„Identitärer“ auf einer Pegida-Demonstration. – Foto: blu-news.org, CC BY-SA 2.0, Wikimedia Commons

Gesellschaft & Kultur

Rechtsidentitäre: Alter Wein in neuen Schläuchen

Diesen Beitrag teilen

Vor einem „Bevölkerungsaustausch“ durch Zuwanderung und vor einer „Islamisierung“ warnt die „Identitäre Bewegung“. Und ruft zum Widerstand auf. Das altbekannte „Ausländer raus!“ in modernisierter Form. Wie bei allen Rechtsextremisten steht eine durch Abstammung definierte „Volksgemeinschaft“ im Zentrum des Denkens.

Interview mit Natascha Strobl

 

ÖkologiePolitik: Frau Strobl, wann und wie entstand die „Identitäre Bewegung“?

Natascha Strobl: Sie entstand 2012 in Frankreich als Génération identitaire, ging aus der gleichnamigen Jugendorganisation der rechtsextremen Regionalpartei Bloc identitaire hervor. Noch im selben Jahr gab es die ersten Ableger in weiteren Ländern wie Deutschland und Österreich, die sich zu Beginn aber – von wenigen Aktionen abgesehen – auf Facebook-Seiten beschränkten.

Woher kommt der Name? Und was bedeutet er?

Der Name wurde vom französischen Vorbild übernommen. Das Wort „Bewegung“ knüpft an Traditionen im deutschsprachigen Raum an und suggeriert, es handele sich um eine Massenbewegung – ähnlich wie bei der Arbeiter- oder Jugendbewegung. Das Wort „identitär“ hat in der extremen Rechten eine lange Tradition, die bis zu Carl Schmitt, dem „Kronjuristen“ des Dritten Reichs, zurückreicht. Von ihm stammt das Konzept einer „identitären Demokratie“: Regierende und Regierte verfügen über dieselbe „Identität“, anstelle demokratischer Willensbildungsprozesse im Parlament tritt die öffentliche Akklamation, freie und geheime Wahlen sind aufgrund der Homogenität des „Volkes“ und seiner Identität mit dem „Führer“ unnötig. Innerhalb der Neuen Rechten wurde der Begriff „identitär“ von Guillaume Faye aufgegriffen, der die europäische Identität durch muslimische Einwanderung bedroht sah und einen Krieg zwischen der autochthonen Bevölkerung Europas und dem Islam prophezeite.

Wie sieht das Weltbild und Selbstverständnis der Anhänger aus?

Sie sehen sich als heroische Kämpfer gegen den drohenden Untergang der europäischen weißen Kultur. Die vermeintliche Bedrohung ist der Islam, zudem international vernetzte „Globalisten“, wobei sich auch immer wieder antisemitische Denkmuster zeigen. Die „Identitären“ begreifen sich als Avantgarde und Elite. Das liegt daran, dass sie einen Bruch mit der herkömmlichen rechtsextremen Praxis und Organisationsform darstellen. Sie übernahmen Stilmittel und Aktionsformen, die ihre Vorbilder von der neofaschistischen italienischen Organisation „CasaPound Italia“ von der Linken und Organisationen wie Greenpeace übernommen hatten. Sie sehen sich als diejenigen, die den Weg aus dem neonazistischen Sumpf gefunden haben, der sich für viele als Sackgasse erwiesen hatte. Und vor allem als diejenigen, die Mittel und Wege gefunden haben, um in unserer Gesellschaft weniger Abwehr und mehr Zustimmung zu erzielen.

Wie viele Mitglieder zählt sie? Und wie einflussreich ist sie?

In Deutschland sind es wohl 500 bis 600 Mitglieder, in Österreich rund 150. Das ist im Vergleich zur gesamten rechtsextremen Szene Deutschlands mit derzeit über 33.000 Personen natürlich wenig. Mit ihren medial beachteten Aktionen und ihren Social-Media-Auftritten üben sie aber großen Einfluss aus. Sogar auf die Politik, etwa als eine Kampagne gegen den Migrationspakt 2018 dazu führte, dass die österreichische Regierung aus dem Pakt ausstieg. Nachdem öffentlich geworden war, dass der Attentäter von Christchurch an den Chef der österreichischen „Identitären“, Martin Sellner, Geld gespendet hatte, wurden ihre Social-Media-Accounts gesperrt und sie verloren viel mediale Präsenz. Derzeit agieren sie in der Halböffentlichkeit von Telegram-Kanälen und Corona-Leugner-Demos.

Geht von den „Identitären“ eine Gefahr für Freiheit und Demokratie aus?

Sie trugen dazu bei, dass sich der gesellschaftliche Diskurs nach rechts verschob. Mit ihrem „soften“ Rechtsextremismus machten sie diesen für jene attraktiv, die zwar rechts denken, sich aber nie mit der primitiven Neonazi-Szene oder rechtsextremen Parteien identifizieren konnten. Durch ihre personellen und strukturellen Verbindungen zur AfD trugen sie zu deren Radikalisierung bei. Dasselbe gilt für Pegida und Corona-Leugner-Demos. Ihr Wirken in Telegram-Kanälen und auf anderen Plattformen führt zu Radikalisierung und Enthemmung vor allem junger Männer. Der Attentäter von Christchurch bezog sich in seinem „Manifest“ auf sie.

Mit welchen Mitteln und Methoden arbeiten sie?

Häufig benutzte Aktionsformen waren und sind kurzzeitige Besetzungen symbolträchtiger Gebäude oder Orte, Flashmobs, Störung von Veranstaltungen, Plakate, Banner, Grafitti etc. In Sozialen Medien initiieren sie Shitstorms, produzieren Videos, Memes, Shareables und dergleichen. Dass sie Elemente der Popkultur nutzen, grenzt sie von der traditionellen rechtsextremen Szene ab.

Welche Haltung haben sie zur Klimaerwärmung?

Damit tun sie sich schwer, da dessen Leugnung in der rechten Szene weit verbreitet ist. Sellner gibt an, es gäbe dazu eine „Pluralität an Meinungen“. Doch 2019 nahmen er und andere „Identitäre“ an der Konferenz „Gegen den Klimawahn“ des neurechten Magazins „Compact“ teil. Ikonen der Klimabewegung wie Greta Thunberg sind Zielscheibe ihrer Häme. Insgesamt ignorieren die „Identitären“ das Thema aber weitestgehend, da sie nur schwer Gewinn daraus ziehen können.

Welche Rolle spielen Umweltschutz und Ökologie?

Die „Identitären“ kennen die rechte Tradition des Umweltschutzes und nutzen die Verknüpfung von Umwelt und Heimat, die im NPD-Slogan „Umweltschutz ist Heimatschutz“ mündet. Es geht dabei um die Erhaltung der heimatlichen Landschaft als nationalromantische Projektionsfläche, nicht um einen nachhaltigen Umgang mit der Natur und das Überleben der Menschheit. Im Grunde sind wir hier beim Blut-und-Boden-Denken und der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Es werden auch Parallelen zwischen Natur und Mensch gezogen: Artenschutz sei vergleichbar mit dem Kampf der „Identitären“ um ihre „ethnokulturelle Identität“. Ihr im Biologismus verankertes Denken, das durch ihre modernisierte Rhetorik meist verdeckt ist, kommt bei solchen Diskursen zum Vorschein.

Woran erkennt man „rechte Ökos“?

Es geht ihnen nie um einen universalistischen Anspruch. Die Natur steht für das Recht des Stärkeren. Beim Umwelt- und Klimaschutz geht es nicht darum, dass bestimmte Gegenden unbewohnbar werden und viele Menschen an den Folgen sterben. In ihrem sozialdarwinistischen Denken ist das Sterben der Älteren, Schwächeren und weniger Privilegierten nur ein Kollateralschaden. Das zeigt sich auch beim Thema „Impfen“: Wer sich oder seine Kinder impfen lässt, sei nur zu schwach, um die Krankheit zu überstehen.

Frau Strobl, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipps

Natascha Strobl
Radikalisierter Konservatismus
Eine Analyse
Suhrkamp, September 2021
192 Seiten, 16.00 Euro
978-3-518-12782-7

Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl
Die Identitären
Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa
Unrast, Dezember 2018
320 Seiten, 18.00 Euro
978-3-89771-224-9


Onlinetipps

Interview mit Natascha Strobl
Rassismus gibt es auch, weil man so sein will
Deutschlandfunk, 28.02.2021
www.t1p.de/592m1

Rainer Fromm, Udo Frank
Vergiftete Heimat – Die netten Rechten von nebenan
SWR, 14.02.2021
www.t1p.de/n9sr

o.V.
Identitäre Bewegung – Nationalisten im Hipster-Gewand
Deutschlandfunk, 14.07.2020
www.t1p.de/ajp4c

Peter Hille
Wie gefährlich ist die Identitäre Bewegung?
Deutsche Welle, 12.07.2019
www.t1p.de/nioeg

 


 

Mehr ÖkologiePolitik

Archiv der Online-Beiträge