„CO2 einzusparen, reicht nicht aus“
22. November 2021
Der Gebäudesektor verursacht in Deutschland 40 % der CO2-Emissionen und 60 % des Mülls. Inspiriert von der „Fridays for Future“-Bewegung gründeten sich deshalb 2019 die „Architects for Future“ (A4F). Sie kämpfen für eine radikale Bauwende. Die Mitinitiatorin und Sprecherin der Landesgruppe Bayern erläutert, um was es dabei genau geht.
Interview mit Andrea Heil
ÖkologiePolitik: Frau Heil, wie beurteilen Sie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG)?
Andrea Heil: Bei beiden könnte man aktuell sagen: Thema verfehlt. Wir haben im Gebäudebereich nicht so sehr ein Energie- wie ein Klima- und Ressourcenproblem und wir sind bereits sehr gut bei der Effizienz, aber eben nicht bei Suffizienz und Konsistenz. Wirksamere Bauwende-Instrumente zu formen, bedeutet für das GEG: Graue Energie muss dringend mit betrachtet werden, allerspätestens ab der Novelle 2023, und die Kenngröße zur Einhaltung des gesetzlichen Standards nach GEG muss CO2 werden gemäß Ökobilanz über des ganzen Lebenszyklus. Neubauten müssen inklusive Grauer Energie mindestens klimaneutral, besser klimapositiv sein. Bei Bestandsgebäuden muss dringend honoriert werden, dass durch eine hochwertige energetische Sanierung weniger CO2-Emissionen entstehen als bei Abriss und Neubau. Beim BEG ist derzeit nicht nachvollziehbar, dass energieeffizientes Bauen, das ohne Probleme technisch machbar ist, von öffentlichen Geldern finanziert statt einfach gesetzlich vorgegeben wird. BEG-Förderungen sollten für die Schaffung von Wohnraum im Bestand und qualitativ hochwertige energetische Sanierung beschränkt werden, damit begrenzte Fördergelder nicht unwirksam verpuffen. Analog gilt für erneuerbare Energien, dass eine PV-Anlage für Neubauten sowie eine klimaneutrale Energieversorgung Pflicht sein sollten, statt diese öffentlich zu fördern. Stattdessen sollten Heizungstausch im Bestand hin zu erneuerbaren Systemen und Nachrüstung von PV im Bestand stärker unterstützt werden. Einen BEG-Bonus sollte es zudem für kreislaufgerechtes Bauen geben.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Die Gründung eines Bauministeriums, das sich eben genannten Forderungen widmet. Und auch noch weiteren Aufgaben wie z. B. der Umsetzung unserer Vorschläge für eine „MusterUMbauordnung“ zur Förderung von Bauen im Bestand, der Umsetzung unserer Petition „Bauwende jetzt!“, der Genehmigung von Abrissen nur bei nachweislicher Nicht-Sanierbarkeit, der Zulassung neuer Bauprodukte nur, wenn diese gesünder, klimafreundlicher oder kreislauffähiger sind als die Vorgängerprodukte.
Auf welches Niveau sollten energetische Mindeststandards angehoben werden?
Wir brauchen klimapositive Gebäude, die mehr CO2 speichern als sie emittieren. Als technologisches Vorreiterland reicht Einsparen nicht aus. Vorbild zu sein, geht vor allem, indem Gebäude selbst dezentrale Kraftwerke und Energiespeicher werden. Zu diesem Ziel führen mehrere Wege, z. B. konkrete Mindestdämmstandards für jedes Außenbauteil oder harte Zielvorgaben für die Ökobilanz. Der Weg dahin sollte jedoch offen bleiben, um auch innovative Strategien zu ermöglichen, denn viele intelligente Entwurfs- und Nutzungsstrategien lassen sich über zu kleinteilige Vorgaben gar nicht abbilden. Aktuelle wissenschaftliche Studien empfehlen aufgrund von Analysen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes für Sanierungen den Standard „Effizienzhaus 55“ und für Neubauten „Effizienzhaus 40“ oder besser. Wichtig ist auch, dass Sanierungen nicht mehr ohne Gesamtkonzept erfolgen. Der bereits existierende „individuelle Sanierungsfahrplan“ ist hier ein guter Start, sollte aber in der Betrachtung ausgeweitet werden auf Klimaneutralität im gesamten Lebenszyklus und nicht nur auf den Energiebedarf im Betrieb. Und ja – es gibt Gebäude, die z. B. denkmalgeschützt sind und diesen Standard eher nicht erreichen können. In diesen Fällen sollte vermehrt auf die Betrachtung eines gesamten Quartiers geachtet werden.
Was sollte sonst noch gesetzlich geregelt werden?
Dezentrale Energieproduktion und Zwischenspeicherung müssen sich lohnen! Die Solardachpflicht halten wir für einen guten und ausbaubaren Weg. Ansonsten haben wir durch die Umbauordnung und das Maßnahmenpaket mit German Zero eine Vielzahl an konkreten gesetzlichen Einzelmaßnahmen vorgeschlagen, die ohne riesige Reformen funktionieren würden.
Wie könnte der Flächenfraß gestoppt werden?
Wir müssen dringend den notwendigen Druck für die Umsetzung von bereits bekannten Werkzeugen wie Leerstands-, Baulücken- und Aufstockungskatastern für die Innenentwicklung erzeugen. Der Paragraf 13b BauGB und sämtliche Flächenfraß-Schlupflöcher gehören direkt abgeschafft, denn die Jahre bis Jahrzehnte später eintretenden Folgen können wir uns jetzt schon nicht mehr leisten. Wir brauchen eine Netto-Entsiegelung als politisches Ziel mit schrittweisen verbindlichen Zielen gekoppelt an Jahreszahlen, konkrete Maßnahmen und Konsequenzen bei Nicht-Erreichung der Zwischenziele.
Frau Heil, viel Erfolg und herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Onlinetipps
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Offener Brief an die Koalitionsverhandler
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7 Forderungen an die Baubranche
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Architects für Future Deutschland
Liste aller Ortsgruppen
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C2C im Bau: Orientierung für Kommunen
www.c2c-bau.org
Architects for Future Munich, Cradle to Cradle Baustammtisch München
München 2020
www.muenchen2020.org