Rainer Bergmann: Every day for Future (2019, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm)

Gesellschaft & Kultur

„Wie wollen wir leben?“

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Kunst ist ein Seismograf für den Zustand unserer Gesellschaft. Kunst kann uns existenzielle Fragen über Bilder intuitiv spüren lassen, kann uns im tiefsten Inneren berühren, kann unser Leben verändern. Ein Aschaffenburger Künstler kreist mit seinen Werken seit Jahren um zentrale Themen unserer Zeit.

Interview mit Rainer Bergmann

 

ÖkologiePolitik: Herr Bergmann, was malen Sie?

Rainer Bergmann: Nachdem ich vor fast 40 Jahren bei einem orthodoxen Mönch die Ikonenmalerei lernte, wandte ich mich der figurativen und realistischen Malerei zu. Ich male Bilder von Menschen in Alltagssituationen. Oder Themen, die Menschen um mich herum beschäftigen. Ich bin nicht nur Künstler, sondern auch Supervisor und Coach, betreibe neben meinem Atelier für Figurative Malerei eine Beratungspraxis. Beide Bereiche fließen ineinander und bereichern sich jeweils sehr. So beschäftigen sich viele meiner Bilder mit Themen, die Menschen berühren.

Welche Themen sind das?

Ich sehe vor allen Dingen zwei große Herausforderungen: Wie wollen wir als Paar, Familie, Gruppe und Gesellschaft das Miteinander gestalten? Und wie wollen wir weiterleben angesichts der Klimakatastrophe?

Senden Ihre Bilder eine Botschaft aus?

Nein, meine Bilder wollen weder pädagogisch noch politisch im engeren Sinn sein. Es sind Reflexionen meiner Wahrnehmungen von Dingen um mich herum. Ich verstehe mich eher als nicht wissender Beobachter. Ich nehme Situationen wahr und stelle sie in einen größeren Zusammenhang. Beispiel: Ich sitze in einem Café in Madrid und genieße eine kurze Pause. Vor mir an einem Tisch sitzen zwei ältere Herren und unterhalten sich. Die beiden sind recht unterschiedlich. Der eine ist eher ein bäuerlicher Typ, der andere mehr gutbürgerlich gekleidet. Mich hat diese Situation sehr berührt. Ein anderes Erlebnis hatte ich in Norwegen auf den Lofoten: Ich stehe vor einer mehrere Hundert Meter hohen Felswand, die steil ins Meer abfällt. Vor dieser gewaltigen Natur komme ich mir sehr klein vor. Ehrfurcht und Verantwortung nehme ich aus solchen Erfahrungen mit. Daraus entstehen dann meine Bilder.

Stellen Ihre Bilder Fragen?

Die Hauptfrage ist: Wie wollen wir weiterleben? Es geht meiner Meinung nach nicht nur um die Bekämpfung der Pandemie oder um die knappen Energieressourcen, sondern auch um Selbstbestimmung und Verantwortung. Als Sozialwissenschaftler stelle ich fest, dass das Prinzip der Selbstoptimierung als Einzelner und als Gesellschaft uns gerade alle an die Wand fährt. Wir brauchen mehr Mit- und Füreinander als Ich.

Kann Kunst die Gesellschaft verändern?

Kunst kann die Gesellschaft nicht verändern, sie kann aber den Blick auf diese Welt erweitern und Seh- und Denkgewohnheiten stören. So ist Kunst viel mehr als nur Unterhaltung. Beispielsweise erreiche ich in meiner Malerei mit Farben und Farbformen Tiefenschichten in der menschlichen Wahrnehmung, die weit über das Nachdenken und Argumentieren hinausgehen. Mit kalten und warmen Farben, mit Licht und Schatten erzeuge ich Emotionen, die Verhaltensstrategien beeinflussen können. Aber ich betone „können“. Ich brauche auch den Dialog mit den Betrachtern meiner Bilder. Daher stelle ich meine Bilder bewusst nicht nur in Galerien, sondern auch in Rathäusern und Bildungseinrichtungen aus.

Wie reagieren Leute auf Ihre Bilder?

Die Mehrzahl der Besucher meiner Ausstellungen ist sichtlich berührt und nachdenklich. Sehr oft ergeben sich interessante Dialoge über die Frage, wie wir leben wollen.

Eine Ihrer Bilder-Serien heißt „Land schaffen“. Warum?

Beruflich beschäftigt mich die Frage schon immer, wie Menschen ihr nachteiliges Verhalten ändern. Kognitive Argumente erreichen selten Gewohnheiten. Ich glaube, Menschen ändern nur dann eingefahrene Gewohnheiten, wenn sie absolut ihr Verhalten ändern müssen – z. B. bei einer Krebserkrankung – oder wenn sie durch die Änderung einen spürbaren Gewinn erzielen. In der Diskussion um die Klimakrise kommt mir oft der emotionale Gewinn einer nachhaltigen Lebensweise zu kurz. Ich möchte zeigen, wie reich unser Leben in Begegnungen und im nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen der Natur sein kann.

Ist Ihre Sicht der Dinge auch eine Frage des Alters?

Nein. Wir sehen ja gerade, dass ein großer Teil der Jugend mit Recht sehr aufgebracht darüber ist, wie mit ihrer und unser aller Lebensgrundlage umgegangen wird. Aber seitdem ich selbst zwei Enkelinnen habe, ist mir die Nachhaltigkeit meiner Entscheidungen noch bewusster.

Beeinflusst die Corona-Pandemie Ihre Malerei?

Es finden leider nur ganz wenige Ausstellungen im Jahr statt. Ich nutze die Zeit für neue Malprojekte und neue Formen der Präsentation.

Herr Bergmann, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 

Das Interview führte Friedel Dehn, seit über 30 Jahren Mitglied der ÖDP Aschaffenburg.

 


 

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