entsprechen, dürfen ja bei uns auch nicht verkauft werden – warum nicht ebenso strenge Regeln bei unseren Nahrungsmitteln? Die Marktsituation würde sich wahrscheinlich schon deutlich verbessern, wenn wenigstens die Herkunft der Lebensmittel klar und deutlich gekennzeichnet werden müsste, damit Verbraucher bewusst auswählen könnten.
Wie abhängig ist unsere Versorgung von einzelnen Ländern wie z. B. der Ukraine?
Eine hohe Abhängigkeit gibt es bei uns bei den Futtermitteln für die Tiere. Die kommen vor allem aus Südamerika, den USA, aber auch anderen Ländern. Gemüse und Obst wird viel importiert – weil in anderen Ländern die Flächenproduktivität aufgrund anderer klimatischer Verhältnisse höher ist. Oder bestimmte Pflanzen bei uns nicht richtig oder gar nicht wachsen. Vor allem aber, weil in Spanien und Italien Saisonarbeitskräfte zu Sklaverei-ähnlichen Bedingungen arbeiten, mit denen einheimische Obst- und Gemüseanbauer nicht konkurrieren können. Aus der Ukraine importieren wir vor allem Sonnenblumen und Soja – sowohl für Menschen als auch für Tiere. Bedenklich ist die Abhängigkeit unserer Lebensmittelversorgung von Düngerimporten aus Russland, der Ukraine und anderen östlichen Ländern.
Reichen die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland, um die deutsche Bevölkerung zu ernähren?
Wir produzieren derzeit mehr Getreide, Kartoffeln, Fleisch und Milchprodukte, als wir selbst brauchen. Würden wir weniger für den Export in Drittländer außerhalb der EU produzieren, die tierischen Lebensmittel auf das ärztlich empfohlene Maß reduzieren und mehr pflanzliche Nahrung konsumieren, würden unsere Flächen für die Grundversorgung der Bevölkerung ausreichen. Ein wirkliches Problem der konventionellen Landwirtschaft ist die Abhängigkeit von Stickstoffdüngern und Pflanzenschutzmitteln bzw. von deren Grundstoffen. Da gibt es aktuell ziemliche Engpässe. Der Dünger wird knapp und teuer, weil zur Herstellung eine Menge Energie und Gas als Grundstoff benötigt wird.
Reichen die vorhandenen Flächen für eine bäuerliche und biologische Landwirtschaft?
Aktuell landen ca. 30 % unserer Lebensmittel im Müll, 60 % der Getreideerzeugung werden an Tiere verfüttert und ca. 15 % der Erzeugung zur Herstellung von Treibstoff verwendet – genügend Reserven und Einsparungsmöglichkeiten, um die etwa 30 % niedrigeren Erträge einer Bio-Landwirtschaft auszugleichen. Die oft behaupteten 50 % treffen nur zu, wenn man Erträge der Bio-Landwirtschaft mit konventionellen Spitzenerträgen in Gunstregionen vergleicht. Wir müssten also keinesfalls zu Veganern werden. Ein kleineres Stück Fleisch und dazu mehr Beilagen und Salat auf den Tellern wäre kein zu hoher Preis für eine Landwirtschaft, die ohne chemischen Dünger und Pflanzenschutz auskommt und so Risiken und Nebenwirkungen von vornherein ausschließt.
Ist die konventionelle Landwirtschaft anfälliger für Krisen?
Ja, und zwar mehrfach! Wie schon erwähnt, ist sie von Importen und Transporten abhängig. Wenn Lieferketten plötzlich nicht mehr richtig funktionieren, trifft sie das hart. Das haben Corona, ein quer stehendes Containerschiff im Suezkanal und zuletzt der Ukraine-Krieg überdeutlich gezeigt. Die Exportorientierung durch Überschüsse bei Milch und Schweinefleisch verursacht eine mehrfache Anfälligkeit für politische, logistische und pandemische Störungen rund um den Globus. Das ist verhängnisvoll für die gesamte Landwirtschaft, weil bei jeglicher Marktstörung auch die Preise für die inländisch und regional gehandelte Ware zusammenbrechen. Weiterhin erhöht auch die zunehmende Spezialisierung unserer Landwirtschaft deren Krisenanfälligkeit. Die Konzentration der Tierhaltung begünstigt Auftreten und Ausbreitung von Infektionen in den Beständen. Zusammen mit einer geringeren Vielfalt im Anbau ergibt sich daraus ein erhöhtes Risiko für die Lebensmittelversorgung.
Ist die bäuerliche und biologische Landwirtschaft resistenter?
Sicherlich! Bio-Landwirtschaft setzt mehr auf innerbetriebliche Kreisläufe und ist so unabhängiger von fragilen Lieferketten. Durch vielfältigen Anbau, bodenverbessernde Zwischenfrüchte und gezielte Erhöhung des Humusgehalts im Boden kann mehr Regenwasser gespeichert werden. Die Pflanzen sind gesünder und widerstandsfähiger gegen Krankheiten. Schädlinge haben wegen größerer Anbauabstände weniger Chancen, sich zu etablieren. Bodenqualität und Humusaufbau sind wichtige Aspekte in der biologischen Landwirtschaft, denn Fehler und Versäumnisse kann sie nicht durch mehr Dünger und Pflanzenschutzmittel korrigieren.
Wie lässt sich der Anteil der Bio-Landwirtschaft erhöhen?
Eigentlich müsste es schon bei der Berufsausbildung anfangen: Die Grundsätze der Bio-Landwirtschaft müssten zur Grundlage werden, auf die alles andere aufbaut. Auch in der Forschung wurde Bio-Landwirtschaft lange vernachlässigt. Und in Tier- und Pflanzenzucht wurde viel zu wenig auf Robustheit und Widerstandsfähigkeit geachtet. Die Fördermilliarden dürften nicht länger überwiegend als pauschale Flächenprämien ausgeschüttet werden, sondern müssten schon bei den konventionellen Höfen ökologischere Maßnahmen und Wirtschaftsweisen belohnen, um sie für eine spätere Umstellung am Leben zu erhalten. Der wesentliche Hebel wäre, den Absatz von Bio-Produkten zu erhöhen. Wenn das Ziel „30 % Biolandwirtschaft bis 2030“ erreicht werden soll, müssen Staat und Kommunen ihrer Vorbildwirkung gerecht werden und bei allen Lebensmitteleinkäufen für seine Behördenkantinen, für Schulen, Krankenhäuser und sonstige Einrichtungen mindestens 30 % Bio-Produkte aus der Region einkaufen. Damit wären auch Menschen zu erreichen, die von sich aus den Weg in einen Bio-Laden niemals finden würden. Nach einer Umfrage des Bauernverbands wären derzeit 20 % der Landwirte bereit zur Umstellung, wenn der Absatz gesichert wäre.
Herr Schmid, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Onlinetipps
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Für Ernährungssicherheit trotz Klimakrise und Krieg
Presseinfo, 01.09.2022
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Robert Schabus
Bauer unser
3sat/ORF, 28.03.2022
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