Gastliches Umfeld für eine Transformation der Erwerbsarbeit
31. März 2021
Solange Arbeitslosigkeit eine existenzielle Bedrohung darstellt, wird es starke Ängste und Widerstände gegen eine ökologische Transformation unserer Wirtschaft geben. Ein „Ökologisches Grundeinkommen“ (ÖGE) könnte die Situation entschärfen, für soziale Sicherheit sorgen und die Erwerbsarbeit gründlich verändern.
von Dr. Ulrich Schachtschneider
In welcher Weise auch immer wir uns eine weniger entfremdete Erwerbsarbeit vorstellen – ein Grundeinkommen stärkt die Möglichkeit, unser Arbeitsleben in der von Erich Fromm postulierten „Existenzweise des Seins“ zu führen. Voller Freude meine Fähigkeiten nutzen kann ich eher, wenn ich mich mit dem Produkt und seiner Produktion identifizieren kann. Mehr „Sein“ in der Erwerbsarbeit ist die Basis für die Realisierung unseres elementaren Bedürfnisses nach Resonanz: Nur wer durch frei gewählte Tätigkeiten Selbstwirksamkeitserfahrungen macht, kann auf dieser Identitätsgrundlage mit der dinglichen und sozialen Welt in einen inspirierenden Austausch treten – eine Voraussetzung für einen Abbau der konsumistischen „Haben-Orientierung“ auch jenseits der Erwerbsarbeit, die elementarer Bestandteil einer ökologisch-solidarischen Lebensweise ist.
Die „Seins-Orientierung“ in der Arbeit – das Sorgen für Menschen und Gegenstände („Lieben“), die partizipative Entwicklung und Gestaltung von Produkt und Produktion („freudige Aktivität“) sowie der persönliche Entwicklungsprozess im Rahmen einer Tätigkeit mit hohem Qualitätsanspruch („Werden“) – ist zeitaufwendig. Unternehmen, die auf die „Seins-Orientierung“ Wert legen, werden höhere Arbeitskosten haben. Um ökonomisch bestehen zu können, dürfen diese Mehr-Arbeitskosten aber weniger ins Gewicht fallen als die Einsparung an Ressourcenkosten, die sie durch ihre zeitaufwendige Gründlichkeit erreichen. Die energetisch gut überlegte und mit Muße ausgeführte Renovierung eines Gebäudes etwa wird dann ökonomisch attraktiver als ein schneller Pfusch oder gar ein Neubau, die Bahnfahrt zum beruflichen Termin wird günstiger als die Flugreise, ein täglicher Besuch mit einem persönlichen Gespräch im Rahmen sorgender Pflege fällt kostenmäßig weniger ins Gewicht als der Kauf eines automatischen Medikamenten-Dosiergeräts mit Fernüberwachung und computergeneriertem Dialog.
Damit die Realisation unserer „Seins-Ansprüche“ in der Erwerbsarbeit nicht durch die wettbewerbsbedingte Zeitknappheit erschwert wird, ist es nötig, das Verhältnis von Steuern auf Arbeits(zeit)einsatz und Steuern auf Ressourcenverwendung zu verändern. Das Grundeinkommen sollte daher zum größeren Teil aus Abgaben auf den Verbrauch von knappen Umweltressourcen finanziert werden – das ist das „Ökologische Grundeinkommen“ (ÖGE).
Langsamkeit, Partizipation und Qualität werden dadurch konkurrenzfähiger und damit auch die „Seins-Orientierung“ in der Sphäre der Erwerbsarbeit. Dafür gibt es durchaus ein Bedürfnis: Viele Beschäftigte klagen heute, dass ihnen aufgrund des Kostendrucks immer weniger Zeit bleibt, ihre eigentlichen beruflichen Fähigkeiten und Ansprüche in Ruhe umsetzen zu können. Während eine Erhöhung der Arbeitskosten eher Arbeitsverdichtung und damit Beschleunigung zur Folge haben kann, lässt sich mit der Finanzierung des Grundeinkommens über Ökosteuern Entschleunigung und Partizipation, und damit wieder mehr selbstbestimmte „Lebenswelt“, auch innerhalb des geldvermittelten ökonomischen „Systems“ stützen.
Allerdings wäre dies keineswegs zwingend, vielmehr handelt es sich um eine sich neu ergebende Option. Die Entschleunigung etwa von Transport oder Produktion durch die Verschiebung der finanziellen Gewichte von Zeit- zu Ressourcenkosten wird zwar ökonomisch günstiger, doch ebenso wird die Aufrechterhaltung oder weitere Steigerung des Tempos technischer Vorgänge ökonomisch möglich sein, sofern dies von den Konsumentinnen und Konsumenten wirklich gewünscht wird und sie dafür zu zahlen bereit sind.
Auch andersherum werden hoher Personaleinsatz und lange Arbeitszeiten keineswegs zur neuen ökonomischen Notwendigkeit. Langsamere Produktionsvarianten mit weniger Maschineneinsatz werden auch mit Ökosteuern keineswegs per se günstiger. Wenn sie von den Produzentinnen und Produzenten als unangenehmer empfunden werden, etwa das Ernten per Hand anstelle der Benutzung einer durch Ressourcensteuern teurer gewordenen Maschine, werden diese personalintensiv-langsamen Varianten im Preis steigen. Das ÖGE mit seiner Macht, „Nein“ zu sagen, erlaubt es, dafür höhere Löhne zu fordern.
Ob sich Produktionen, sozialer Wandel oder Kulturen mehr oder weniger beschleunigen, hängt unter den freiheitlichen Wahlmöglichkeiten des ÖGE davon ab, als wie authentisch die Produzentinnen und Produzenten diese selber empfinden. Das ist Zeit-Wohlstand: die Verfügung über mehr oder weniger Beschleunigung. Das Grundeinkommen ist ein Bremspedal, das benutzt werden kann. Eine „zeitbewusste Ökonomie“ mit Respekt vor den „Eigenzeiten“ von Mensch und Umwelt wird möglich.
Buchtipps
Frank Adler, Ulrich Schachtschneider (Hrsg.)
Postwachstumspolitiken
Wege zur wachstumsunabhängigen Gesellschaft
oekom, Februar 2017
328 Seiten, 24.95 Euro
978-3-86581-823-2
Ulrich Schachtschneider
Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit
Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle
oekom, September 2014
152 Seiten, 16.95 Euro
978-3-86581-693-1