Wirtschaftsjournalisten kommentieren Ereignisse fast immer innerhalb eines engen Deutungsrahmens, Verbraucherjournalisten wecken und verstärken Konsumwünsche. – Screenshots: www.sz.de/1.4887221, www.sz.de/1.5314723

Wirtschaft & Soziales

„Nachhaltigkeit muss ständiger Maßstab sein“

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Die Berichterstattung unserer Leitmedien prägt das öffentliche Bewusstsein. Zwar sind die Klimaerwärmung und andere Umweltprobleme dort inzwischen große Themen, eine konsequente Ursachenanalyse und Kritik am gegenwärtigen Wirtschaftssystem bleibt aber aus. Gerade in Wirtschaftsredaktionen herrscht ein seltsam gleichförmiges Denken.

Interview mit Dr. Uwe Krüger

 

ÖkologiePolitik: Herr Dr. Krüger, fördern oder behindern die Medien eine ökologische Transformation?

Dr. Uwe Krüger: Sie tun beides. Aber ich würde sagen: Ein größerer Teil des professionell-redaktionellen Journalismus behindert sie eher, nur ein kleinerer Teil fördert sie oder möchte sie zumindest befördern. Schaut man sich repräsentative Befragungen deutscher Journalistinnen und Journalisten an, so sieht man, dass die überwältigende Mehrheit als unparteiische Beobachter die Dinge so berichten will, wie sie sind. Nur ein Drittel möchte dagegen neue Themen auf die Tagesordnung setzen, Regierung und Wirtschaft kontrollieren und zu sozialem Wandel beitragen. Allgemein liegt der Fokus des Mainstream-Journalismus auf dem Abbilden kurzfristiger Ereignisse und des aktuellen Elitendiskurses: Worüber liegen sich die gegenwärtigen Entscheidungsträger in den Haaren? Darum geht es meistens in den Nachrichtensendungen und in den Politik- und Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen und Newsportale. Wenn man dann in einem Wirtschaftssystem steckt, das die Gewinnmaximierung für wenige über das Gemeinwohl und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stellt, ist das ein Problem: Dann ergibt das eine meist systemimmanente Berichterstattung, in der Systemfehler, Systemkritikerinnen und -kritiker sowie Systemalternativen tendenziell unterbelichtet bleiben.

Wie kommt es, dass in den Leitmedien Systemalternativen scheinbar kein Thema sind?

Systemalternativen werden eher in einem sehr kleinen Segment des Journalismus diskutiert: im sogenannten „konstruktiven Journalismus“. Da gibt es spezialisierte Medien wie „Perspective Daily“, „Transform“, „Kater Demos – das utopische Politikmagazin“, „Oya“ oder „FuturZwei“. In den großen Zeitungen, Newsportalen und Rundfunksendern wird zwar über die Klimaerwärmung und andere Umweltprobleme aufgeklärt – sehr stark vor allem seit Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung –, aber hier wird trotzdem tendenziell der Status quo verteidigt und implizit ein „Weiter wie bisher“ propagiert. Der Wirtschaftsjournalismus der etablierten Medien ist von der sogenannten „neoklassischen Wirtschaftstheorie“ inspiriert, die auch an den Universitäten dominiert. Und im Verbraucherjournalismus – z. B. in den Rubriken „Auto“, „Reisen“, „Wohnen“ und „Mode“ – dominiert ein „romantischer Konsumismus“. Ein gutes Konsumklima ist ja auch wichtig, damit Unternehmen in den Medien Anzeigen und Werbespots schalten und die Medieneigentümer Gewinne machen. Die politische Ökonomie der großen Medien ist eher transformationshemmend als förderlich, da das Befeuern von Konsumwünschen im eigenen Interesse liegt.

Was ist „romantischer Konsumismus“?

Laut dem israelischen Universalhistoriker Yuval Noah Harari, der den Begriff in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ stark macht, ist das eine Verbindung von zwei zentralen Ideologien der Moderne: Romantik und Konsumismus. Als Beispiel führt Harari den verbreiteten Wunsch an, im Ausland Urlaub zu machen: Der ist weder natürlich noch naheliegend. Ein Alphatier einer Schimpansenhorde käme nie auf die Idee, sich im Territorium einer anderen Schimpansenhorde zu erholen. Und ein Reicher im Alten Ägypten wäre bei einer Ehekrise nie auf die Idee gekommen, mit seiner Frau eine romantische Reise nach Babylon zu unternehmen, sondern hätte ihr wohl eher ein prächtiges Grabmal bauen lassen. Unsere heutigen Sehnsüchte sind weder Ausdruck unserer menschlichen Natur noch unserer Individualität. Sie entstammen unserer Gesellschaft und wurden uns „eingepflanzt“.

Wie kam es dazu?

Das Überzeugungssystem, das uns Glück durch Erlebnisse und durch Konsum verheißt, ist laut dem britischen Kultursoziologen Colin Campbell in der englischen Mittelschicht des 18. Jahrhunderts entstanden. Die romantische Ethik hob moralische Barrieren auf, die den Konsum bis dahin verhinderten, und wertete Individualität, Gefühle, Kreativität und Rebellion auf. Der Romantiker sehnte sich nach immer neuen sinnlichen Erlebnissen, die er vor allem in der Liebe und auf Abenteuern suchte. Der moderne Konsument sehnt sich auch nach immer neuen Erlebnissen und er holt sie sich vor allem durch den Kauf und Verbrauch von Waren und Dienstleistungen. Beiden gemeinsam ist, dass ihr Durst nie gestillt wird und ihr diffuses Verlangen stetig wächst. Das ist auf der Verbraucherseite der Motor, der unser Wachstumssystem am Laufen hält.

Was ist der Unterschied zwischen Konsum und Konsumismus?

Konsum ist erst mal nichts Schlechtes, jeder von uns muss bestimmte Objekte verbrauchen oder gebrauchen, um ein gutes Leben zu führen: Lebensmittel, Kleidung, Baumaterial und so weiter. Zur Ideologie wird der Konsum aber dann, wenn er eine gesteigerte Bedeutung für die eigene Identität und das soziale Zusammenleben bekommt.

Sie sagten, im Wirtschaftsjournalismus dominiere die „neoklassische Wirtschaftstheorie“. Was bedeutet das konkret?

Die „Neoklassik“ ist das herrschende Paradigma in der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Ihre zentralen Botschaften lauten: Wir Menschen sind egoistische, ständig die Maximierung unseres persönlichen Nutzens anstrebende Individuen. Wir sind jeweils bestens informiert über unsere eigenen Präferenzen und über die zur Verfügung stehenden Angebote und deren Nutzen. Und wenn man den Markt in Ruhe lässt, dann tendiert er in der Regel zu einem Gleichgewicht zwischen Angebot, Nachfrage, Gütermenge und Preis. Woraus folgt: Wenn der Staat sich raushält, funktioniert die Verteilung von knappen Ressourcen in der Gesellschaft am besten. Dabei tut die Neoklassik so, als sei sie eine objektive Wissenschaft, sie will die Gesetze der Physik auf Wirtschaft und Gesellschaft übertragen, sie agiert mit viel Mathematik und ausgefeilten „dynamisch-stochastischen allgemeinen Gleichgewichtsmodellen“. Doch mit denen konnte sie z. B. die Weltfinanzkrise 2008 nicht vorhersehen. Und im ökologischen und sozialen Bereich weist sie massive blinde Flecken auf. Kritiker sehen in der Neoklassik weniger einen wissenschaftlichen Rahmen, der Erkenntnisse ermöglicht, sondern eine Ideologie: eine Legitimationstheorie für die Herrschaft des Marktes und seiner Profiteure.

Wie würde guter Wirtschaftsjournalismus aussehen?

Wir brauchen einen transformativen Wirtschafts- und Verbraucherjournalismus. Sowohl auf der Produzenten- als auch auf der Konsumentenseite muss der Grundwert der Nachhaltigkeit ständiger Maßstab für die Berichterstattung über Waren, Dienstleistungen, Unternehmenshandeln und Wirtschaftspolitik sein. Mit einer kritisch-konstruktiven Haltung ist stets zu fragen: Welche Wirtschaftsakteure, -strukturen und -prozesse behindern eine sozial-ökologische Transformation und welche befördern sie? Wirtschaftsjournalisten sollten verstärkt auch heterodoxe Ökonominnen als Experten suchen, die nicht dem orthodoxen Paradigma der Neoklassik folgen, sondern eine kritischere Perspektive auf kapitalistisches Wirtschaften haben und in Alternativen denken – Stichworte wären „Gemeinwohlökonomie“, „Wirtschaftsdemokratie“ und „Postwachstumsgesellschaft“. Ein solcher transformationsfreundlicher Journalismus sollte natürlich auch ideologiekritisch und selbstreflexiv genug sein, um nicht nur einen „Romantischen Konsumismus“ zu dekonstruieren, sondern auch eine Romantisierung von Selbstversorgung und Autarkie zu vermeiden, zu der Teile der Degrowth-Bewegung neigen. Eine mentale Unabhängigkeit von allen Akteuren ist Voraussetzung für guten Journalismus, der mit klarer, transparenter Wertegrundlage und unverstelltem Blick die Welt beobachtet und dabei keine wichtigen gesellschaftlichen Realitäten und Zusammenhänge ausblendet.

Was müsste geschehen, damit die Leitmedien so berichten? Oder brauchen wir einfach neue Leitmedien?

In der journalistischen Community und der Gesamtgesellschaft muss eine Wertedebatte geführt werden: Für Demokratie sind die Medien alle und das nimmt ihnen auch niemand krumm. Aber für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einzutreten – also für eine existenzielle Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft –, das ist vielen zu aktivistisch. Wie verhält sich der Wunsch nach journalistischer Neutralität und Unparteilichkeit zur Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation angesichts von Erderhitzung und Umweltzerstörung? Darauf müssen wir eine Antwort finden. Eine wichtige Rolle dabei können spezielle Vereinigungen von Journalistinnen und Journalisten spielen – wie das „Netzwerk Weitblick“, das „Netzwerk Degrowth-Journalismus“, das „Constructive Institute“, das „Netzwerk Klimajournalismus Deutschland“ oder das „Arena Climate Network“. Die Medienpolitik ist gefordert, Ökologie und Nachhaltigkeit in den Auftrag öffentlich-rechtlicher Medien hineinzuschreiben. Ein zukunftsweisendes Beispiel ist die Novelle des MDR-Staatsvertrags, die seit Juni 2021 in Kraft ist: Die Berichterstattung über Klima und Umwelt ist neuerdings im Programmauftrag des MDR verankert. Doch nicht nur das Rollenverständnis ist entscheidend für eine transformationsfördernde Berichterstattung, auch die Ökonomie und die Eigentumsform der Medien: In Medien, die selbst auf Wirtschaftswachstum angewiesen sind bzw. zu Gewinnzwecken existieren, ist hinsichtlich einer Transformation unserer Wirtschaftsweise eher wenig zu erwarten. Wiederum ist die Medienpolitik gefordert, ihren Teil beizutragen, um den Journalismus aus Marktzwängen zu befreien: etwa ihn als gemeinnützige Tätigkeit steuerlich zu begünstigen, wie es das „Forum Gemeinnütziger Journalismus“ fordert.

Herr Dr. Krüger, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

 


Buchtipp

Nils S. Borchers, Selma Güney,
Uwe Krüger, Kerem Schamberger (Hrsg.)
Transformation der Medien
– Medien der Transformation
Westend, Juli 2021
350 Seiten, 32.00 Euro
978-3-86489-340-7

 


Onlinetipps

Valentin Sagvosdkin
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Zur Pluralität der wirtschaftsjournalistischen Ausbildung in Deutschland
Otto-Brenner-Stiftung, 17.06.2021
www.t1p.de/z26m

Norbert Häring
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Geld und mehr, 10.12.2020
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www.t1p.de/tyba

 


 

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