„Freiheit vom Zuviel“
7. August 2022
Ein Höhepunkt in der ÖDP-Geschichte war das in Bayern erfolgreich durchgeführte Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Es zeigte, dass sich viele Menschen eine ökologische Wende wünschen – und bereit sind, dafür etwas zu tun.
Interview mit Agnes Becker
ÖkologiePolitik: Frau Becker, warum sind Sie der ÖDP beigetreten?
Agnes Becker: Mein Vater war schuld. Er hielt mir im zarten Alter von 16 Jahren den Mitgliedsantrag unter die Nase und meinte: „Schau dir das doch mal an!“ Meine Eltern waren da schon seit 1990 Mitglieder. Also hab ich’s mir angeschaut. Erster Kontakt war bei einer großen Demo der ÖDP Bayern für eine öko-soziale Steuerreform in München. Rund 1.000 ÖDPler bildeten eine Menschenkette um das Finanzministerium und es regnete die ganze Zeit wie aus Eimern. Hinterher lag ich drei Tage erkältet im Bett, aber ich hatte Bernhard Suttner auf der Demo gehört und war begeistert. Da waren Menschen, für die es wichtigere Dinge gibt als die nächste Fernreise, das dicke Auto oder irgendein technischer Schnickschnack. Menschen, die sich für den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzen und dafür auch mal stundenlang im Regen stehen. Ich habe also meine Erkältung auskuriert und wurde ÖDP-Mitglied. Bis heute bin ich es mit Stolz, denn wir sind die erfolgreichste Oppositionspartei in Bayern. Nur wir haben es geschafft, Gesetze gegen den Willen der CSU durchzubringen. Das macht tierisch Spaß. Und für die Landtagsopposition, die über ungleich viel mehr Geld und Arbeitskräfte verfügt, wirkt die ÖDP wie eine Bewegungstherapie.
Was ist das Besondere an der ÖDP, was ist ihr Wesenskern?
Eine kleine Anekdote, die ich schon oft erzählt habe: Landtagswahlkampf 2018, Frage eines Journalisten nach dem eigentlichen Interview: „Also, Frau Becker, jetzt erklären Sie mir doch mal, warum es die ÖDP immer noch gibt? Nach über 30 Jahren sind sie immer noch nicht im Landtag.“ Ich musste einen Moment nachdenken, aber eigentlich ist die Antwort sehr einfach: Niemand ist bisher bei der ÖDP reich und berühmt geworden. Oder hat nach getaner politischer Arbeit einen gut bezahlten Posten in der Wirtschaft als Lohn bekommen. Stattdessen leisten wir alle viel ehrenamtliche Arbeit, halten manchmal scharfem Gegenwind stand und sind gerne auch mal Hohn und Spott ausgesetzt. Warum also machen wir das? Aus Überzeugung! Wir sind überzeugt, dass es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Wir sind überzeugt, dass es unredlich und demokratieschädigend ist, Geldspenden von Konzernen anzunehmen. Wir sind überzeugt, dass die direkte demokratische Mitsprache der Bevölkerung eine fantastische Sache ist. Und wir sind überzeugt, dass es sich im Einsatz für den Erhalt der Lebensgrundlagen und der Natur lohnt, mutig und aufrecht in jede Auseinandersetzung zu gehen. Sind schlechte Wahlergebnisse ein Grund zum Aufgeben? Werden unsere Überzeugungen dadurch falsch? Ich meine: Nein! Was ist also unser Wesenskern? Wir sind von unseren Zielen tief überzeugt! Für die engagiert man sich nicht, weil es hinterher ein Zuckerl gibt, sondern weil sie richtig sind. Aber natürlich wollen wir auch in den Landtag! Wir brauchen ein gutes Ergebnis, damit wir auch in Zukunft die finanziellen Mittel für gut platzierte und schmerzhafte Nadelstiche in der bayerischen Politik haben. Die Erfolgsbilanz unserer Volksbegehren ist doch wirklich beeindruckend!
Worin unterscheidet sich die ÖDP von den „Grünen“?
Wir ziehen es durch! Wenn unsere Initiativen und Petitionen kein Gehör bei der großen Politik finden, dann machen wir die „Ochsentour“, stehen auf der Straße, sammeln bei Wind und Wetter Unterschriften, streiten uns mit dem Bauernverband – um den Wandel von unten durch direktdemokratische Entscheidungen zu schaffen. Und manchmal ist dem dann auch Erfolg beschieden. Wir halten den von den „Grünen“ vehement vertretenen Ansatz des „Green New Deal“ und „Grünen Wachstums“ für eine gefährliche Illusion. Der heutige, materiell aufwendige Lebensstil der Industrie-Nationen kann nicht „nachhaltig“ zu „100 % mit erneuerbaren Energien“ oder „biobasiert“ weitergeführt werden. Da zudem die Versorgung so vieler Menschen im globalen Süden dringend verbessert werden muss, wird es materielle Einschränkungen im industrialisierten Norden brauchen. Diese harte Wahrheit der nötigen Mengenreduzierung vertreten wir seit Gründung der ÖDP. Die „Grünen“ drücken sich um diese Kernbotschaft herum. Des Weiteren: Konzernspenden annehmen, wie die „Grünen“ das tun, wird es bei uns niemals geben. Und manche gesellschaftspolitischen Positionen der „Grünen“ befürworten viele in der ÖDP nicht oder halten sie einfach für zu unwichtig angesichts der überwältigenden Herausforderungen, vor denen wir alle stehen.
Was können wir aus Ihrem „Bienen-Volksbegehren“ lernen?
Wenn wir alle an einem Strang ziehen, dann können wir Großartiges schaffen! Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ war eine großartige Gemeinschaftsleistung von unendlich vielen aktiven Menschen in und außerhalb der ÖDP. Dafür empfinde ich tiefste Dankbarkeit und eine große Verpflichtung. Die Umsetzung des verbesserten bayerischen Naturschutzgesetzes ist eine Aufgabe, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird. Bei einigen Zielen geschieht wirklich viel, um den Willen von über 1,7 Mio. Menschen umzusetzen. Bei den Zielen „30 % Ökolandbau bis 2030“ und „Biotopverbund“ läuft es allerdings mehr als zäh – aber wir werden der Staatsregierung immer wieder im Nacken sitzen, damit auch dort der Bürgerwille Realität wird.
Was sollte die ÖDP tun, um erfolgreicher zu sein?
Wir müssen zusammenhalten und zusammenstehen. Es scheint in der ÖDP neuerdings eine Lust zu geben, kontroverse Themen mit großer Sprengkraft mal eben so in die Debatte zu werfen und dann zuzuschauen, wie die Pole aufeinanderprallen. Als kleine Oppositionspartei müssen wir auch nicht zu jedem tagesaktuellen Thema etwas sagen. Wir müssen uns auf unseren „Wesenskern“ konzentrieren. Die ÖDP Bayern hat das Mahatma-Gandhi-Zitat „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“ nicht umsonst schon oft auf ihre Plakate gedruckt. Freiheit vom Zuviel! Verzicht ist unsere Rettung! Darum geht es! Und nicht darum, ob Einzelmaßnahme X oder Verordnung Y jetzt sinnvoll ist oder nicht. Jede und jeder möge sich besinnen, warum er oder sie einmal in die ÖDP eingetreten ist. Nur gemeinsam sind wir stark!
Frau Becker, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.