Im Rahmen des groß angelegten Pariser Stadtumbaus erhält auch der Place Charles de Gaulle mehr Flächen für Fußgänger und Radfahrer sowie eine üppige Begrünung. – Entwurf & Visualisierung: PCA-Stream

Bauen & Verkehr

Leitbild „15-Minuten-Holzbau-Stadt“

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„Wir können uns aus der Klimakrise herausbauen“, sagt der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und fordert, Gebäude künftig vornehmlich in Holzbauweise zu errichten. Für die ökologische Transformation unserer gebauten Umwelt sind aber noch weitere Maßnahmen wichtig. Ausgerechnet Paris entwickelt sich hier zum Vorbild.

von Günther Hartmann

 

Unsere Gebäude sind für mehr als 40 % der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. „Können wir das ändern?“, fragte sich Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und langjähriger Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Nach gründlichen Untersuchungen kam er zu einer klaren Antwort: „Ja. Wir können diese Emissionen weitgehend vermeiden. Wir können sogar so bauen, dass wir CO2 aus der Atmosphäre herausholen. Das geht, wenn wir organische Materialien einsetzen. Wenn wir unsere Städte wieder aus Holz bauen.“

Initiative „Bauhaus der Erde“ will globale Bauwende einleiten

Zement, Stahl und Ziegel brauchen für ihre Herstellung hohe Temperaturen und setzen dabei viel CO2 frei. Allein die Betonherstellung ist weltweit für 11 % aller CO2-Emissionen verantwortlich – das Fünffache des Flugverkehrs. Bei Holz ist das völlig anders. Bei seinem Wachstum wird CO2 nicht freigesetzt, sondern gebunden. Verrottet oder verbrennt das Holz, wird das gebundene CO2 wieder frei. Wird das Holz jedoch als Baustoff genutzt, so bleibt es gebunden – für Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Bauen mit Holz vermeidet also nicht nur CO2-Emissionen, sondern ist zudem eine hocheffektive und hocheffiziente CO2-Speichertechnologie. Holzgebäude sind große oberirdische CO2-Speicher.

Deshalb kämpft Schellnhuber für eine radikale Bauwende. Zusammen mit 20 weiteren Persönlichkeiten aus Umweltschutz, Klimaforschung und Architektur gründete er die Initiative „Bauhaus der Erde“ und stellte sie im April 2021 auf der Bundespressekonferenz der Öffentlichkeit vor. Obwohl er sich seit Jahrzehnten mit der Klimaerwärmung beschäftigt, sei ihm die Bedeutung von Bauen mit Holz erst vor wenigen Jahren bewusst geworden. „Wie konnte ich nur so blind sein und diesen Elefanten im Klimaraum übersehen?“, fragt er sich.

In Anlehnung an die berühmte Bauhaus-Bewegung des 20. Jahrhunderts vertritt die „Bauhaus der Erde“-Initiative einen ganzheitlichen Reformansatz. Sie will einen breiten gesellschaftlichen Diskurs anstoßen und die intellektuelle Grundlage für eine ökologische Transformation unseres Bauens und unserer gebauten Umwelt erarbeiten. „Müll – damit meine ich auch CO2 – ist ein Designfehler“, brachte es Annette Hillebrandt, Architekturprofessorin und beratendes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), auf den Punkt.

CO2 senken durch nachhaltige Forstwirtschaft und Bauen mit Holz

Das Speichern großer Mengen CO2 in Holzgebäuden ist allerdings nur in Verbindung mit nachhaltiger Forstwirtschaft sinnvoll: wenn anstelle der geernteten Bäume neue Bäume nachgepflanzt werden, die bei ihrem Wachstum neues CO2 aus der Atmosphäre holen und in ihrem Holz binden. Und wenn die neu gepflanzten Bäume einen ökologischen Waldumbau beschleunigen: weg von labilen und artenarmen Monokulturen hin zu stabilen und artenreichen Mischwäldern.

Nachhaltig bewirtschaftete Wälder und stoffliche Holznutzung tragen mehr zum Klimaschutz bei als naturbelassene Wälder. Denn beim Verrotten des Holzes abgestorbener Bäume wird das darin gespeicherte CO2 wieder frei. In einem naturbelassenen Wald stellt sich langfristig ein biologisches Gleichgewicht ein, bei dem im Durchschnitt genauso viel CO2 gebunden wie freigesetzt wird. Die CO2-Bilanz ist ausgeglichen. Eine positive CO2-Bilanz lässt sich nur dadurch erzielen, dass Bäume geerntet, ihr Holz stofflich genutzt und junge Bäume nachgepflanzt werden, die dann wieder aktiv CO2 binden.

Beim Nachpflanzen kann der Wald mit entsprechenden Baumarten an die Klimaerwärmung angepasst werden. Ein naturbelassener Wald dagegen kann dies nicht, weil er – im Gegensatz zu uns Menschen – nicht weiß, was ihn in Zukunft erwartet. Er kann immer nur auf die aktuelle Situation reagieren. Nur ein gezielter, weit vorausschauender Waldumbau lässt relativ schnell robuste Mischwälder entstehen. Dies sichert und erhöht auch die Biodiversität.

In Deutschland wachsen jährlich rund 120 Mio. m3 Holz hinzu und rund 80 Mio. m3 Holz werden geerntet. EU-weit ist das Verhältnis ähnlich. Nur zwei Drittel des Holzzuwachses werden geerntet. Das Holzvolumen unserer Wälder nimmt also insgesamt kontinuierlich zu – und die Holzernte lässt sich noch steigern. Aufgrund der Klimaerwärmung und den mit ihr einhergehenden Trockenperioden, Stürmen und Insektenplagen wird der Anteil von nicht-sägefähigem Holz wahrscheinlich stark steigen, doch das lässt sich gut zur Herstellung von anderen Holzprodukten nutzen – z. B. für Holzfaser-Dämmstoffe, die dann auch noch jahrzehntelang den Heizenergiebedarf und die mit ihm einhergehenden CO2-Emissionen senken.

München zeigt, wie sich Bauen mit Holz durchsetzen lässt

Eine Holzbausiedlung zu errichten, finden viele Kommunen gut. Doch meist versanden solche Vorhaben schnell, weil niemand weiß, wie sich die Holzbauweise eigentlich baurechtlich durchsetzen lässt. Im Bebauungsplan? In einem städtebaulichen Vertrag? Anders? Und schon die Frage, ab welchem Holzanteil ein Gebäude als Holzgebäude zu bezeichnen ist, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Denn gerade bei Mehrfamilienhäusern wird aus Brandschutz- und Schallschutzgründen oft eine Mischbauweise aus Stahlbeton und Holz gewählt.

Diese Fragen stellte sich auch das Münchener Stadtplanungsreferat, als der Stadtrat beschlossen hatte, auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne eine Ökologische Mustersiedlung mit 600 Wohnungen in Holzbauweise zu bauen. Zur schlüssigen Beantwortung ließ es sich fachlich beraten, vor allem von Annette Hafner, Professorin für Ressourceneffizientes Bauen an der Ruhr-Universität Bochum, die eine umfangreiche Untersuchung durchführte. Es galt zu klären, welche Anforderungskriterien sinnvoll sind und wie sie sich praxisnah definieren und umsetzen lassen.

„Das Baugesetzbuch bietet für so konkrete bauliche Fragen wenig Spielraum. Ein städtebaulicher Vertrag nach § 11 soll in erster Linie die Aspekte regeln, die das äußere Erscheinungsbild und die Nutzungsstruktur eines Baugebiets prägen. Die Baumaterialien sind für den zukünftigen Städtebau aber nicht relevant. § 9 regelt die möglichen Inhalte eines Bebauungsplans. Dazu gehören z. B. Art und Maß der baulichen Nutzung, die Bauflächen und Freiflächen sowie die Stellung der zukünftigen Gebäude. Baumaterialien für Rohbau und Innenausbau gehören jedoch nicht dazu“, erläutert Wolf Optisch, der im Stadtplanungsreferat für die Realisierung der Ökologischen Mustersiedlung zuständig war. „Die Holzbauweise haben wir daher an die Ausschreibung und Vergabe der Grundstücksflächen geknüpft. Das war möglich, weil das Gelände der Stadt gehörte.“

Dass das ehemalige Kasernengelände der Stadt gehörte, lag daran, dass nur die Stadt die baurechtlichen Voraussetzungen für eine Umnutzung schaffen kann. Anders ausgedrückt: Sie könnte eine Umnutzung blockieren und damit das Grundstück wertlos machen. Das ist ein gutes Druckmittel, um Grundstücksbesitzer zum Verkauf an die Stadt zu motivieren. Und beim Weiterverkauf gehen die Grundstücke dann nicht an die Erst- oder Meistbietenden, sondern an die Bewerber mit dem besten Baukonzept. „Konzeptionelles Vergabeverfahren“ heißt dies im Fachjargon.

Welches Baukonzept das beste ist, wird mit einem transparenten Punktesystem ermittelt. Welche Kriterien dabei wie stark gewichtet werden, bestimmt die Stadt. Für die Ökologische Mustersiedlung war die Holzbauweise das wichtigste Kriterium. Die Bewerber mussten auf einem standardisierten Formular verbindlich erklären, welche „NawaRo-Stufe“ sie erreichen wollen. Diese beschreibt die Masse nachwachsender Rohstoffe bezogen auf die Wohnfläche. Die meisten Bewerber kreuzten die höchste Stufe an. Die mit der höchsten Gesamtpunktzahl erhielten die Grundstücke. Ein Förderprogramm ergänzte das Vergabeverfahren: Jedes verbaute kg Holz wurde bei 2- und 3-geschossigen Gebäuden mit 70 Cent und bei 4- bis 7-geschossigen Gebäuden mit 2 Euro bezuschusst.

So entstand in der Ökologischen Mustersiedlung eine große Bandbreite unterschiedlicher Holzgebäude. Sie speichern bis zu 284 kg CO2 pro m2 Wohnfläche. Bezogen auf die deutsche Durchschnittswohnfläche von 47 m2 pro Person sind das 13,5 t CO2 pro Bewohner. Zum Vergleich: Das entspricht der Menge CO2, die ein Passagier bei 27 Hin- und Rückflügen von München nach Mallorca freisetzt.

Kommunen, die ebenfalls Holzbausiedlungen errichten wollen, empfiehlt Optisch drei Dinge: „Erstens saubere Definitionen, zweitens ein Förderprogramm, das einen positiven Anreiz für die Bauherren setzt, und drittens Qualitätssicherung.“ Letztere bedeutet: kompetente fachliche Beratung während aller Projektphasen sowie erfahrene Holzbau-Architekten oder Teams aus Architekten und Holzbauunternehmen.

Weitere Handlungsfelder: Flächenfraß und Verkehrslawine

Beim Vorhaben „uns aus der Klimakrise herauszubauen“ spielt der Baustoff Holz zwar die zentrale Rolle, doch Bauen verbraucht auch immer Bodenfläche und erzeugt Verkehr. Beides hängt zusammen: Je weniger dicht eine Fläche bebaut ist, desto länger werden die Wegstrecken und desto mehr wird gefahren.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren unsere Städte innerhalb ihres Mauerrings hochverdichtet und alle Wege konnten bequem zu Fuß zurückgelegt werden. Im 19. Jahrhundert begannen die Städte nach außen zu wachsen – aber immer noch hochverdichtet. Im 20. Jahrhundert ermöglichte dann das Auto die großflächige Zersiedlung des Umlands. Die „aufgelockerte, durchgrünte und autogerechte Stadt“ wurde zum Leitbild, viele Menschen zogen jedoch lieber gleich weit raus, weil da das Bauen und Wohnen billiger ist.

Dieser Trend veränderte die Raumstrukturen grundlegend: Zum einen fand eine Vermischung von Stadt und Natur statt, zum anderen eine Entmischung der Funktionen. Dadurch verschwand etwas Wichtiges: Nähe. Nähe bedeutet einen geringen Aufwand an Zeit, Energie, Rohstoffen und Bodenfläche für Transporte von Menschen und Gütern.

Das Wohnen „im Grünen“ treibt den ökologischen Fußabdruck in die Höhe. Zum einen steigt der Bodenflächenverbrauch, denn je niedriger die Geschosszahlen der Gebäude, desto höher der Pro-Kopf-Verbrauch ihrer Bewohner. Zum andern wird mehr Auto gefahren, denn je geringer die Einwohnerdichte, desto länger werden die Wegstrecken und desto unattraktiver wird der ÖPNV. Die Autos wiederum brauchen viel Bodenfläche für Straßen und Parkplätze, zudem viele Rohstoffe und viel Energie.

Durch die Automobilisierung erfolgte die Siedlungsentwicklung gießkannenartig in einer Raumstruktur, die aus landwirtschaftlich geprägten Epochen stammt, deren Einwohner heute aber mehrheitlich Berufen nachgehen, die nichts mehr mit der Landwirtschaft zu tun haben. Da jeder Ort stetig neue Baugebiete auswies, gibt es heute zu viele zu kleine und zu wenig dichte Siedlungsflächen. Zwar war immer bekannt, dass erst ab 20.000 Einwohnern ein attraktives Arbeitsplatzangebot und eine gute Infrastruktur möglich sind, doch durch das Auto können diese 20.000 auch großflächig verteilt sein. Das aber macht vom Auto abhängig und lässt deren Zahl stetig wachsen, denn ein ÖPNV kann hier nicht attraktiv sein.

Der zunehmende Autoverkehr führt an Engstellen zu Stau. Neue und breitere Straßen führen nur kurzfristig zu einer Entlastung, langfristig erzeugen sie noch mehr Autoverkehr. Denn entscheidend ist nicht die Länge einer Fahrstrecke, sondern die Zeit, die zum Zurücklegen benötigt wird. Fließt der Autoverkehr, sind lange Fahrstrecken akzeptabel. „Staus sind nicht ein Teil des Problems, sondern ein Teil der Lösung“, betont deshalb der Stadtplaner Stefan Bendiks.

Staus führen zum Umdenken, wenn es attraktive Alternativen gibt – sowohl groß- als auch kleinräumlich. Nur wenn die zeitlichen Unterschiede nicht allzu groß sind, wird vom Auto auf Bahn und ÖPNV umgestiegen. Dabei zählen die Gehstrecken zu den Haltestellen mit. Je kürzer sie sind, desto mehr Fahrgäste, desto kürzer der Takt – ein positiver Regelkreis. Deshalb sind hohe Einwohnerdichten ökologisch effizient.

„Zwischen 100 und 1.000 Einwohner pro Hektar sollten Stadtteile im Umkreis ihrer ÖPNV-Haltestellen aufweisen“, empfiehlt der Stadtforscher Philipp Rode. Weniger als 100 führen dazu, dass die Fußstrecken zu den Haltestellen zu lang sind und der ÖPNV wenig genutzt wird. Mehr als 1.000 sind nur mit Hochhäusern möglich, die einen hohen Ressourcenaufwand pro m2 Wohnfläche bedeuten. Deutsche Städte weisen relativ niedrige Einwohnerdichten auf. In den Gründerzeitvierteln wohnen meist 100 bis 150 Einwohner pro Hektar, zum Stadtrand hin sinkt die Dichte stufenweise auf unter 20 ab. In Paris beträgt sie im Durchschnitt über 200, in einigen Stadtteilen über 400.

Dichteaussagen für eine Gesamtstadt sind eher irreführend, denn die Stadtgrenzen verlaufen recht unterschiedlich: In der einen Stadt gehören angrenzende Wälder und Seen noch dazu, in der anderen nicht. Viel sinnvoller ist es deshalb, jeden Stadtteil gesondert zu betrachten. 100 Einwohner pro Hektar sollten als Minimum angestrebt werden, um einen attraktiven ÖPNV und eine Verkehrswende zu ermöglichen.

Die Ökologische Mustersiedlung in München weist 130 Einwohner pro Hektar auf. Sie zeigt, dass vernünftige Dichten mit verschiedenen Gebäudetypologien möglich sind: vom 2-geschossigen Reihenhaus bis zum frei stehenden 7-Geschosser. Dabei gilt aber: Je weniger Geschosse die Gebäude haben, desto weniger unbebaute Fläche bleibt zwischen ihnen übrig.

Paris findet ein Leitbild und geht Stadtumbau entschlossen an

Hohe Bebauungs- und Einwohnerdichten sind wichtig für eine ökologische Transformation. Genauso wichtig ist aber auch eine Dezentralisierung der Infrastruktur, eine kleinteilige Durchmischung der Funktionen, denn das verkürzt die Wegstrecken ebenfalls. Hohe Nutzungsvielfalt auf engem Raum ist ökologisch effizient – taucht allerdings als Ziel so gut wie nie auf, wenn es in der Stadtentwicklung um „Ökologie“ geht. Meist steht dann das „Grün“ im Mittelpunkt – und die Kernaufgabe, das Senken des ökologischen Fußabdrucks der Einwohner durch gezielten Stadtumbau, bleibt unbeachtet.

Ist der Zusammenhang zwischen Dichte, Flächenverbrauch, Nutzungsmischung, Autoverkehr und ÖPNV-Attraktivität zu abstrakt und zu kompliziert – und deshalb nicht kommunizierbar? Was bislang fehlte, war ein griffiges, einfaches Leitbild, das sowohl Architekten und Stadtplaner als auch die Bürger sofort verstehen. Seit Kurzem gibt es eines, entwickelt in und für Paris: die „ville de quart d’heure“, die „15-Minuten-Stadt“.

Die Idee stammt von Carlos Moreno, Urbanistik-Professor an der Universität Sorbonne. Mit Nachdruck umgesetzt wird sie von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Läden, Kindergärten, Schulen, Behörden und Ärztehäuser, aber auch Cafés, Restaurants, Kinos, Theater- und Konzerthallen, Büchereien, Sportstätten, Jugendzentren und andere Einrichtungen sowie Parkanlagen sollen von jeder Wohnung in nicht mehr als 15 Minuten erreichbar sein – am besten zu Fuß, ansonsten mit dem Fahrrad. Dafür wird die städtische Infrastruktur stark dezentralisiert und die Stadt an geeigneten Stellen nachverdichtet. Radwege werden konsequent ausgebaut, die Fahrspuren und Parkplätze für Autos konsequent rückgebaut und der öffentliche Raum durch weitere gestalterische Maßnahmen aufgewertet. Die Luftverschmutzung nimmt ab – und die Lebensqualität deutlich zu.

Um in die Arbeit zu gelangen, werden viele Menschen dennoch weitere Wegstrecken zurücklegen müssen und dafür den ÖPNV brauchen. Doch der ist in Paris seit jeher sehr attraktiv, denn aufgrund der überall hohen Einwohnerdichten sind auch sein Netz und seine Taktung sehr dicht. So lassen sich auch lange Strecken in relativ kurzer Zeit zurücklegen – deutlich schneller als im Auto.

Hildagos entschlossener Stadtumbau erregte zwar auch Kritik und Protest, überzeugte aber die große Mehrheit der Pariser. Nachdem sie 2014 als erste Frau das Bürgermeisteramt gewonnen hatte, wurde sie 2020 mit 49,3 % der Stimmen wiedergewählt.

Dem Vorbild Paris versuchen inzwischen zahlreiche Städte nachzueifern. Auch in Deutschland. Doch als Hamburg-Nord beschloss, in künftigen Bebauungsplänen nur noch hohe Bebauungsdichten und somit keine Flächen für neue Einfamilienhäuser auszuweisen, war die Empörung groß. „In Hamburg ist ein Traum linker Ideologen wahr geworden“, schimpfte der CDU-Politiker Henneke Lütgerath. Und viele andere Politiker stimmten ihm zu: Der Bau von Einfamilienhäusern müsse in Deutschland auch künftig möglich sein. Man dürfe den Menschen „diesen Traum“ nicht nehmen. Das „Häuschen im Grünen“ sei ein „Wohlstandsversprechen“, das man den Bürgern nicht madig machen dürfe. Und wenn in den großen Städten kein Platz mehr dafür sei, dann sollen eben die kleinen Gemeinden auf dem Land umso mehr Bauland ausweisen …

Es wurde erst gar nicht versucht, diese Forderung sachlich zu begründen. Anstelle von Argumenten tauchte dagegen auffällig oft das Wort „Traum“ auf. Sicherlich ist für viele Menschen das Einfamilienhaus im Grünen ihr „Wohn-Traum“ – genauso wie für viele der SUV das „Traum-Auto“ und der Flug ans andere Ende der Welt die „Traum-Reise“. In der Summe aber werden die vielen „Träume“ einzelner Menschen für die Menschheit zum Albtraum.

Bauen mit Holz macht den Stadtumbau einfacher

Die Klimaerwärmung, den Flächenfraß und die Verkehrslawine zu stoppen, ist nicht zum Nulltarif möglich. Der Preis dafür ist, die Hauptursachen künftig konsequent zu unterlassen. Die baulichen Hauptursachen sind: die Baumaterialien Beton, Ziegel und Stahl, zu geringe Bebauungsdichten und monofunktionale Nutzungsstrukturen. Wege aus dem Dilemma zeigen die „Bauhaus der Erde“-Initiative und die Stadt Paris. Und glücklicherweise ergänzen sich deren Konzepte geradezu ideal.

Für mehr Bebauungsdichte, Nutzungsvielfalt und eine bessere Nahversorgung braucht es gezielte Nachverdichtungsmaßnahmen. Und die lassen sich in Holzbauweise einfacher realisieren. Der moderne Holzbau arbeitet mit Großelementen, die unter optimalen Arbeitsbedingungen in Werkhallen mit hoher Präzision vorgefertigt, dann „just in time“ zur Baustelle transportiert und dort in kurzer Zeit montiert werden. Da es sich um eine trockene Bauweise handelt, kann nach der Fertigstellung des Rohbaus sofort der Innenausbau beginnen. Die Dauer der Baustellen ist erheblich kürzer und es fallen kaum Lärm- und Staub-Emissionen an.

Die warme Anmutung sichtbarer Holzoberflächen sorgt zudem für positive Resonanz. Neue Gebäude oder Gebäudeerweiterungen werden nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfunden. Das Schließen von Baulücken spart das Ausweisen und Erschließen neuer Baugebiete, der Ausbau von Dachräumen und das Aufstocken von Bestandsgebäuden das Versiegeln neuer Bodenfläche. Ein zusätzliches Geschoss auf Bestandsgebäuden ist durch die Leichtigkeit der Holzbauweise so gut wie immer möglich, oft sogar mehr.

Flächeneffizienz statt Flächenexpansion! Das ist wichtig, wenn wir uns – wie Schellnhuber es fordert – „mit Holz aus der Klimakrise herausbauen“ wollen. Jedes Bauprojekt muss immer auch Teil eines schlüssigen Stadtumbaus hin zur 15-Minuten-Stadt sein.

 


Buchtipps

Deutsche Bundesstiftung Umwelt (Hrsg.)
Wohnquartier in Holz
Mustersiedlung in München
Detail, November 2020
120 Seiten, 49.90 Euro
978-3-95553-527-8

Günther Moewes
Weder Hütten noch Paläste
Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft
Nomen, Neuauflage Oktober 2021
240 Seiten, 20.00 Euro
978-3-939816-78-2


Onlinetipps

Bauhaus der Erde gGmbH
Bauhaus der Erde
April 2021
www.bauhausdererde.org

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Gebäude können zu einer globalen CO2-Senke werden
28.01.2020
www.t1p.de/9izv

Informationsdienst Holz
Ökologische Mustersiedlung
September 2020
www.t1p.de/9qdw

Landeshauptstadt München
Ökologische Mustersiedlung
Mai 2020
www.t1p.de/w201

Bayerische GemeindeZeitung
Holzbau for Future
Februar 2020
www.t1p.de/3ua6

Philipp Rode
Stadtentwicklung und Verkehr
Vortrag, 30.09.2019
www.t1p.de/5no1

Stefan Bendiks
Verkehrsinfarkt oder Verkehrswende?
Vortrag, 06.05.2019
www.oedp-muenchen.de/aktuelles/unsere-vortraege/

Sebastian Gallander
Holt das Dorf in die City
Spiegel, 04.06.2021
www.t1p.de/fhcj

Kaley Overstreet
15-Minuten-Städte
Architonic, 08.02.2021
www.t1p.de/as1m

Stefanie Eisenreich
Paris auf dem Weg zur Stadt der 15 Minuten
Goethe-Institut, Januar 2021
www.t1p.de/gw2xd

Interview mit Till van Treeck
„Man kann nicht ganz Deutschland mit Eigenheimen zubauen“
Zeit, 12.06.2021
www.t1p.de/7jij


 

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