Marke, Markenkern – was bringt das?
11. August 2022
Für einen Großteil der Wähler ist die ÖDP immer noch ein eher unbeschriebenes Blatt. Und ihre Mitglieder tun sich in Gesprächen mit Interessenten oft schwer, kurz und knackig zu erklären, was die ÖDP ist, was sie will und worin sie sich von den „Grünen“ unterscheidet. Braucht die ÖDP deshalb wie Unternehmen in der Wirtschaft eine Markenstrategie?
von Dr. Claudio Caballero
Gute Marken heben sich von der Masse ab: Coca-Cola, Apple oder Mercedes-Benz, alternativ auch Frosch, Patagonia oder Beyond Meat. Diese Marken sind bekannt – man weiß, wofür sie stehen und wodurch sie sich von anderen Marken abgrenzen. Insofern ähnelt eine gute Marke einem Charakter: Mit ihr verbindet man bestimmte Werte und Eigenschaften, für die das Unternehmen bzw. das Produkt steht, ohne dass diese explizit genannt werden müssen. Gelingt es, die Marke emotional aufzuladen, dann kann sie sehr erfolgreich werden und die Zielgruppe lange binden – idealerweise identifiziert sich ein Kunde mit ihr.
Vor allem aber ist die Marke ein Versprechen an ihn. Bei Mercedes-Benz z. B. ist der Markenkern identisch mit „Das Beste“. Konkrete Facetten wie etwa Fahrsicherheit und Innovation sind darin verankert. Als Claim, ähnlich einem Slogan, also einem mit der Marke verbundenen Satz, wird das Zitat von Gottlieb Daimler „Das Beste oder nichts“ verwendet. Ein solcher Markenkern bietet Orientierung nach außen für die Kunden, aber auch nach innen für die Mitarbeiter.
Nicht nur die Privatwirtschaft, auch politische Parteien verwenden Markenkerne. Bei der CDU lassen sich drei Wurzeln oder Strömungen erkennen: eine christlich-soziale, eine liberale und eine konservative. So wird je nach aktueller Ausrichtung bzw. politischer Führung mal das christliche Menschenbild, die Wirtschaftskompetenz oder die Funktion als Sammelbecken für die demokratische Rechte mit Themen wie Sicherheit herausgestellt. Die FDP verwendet den Begriff „Freiheit“, den sie idealtypisch als „Verantwortung des Einzelnen für sich selbst und der Begrenztheit staatlichen Handelns“ versteht. Realpolitisch lassen sich bei dieser Partei Phasen mit stärker sozialliberaler oder wirtschaftsliberaler Ausprägung beobachten. Für die SPD steht soziale Gerechtigkeit im Zentrum, wonach „starke Schultern in der Gesellschaft mehr tragen sollen als jene, die durch unterschiedliche Lebensumstände ohnehin schon belastet sind“. Und auch wenn die Grünen keinen vergleichsweise griffigen Begriff verwenden, ihr Fokus liegt klar auf auf den Aspekten Ökologie, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden.
Warum ein Markenkern für die ÖDP sinnvoll ist
Ein Markenkern kann auch der ÖDP helfen – etwa bei der Außenkommunikation: Man versteht direkt, idealerweise intuitiv, worin für diese Partei der Schwerpunkt liegt und was sie in der Folge von anderen unterscheidet. „Weniger ist mehr“ etwa ist ein gutes Beispiel für eine kompakte und klare Umsetzung eines Claims aus einem möglichen Markenkern zur Wachstumskritik. Verzichtet man auf eine Festlegung, besteht die Gefahr, dass andere, außerhalb der eigenen Partei, die Deutungshoheit übernehmen: So kursieren etwa Bezeichnungen für die ÖDP wie z. B. die „christlichen Grünen“, die „wahren Grünen“ oder auch die „Bienenretter“. Zudem bekommt man in Gesprächen mit Mitgliedern mit, dass nicht klar sei, wofür die ÖDP stehe.
Was die Gesprächspartner aber tatsächlich oft meinen, ist, dass sie persönlich durchaus eine klare Überzeugung hiervon haben, aber die Partei genau diese nicht entsprechend nach außen kommunizieren würde. Ein klar definierter Markenkern in Verbindung mit einem daraus abgeleiteten Claim kann entsprechend helfen, auch nach innen zu überzeugen und den Zusammenhalt zu stärken: Eine Partei erhält durch den Markenkern eine eigene Identität, welche hilft, unverwechselbar zu sein.
Es ist seit geraumer Zeit bekannt, dass langfristige Wählerbindungen erodieren: Immer weniger Wähler fühlen sich einer Partei besonders verbunden, weswegen der Rückhalt zu den traditionellen Parteien schwindet: Arbeiter wählen heutzutage kaum noch aus Tradition die SPD. Das kirchliche Milieu ist kein Garant mehr für die Wahl der Unionsparteien. Die individuelle Wahlentscheidung wird zunehmend von kurzfristigen Faktoren, von den Kandidaten und von Themen bestimmt, die die politische Agenda in den Momenten rund um eine Wahl bestimmen.
Infolge eines solchen sogenannten volatilen Wählertyps haben ehemals kleine Parteien zum Teil beachtliche Wahlerfolge verzeichnen können. Aber auch der Anteil an Nichtwählern hat zugenommen. Es wirkt geradezu, als „probierten“ die Wähler an der Wahlurne auch verschiedene Optionen aus: Hiervon kann die ÖDP profitieren. Auf der Suche nach neuen Wahlmöglichkeiten nutzen die Wahlberechtigten vermehrt Entscheidungshilfen, wie den Wahl-O-Mat. Wenn die ÖDP dort in ihren Antworten greifbar, glaubwürdig und klar abgrenzbar auftritt, kann sie bei der Wahlentscheidung ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
Gerade als kleine, weniger bekannte Partei, die besonders im Wettbewerb mit anderen kleinen Parteien steht, wird die ÖDP zudem von einem überzeugenden Claim, klaren Alleinstellungsmerkmalen und einem erkennbaren Markenkern stark profitieren. Auch ein griffiger Parteiname (etwa als Namenszusatz) kann hierbei helfen, um aus der Masse an politischen Alternativen herauszustechen – wie sich bei manchen politischen Wettbewerbern beobachten lässt.
Hat die ÖDP nicht bereits einen Markenkern?
Die Suche nach dem Markenkern der ÖDP startet selbstverständlich mit dem Studium der programmatischen Inhalte. Das Grundsatzprogramm ist hierbei sehr aufschlussreich mit Blick auf die dort beschriebenen Aspekte zum christlich-humanistischen Menschenbild und der grundsätzlichen Achtung vor dem Leben. Verlässt man diese Schriften und unterhält sich mit Parteimitgliedern, dann scheinen sich tatsächlich sehr viele darin einig, dass die Partei bereits über einen Markenkern verfüge. Lässt man sich diesen erläutern, beobachtet man, dass die Einigkeit dann oft auch dort endet.
Es erstaunt natürlich nicht, dass in diesen Gesprächen die Begriffe Ökologie, Nachhaltigkeit und Wachstumskritik überwiegen. Tatsächlich aber unterscheiden sich bei einer zweiten Betrachtung die Ansichten darüber, was jeder unter diesen Begriffen konkret versteht, wie diese Konzepte miteinander verbunden sind oder wie sie in der persönlichen Bewertung gewichtet werden.
Zudem wird von einer weiteren „Strömung“ unter den ÖDPlern auch das „Demokratische“ im Namen der Partei ergänzend zu den drei oben erwähnten Facetten betont – aber auch von einigen als grundlegender, ja als der eigentliche Kern der Partei angesehen. Für diese Vertreter ist die konsequente Konzernspendenfreiheit das Alleinstellungsmerkmal der ÖDP gegenüber anderen Parteien, welche eine glaubwürdige Unabhängigkeit von Unternehmensinteressen bzw. Lobbyismus jeglicher Art in der politischen Arbeit sichere. So seien finanzielle Zuwendungen an politische Parteien immer auch mit konkreten (wirtschaftlichen) Interessen und dem Wunsch nach Gegenleistung in irgendeiner Form verbunden. Gerade eine Durchdringung durch Wirtschaftsunternehmen in vielen Bereichen wird bei einigen Parteimitgliedern als das eigentliche Übel gesehen, wieso keine nachhaltige Politik gestaltet werden kann. Eine Entflechtung vom Einflussbereich großer Konzerne sei notwendig, um die Ziele vor allem im Bereich des Umwelt-, Natur- und Artenschutzes zu erreichen.
Ergänzt wird diese Position von der Auffassung, eine gute Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass sich möglichst viele Bürger am politischen Prozess direkt beteiligten. Hier kann die ÖDP durchaus bemerkenswerte Erfolge in der Praxis vorweisen, hat sie doch sehr bedeutende und zugleich medial sichtbare Volksbegehren etwa zum Arten- und zum Nichtraucherschutz initiiert sowie mit breiter Unterstützung seitens der Bürger zum Abschluss gebracht. Aber auch das Engagement vieler politisch aktiver Mitglieder auf Kommunalebene ist Ausdruck dieser Facette der ÖDP-Programmatik.
Kritiker führen an, dass – obwohl ein Mehr an Demokratie sehr wohl ein wichtiges Anliegen sei – es gleichwohl politisch inhaltsleer bleibe, wenn nicht zugleich erklärt werde, für welche konkreten politischen Projekte das Mehr eingesetzt werde. Denn auch Parteien am extrem rechten Rand befürworten mehr Teilhabe der Bürger – aus dem Kalkül, dass sich das Volk leicht für ihre Ansichten verführen ließe.
Eine weitere Gruppe unter denen, die sich an einer Markenkerndiskussion beteiligen, ist der Ansicht, dass nicht die Fokussierung auf eines dieser Kernthemen zielführend sei, sondern dass eine gemeinsame „Klammer“ für die Themen zu suchen sei: Sie versuchen die Frage zu beantworten, mit welchem programmatischen Überbau sich diese Ziele theoretisch vereinen lassen. So verwendet unter den verschiedenen Vorschlägen ein Ansatz beispielsweise einen erweiterten Ökologie-Begriff, der sich auf den Wortstamm Oikos, das Haus, rückbesinnt, welcher es ermögliche, alle programmatischen Positionen hierunter zusammenzuführen.
Begleitet wird diese Klammer-Suche von der Überlegung, dass die ÖDP das Problem habe, ihre politischen Inhalte dem Wähler schmackhaft zu machen: Der potenzielle Wähler sei nur schwer zu überzeugen, wenn man sich thematisch zu sehr den Grünen annähere, da dieser dann eher das vermeintliche Original bzw. die Partei mit mehr Gestaltungschancen in der politischen Landschaft wähle. Innerhalb dieser Strömung wird zudem gefordert, die Alleinstellungsmerkmale der ÖDP in der politischen Kommunikation zur Unterscheidung stärker zu betonen.
Zudem wird auch zielgruppenspezifisch argumentiert, wonach die Stadt-Klientel weniger ÖDP-affin und stärker den Grünen verhaftet sei, weswegen man verstärkt die von den Grünen vernachlässigte Klientel auf dem Land bei ihren Bedürfnissen rund um die Themen Mobilität, Infrastruktur oder medizinische Versorgung ansprechen müsse – eine Wählerschaft, welche sich ehemals bei der Union zu Hause fühlte.
Mit Blick auf diese Zielgruppe wird zudem unterstrichen, wie wichtig die Kombination von ökologischen Zielen mit konservativen Überzeugungen, etwa bei der Familie, sei. Thematisch hierzu passt, dass einer großen Gruppe, vermutlich der Mehrheit, die religiösen Wurzeln der ÖDP sehr wichtig sind, weswegen sie das Konzept der Schöpfung als zentral ansehen – womit sich wiederum der Kreis zum eingangs erwähnten Grundsatzprogramm und der Achtung vor dem Leben schließt.
Prozess ist ergebnisoffen und transparent
Ein Markenkernfindungsprozess muss ergebnisoffen sein, den Input möglichst aller Mitglieder und besonders der politisch Aktiven berücksichtigen und er muss auch mit den Ansichten des Wählers konfrontiert werden. Dieser Prozess kann drei grundlegende Instrumente zur Sammlung des Inputs umfassen: eine Befragung aller Parteimitglieder, eine Anhörung der politisch Aktiven und eine externe, repräsentative Befragung des „Wählers“.
Rund 7.800 Mitglieder stellen die Parteibasis der ÖDP dar (Stand: Juni 2022): Ein Markenkern der ÖDP sollte mit ihren politischen Einstellungen harmonieren bzw. unter einer breiten Basis mehrheitsfähig sein. Aber wie sehen die politischen Einstellungen dieser Mitglieder aus? Welche Themen dominieren unter ihnen? Braucht es zur Beantwortung dieser Frage besondere Instrumente? Man könnte doch z. B. alternativ einen Blick auf die Internet-Plattformen des sozialen Austauschs der ÖDP werfen und dadurch würde offenbar, welche Themen die Basis bewegen bzw. welche politischen Meinungen dort dominieren.
Nun ist allerdings bekannt, dass nur ein Teil der Mitglieder auf der Mitgliederplattform orangeaktiv angemeldet ist. Vermutlich verfolgt davon zudem nur ein geringer Teil den dort zu zahlreichen Themen ablaufenden Austausch. Und sehr sicher beteiligt sich ein noch kleinerer Teil aktiv mit eigenen Beiträgen an den Diskussionen. Auch muss bei diesen Debatten das Wahrgenommene nicht dem tatsächlichen Meinungsklima entsprechen: Besonders laute Akteure können eine Diskussion dominieren und die Wahrnehmung verzerren, obwohl die tatsächliche Meinungsverteilung aufgrund einer womöglich schweigenden Mehrheit eine andere ist.
Das Instrument einer standardisierten Befragung aller Mitglieder bietet daher Vorteile: Es kann bei einigen Themen für Klarheit sorgen und helfen, Spekulationen zu vermeiden, indem es konkret aufzeigt, welche Themen in der ÖDP tatsächlich unter den Mitgliedern dominieren und ob die vermeintlich lauten Themen auch an der Basis wichtig sind.
Eine vergleichbare Mitgliederbefragung wurde bereits im Jahr 2007 unter der Leitung von Prof. Uwe Kranenpohl durchgeführt. Diese Daten sind immer noch außerordentlich wertvoll, da sie Aufschluss über die Sozialstruktur und die politischen Ansichten der Parteimitglieder zu wichtigen Politikbereichen geben. Aber diese können sich über den langen Zeitraum von 15 Jahren verändert haben: Gelten die Gewissheiten von damals auch heute noch? Oder hat sich die Parteibasis grundlegend verändert? Spannende Fragen, die keineswegs eindeutig im Vorfeld zu beantworten sind.
Aktive vor Ort werden gehört
Neben den Mitgliedern sind die sogenannten politisch Aktiven – die Funktionsträger vor Ort sowie die Kommunalpolitiker – enorm wichtig für die tägliche Parteiarbeit, da sie die Parteistrukturen erhalten und versuchen, diese tagtäglich auszubauen. Sie übernehmen in ihren Kreis- und Ortsverbänden Verantwortung, haben vielleicht auch ein kommunales Mandat inne und sind über einen längeren Zeitraum in der Partei aktiv, wodurch sie quasi in vorderster Linie mit Personen außerhalb der Partei zu tun haben, diskutieren und deren Fragen beantworten. Sie wissen somit aus erster Hand, was gut „funktioniert“ und was weniger „ankommt“. Sie gestalten die politische Arbeit vor Ort und prägen somit auch die politische Kommunikation auf kommunaler Ebene grundlegend mit. Insofern ist ihr Input besonders wertvoll.
Zudem ist es aber auch notwendig, dass insbesondere ihre politischen Überzeugungen in einem Markenkern abgebildet werden: Dies kann in sogenannten Anhörungen gelingen, bei denen wir auf der Ebene der Funktionsträger die Kreisvorsitzenden bitten, dass diese in ihrem jeweiligen Kreisverband grundlegende Fragen zum Themenkomplex Markenkern diskutieren und gemeinsam beantworten.
Fragen hierzu könnten konkret folgende Aspekte erfassen: die jeweilige Sicht des Verbands zum Markenkern bzw. zum Alleinstellungsmerkmal, zu den zentralen Themen der ÖDP sowie zum grundsätzlichen Politikverständnis der Partei. Ein persönlicher Austausch auf Kreisvorsitzendenebene ergänzend zur Beantwortung dieser Fragen kann sinnvoll sein, um den politischen Willensbildungsprozess im gegenseitigen Austausch zu beflügeln. Ob solche Anhörungen, etwa in Form von sogenannten Regionalkonferenzen, stattfinden können, ist nicht zuletzt auch eine Kostenfrage.
Wurm muss nicht dem Angler schmecken
Würden wir nun unseren Prozess mit den Instrumenten der Mitgliederbefragung und den Anhörungen abschließen, dann sprängen wir zu kurz: Unklar bliebe bislang nämlich noch, wie der Markenkern und die daraus abgeleiteten Schwerpunktthemen beim Wähler ankommen. Hier wird von Gesprächspartnern der Markenkerndiskussion gerne die Wurm-Angler-Analogie bemüht, wonach der Wurm, stellvertretend für die politischen Angebote, nicht dem Angler, also der Partei bzw. den Parteimitgliedern, sondern dem Fisch, d. h. den Wahlberechtigten, schmecken soll.
Es erscheint zunächst anmaßend und despektierlich, die potenziellen Wähler als Fische zu betrachten, die es zu ködern gilt. Aber hier steht die Verständlichkeit des Bildes im Vordergrund, denn man versteht sofort, dass das Wahlprogramm und die politischen Botschaften nicht den Mitgliedern, sondern dem potenziellen Wähler munden müssen, möchte man bei Wahlen erfolgreich sein! Gleichzeitig suggeriert das Bild aber ebenfalls, dass der Köder dem Angler gleichgültig sein könne, solange nur der Fisch gefangen wird. In der politischen Realität wäre es aber kaum möglich, politische Inhalte anzubieten, die den Mitgliedern nicht zusagten. Eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch, welche das ungeborene Leben nicht schützt, wäre vermutlich mit der ÖDP nicht umsetzbar – auch wenn diese Position an der Wahlurne für einige Wähler attraktiv wäre.
Für einen solchen ultimativen Geschmackstest beim Wahlberechtigten muss man nun nicht bis zur nächsten Wahl warten: Dies kann bereits im Vorfeld mithilfe gängiger Instrumente der Umfrageforschung untersucht werden. So lässt sich mit einer repräsentativen Befragung von Wahlberechtigten „abklopfen“, wie die ÖDP-Themen wahrgenommen werden. Auch wenn zu Recht angemerkt werden kann, dass die ÖDP deutschlandweit wenig bekannt ist und auch schon mal für einen Ableger aus Österreich gehalten wird, so sind ihre Themen durchaus einem breiten Publikum zugänglich.
Die grundlegenden Positionen der Themenbereiche Ökologie und Demokratie, aber auch Politikfelder wie Soziales, Familie oder Wirtschaft können in geeignete Aussagen überführt werden. Anhand der Zustimmung oder der zugeschriebenen Wichtigkeit zu solchen Statements lassen sich am Ende des Prozesses die Unterstützer von ÖDP-Themen in der Gesamtbevölkerung und damit auch potenzielle Befürworter der ÖDP als Partei identifizieren.
Vermutlich würde das Wählerpotenzial für ökologische Politik gegenwärtig besonders hoch sein. Aber wie sähe es für wachstumskritische Positionen aus? Und wie verändert sich diese imaginäre Wählergruppe, wenn beim politischen Angebot noch wertkonservative Positionen, die vielen ÖDPlern sehr wichtig sind, ergänzt werden? Anhand der Antworten unserer zu befragenden Wahlberechtigten zu diesem Mix an ÖDP-Themen lässt sich so das grundsätzliche Wählerpotenzial der ÖDP in der Bevölkerung ablesen: Wie hoch ist der mögliche Stimmenanteil, den die ÖDP bei Wahlen erreichen könnte? Wie viele Fische schwimmen im Teich, denen unser Wurm schmeckt und die anbeißen würden?
Dass diese nun nicht alle auch die ÖDP wählen, lässt sich auf verschiedene bekannte und auch unbekannte Ursachen zurückführen: der geringe Bekanntheitsgrad der ÖDP, das Argument der verschenkten Stimme, vielleicht auch Gründe, die nicht im politischen Angebot zu suchen sind, wie z. B. die Sozialstruktur der Mitglieder (etwa Alter, Geschlecht oder Konfession). Was also „hindert“ diese Personengruppe, die bereits von dem Themenmix überzeugt ist, die Partei auch zu wählen? Vielleicht kommen wir mit diesem Instrument einigen interessanten Antworten näher.
In einem weiteren Analyseschritt lassen sich aus den durch die Wählerbefragung gewonnenen Daten sogenannte „Personas“ ermitteln: Das Marketing verwendet dieses Konzept, wonach Personas als verschiedene fiktive „Prototypen“, Untergruppen innerhalb der Zielgruppe, dabei helfen, sich die Motivationen von (potenziellen) Kunden oder Bewerbern, hier potenziellen Wählern, konkret vorzustellen: z. B. der Alt-Ökologe, der sich nie mit der politisch linken Ausrichtung der Grünen anfreunden konnte; oder die von den Grünen enttäuschte Umwelt- und Artenschützerin, der zudem die grundsätzliche Wirtschaftsausrichtung des „immer mehr“ missfällt; oder die die Schöpfung bewahrende Christin mit hoher Kirchgangshäufigkeit, der das Leben in allen Facetten schützenswert erscheint.
Vermutlich werden viele ÖDP-Mitglieder einen Mix mit unterschiedlichen Anteilen aus diesen Typen darstellen. Eine solche idealtypische Betrachtung kann dennoch helfen, den Wurm für die verschiedenen Fischarten schmackhaft erscheinen zu lassen – d. h. das politische Programm für diese Sub-Zielgruppen überzeugend aufzubereiten.
Weniger ist mehr!? Weiter wie bisher
Bedarf es dieses Aufwands? Nicht unbedingt. Irgendwie ist allen Beteiligten schon längst klar, worin sie sich im Kern einig sind – es ist ein Mix aus den in dieser Einleitung beschriebenen programmatischen Säulen der ÖDP. Dennoch bietet der Prozess einige Vorteile. Entsprechende Erkenntnisse, welche aus diesen Erhebungsmethoden resultieren, werden helfen, in den nächsten Jahren parteiinterne Ressourcen zu sparen. Momentan beobachtet man vermehrt intensive Diskussionen über die zukünftige Ausrichtung der Partei, welche sehr eng mit der konkreten Ausgestaltung eines Markenkerns zusammenhängt.
Exemplarisch hierfür kann die Vermutung herhalten, dass z. B. die Landesvorstände im Saarland, in Sachsen und in Bayern unterschiedliche Ansichten darüber haben dürften, was den Kern der ÖDP darstellt und mit welchen Botschaften man bei Wahlen antreten sollte. Möchte man allerdings nach außen geschlossen und glaubwürdig agieren, dann ist es hilfreich, wenn man sicher weiß, wie die eigene Basis mehrheitlich tickt, und man seine Annahmen nicht nur an ein paar lauten Stimmen festmacht.
Auch hilft die Einigung auf einen mehrheitlich getragenen Markenkern im operativen politischen Geschäft, etwa bei der politischen Kommunikation zu tagesaktuellen Problemen, aus diesem Kern kohärente Botschaften und Stellungnahmen abzuleiten, die dann ebenfalls breite Unterstützung finden. Insgesamt ließen sich so viele, dann unnötige Diskussionen darüber vermeiden, was wohl zuträfe und wie weiter zu verfahren wäre, und somit viel Zeit und Energie sparen.
Aber auch nach einem erfolgreichen Markenkernprozess wird über die Interpretation der Erkenntnisse, deren Umsetzung in eine Strategie sowie der Festlegung auf konkrete Maßnahmen intensiv zu diskutieren sein – dann aber zumindest auf Basis verlässlicher Untersuchungsergebnisse. Sicher darf und soll in einer Partei, der das „Demokratische“ besonders wichtig ist, darüber gestritten werden, zugunsten welcher Außendarstellung, welchem Themen-Mix bzw. Fokus bei einem Wahlkampf entschieden werden soll.
Es sei noch mal daran erinnert, dass der hier beschriebene Markenkernprozess unseren Mitgliedern und Aktiven die Möglichkeit gibt, sich bei diesem Vorgang einzubringen und so die Ausrichtung der eigenen Partei auch mitzugestalten. Und so bleiben bei allem Erkenntnisgewinn am Ende des Prozesses dennoch die politische Diskussion, die Notwendigkeit einer Entscheidung sowie deren Umsetzung.
Ausblick
Worum es beim Markenkernfindungsprozess nicht geht, ist Themen zu entwickeln, die nicht zur ÖDP-DNA passen und mit denen man sich beim Wähler anbiedern möchte. Gleichwohl wird sich auch eine ÖDP an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und den damit verbundenen Problemen anpassen müssen.
Seit der Club-of-Rome-Veröffentlichung „Grenzen des Wachstums“ Anfang der 70er-Jahre hat sich die Welt in vielen Bereichen grundlegend geändert, die Themen des Buchklassikers sind allerdings dringlicher denn je. Zudem sind wir in unserer immer stärker globalisierten Welt anfälliger für Krisen geworden, auch wenn sich diese anderswo auf der Welt entspinnen. Darüber hinaus wird unser Leben zunehmend von weltumspannenden Konzernen geprägt – mit enormen Auswirkungen nicht nur auf Natur und Umwelt, sondern auch auf unsere Gesellschaft, wie etwa die Arbeitswelt, unser Konsumverhalten oder die Privatsphäre.
Die ÖDP wird auf die damit verbundenen Herausforderungen und neuen politischen Fragen geeignete Antworten liefern müssen, möchte sie im politischen Wettbewerb weiter bestehen. Und diese Antworten sollten zu ihrem Markenkern passen und von ihren Mitgliedern und politisch Aktiven mehrheitlich mitgetragen werden.