Macht nichts!
30. März 2021
In unserem Kulturkreis ist das Nichtstun schlecht beleumundet, wird manchmal gar mit Egoismus verwechselt. Was für ein Irrtum! Gelingendes Nichtstun meint nicht, nur faul in der Hängematte zu liegen, sondern mit weniger von allem auszukommen: mit weniger Auto, Haus und Urlaub, mit weniger Stress, Arbeit und Geld. Es meint ein Lebensmodell, in dem wir schauen, welche Jobs wir wirklich benötigen – und welche unsozial und unökologisch sind.
von Björn Kern
Gelingendes Nichtstun heißt: die Umwege abzukürzen. Ein Beispiel: Man verdient Geld, um sich die Kita leisten zu können, in welche die Kinder gebracht werden müssen, damit man arbeiten gehen kann, um Geld zu verdienen. Man kauft ständig Dinge, deren Besitz Arbeit nach sich zieht. Der Paketzusteller klingelt nicht, sondern wirft direkt die Benachrichtigungskarte in den Briefkasten, weil er verständlicherweise keine Lust hat, für seinen Lohn vier Stockwerke zu erklimmen. Folglich rennt man durch den Verkehr zur Post. Darüber ärgern wir uns. Aber warum haben wir überhaupt etwas bestellt? Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Denn den Nachmittag verbringen wir schon wieder in der Hotline für einen Telefondienstleister.
Der Gedanke, man müsse die Menschen zum richtigen Konsum oder eben Nichtkonsum zwingen, ist der größte Irrtum der ökologischen Bewegungen der letzten 30 Jahre. Das sieht man ja immer wieder mal bei den Grünen. Man kann den Leuten nicht vorschreiben, wann sie Fleisch essen. Mir geht es nicht um die Geste des Verzichts, sondern um die Befreiung durch Unterlassen. Darum, wie bereichernd es ist, etwas nicht zu haben oder zu tun. Wie schön es ist, auf einer Bank sitzen zu dürfen, statt im Stau zu stecken oder in der Schlange vorm Skilift zu stehen. Es macht glücklich und rettet als Nebeneffekt die Welt.
Es ist kein Verzicht, sondern es macht unglaublich viel Spaß, Dinge nicht zu besitzen. Sich auszuklinken. Wo immer möglich, nicht mitzuspielen. Die Zeit, in der das aktuell brandheiße Neugerät zum Altgerät von morgen altert, das man auf keinen Fall mehr haben darf und das somit durch ein noch neueres Neugerät ersetzt werden muss, ist genau die Zeit, die man entspannt unterm Birnbaum auf der Bank sitzen kann. Arbeit ist kein Wert an sich. Genauso wenig wie Pünktlichkeit oder Sauberkeit. Durch Arbeit kann man sehr viel Unheil anrichten.
Zwei Ideologien beherrschen unsere Gesellschaft: Die eine ist die des endlosen Wirtschaftswachstums, des Wettbewerbs und der Arbeit als Wert an sich. Die andere ist der hyperaktive, technologische Umweltschutz. Auch der ist ein Irrweg. Umweltschutz erfordert Faulheit, Nichteffizienz. Eine horizontale Bewegung, keine Vertikale. Er fordert Muße, Ruhe und Weglassen. All das ist umweltfreundlich. Derjenige, der auf der Bank sitzt und ein Bierchen trinkt, wird als Schmarotzer angesehen. Dabei fügt er der Welt am wenigsten Schaden zu.
Normalerweise ist es ja so: Erst haben wir keine Zeit für uns wegen der Schule, dann keine Zeit für die Partnerschaft wegen der Ausbildung, dann keine Zeit für Kinder wegen des Berufs, dann keine Zeit für den Beruf wegen der Kinder. Wir lassen uns ausbilden, dann auspressen, und erst wenn wir uns aussortieren lassen, kommen wir wieder zu uns. Gelingendes Nichtstun versucht, diese Schlaufe abzukürzen.
Wie wäre es, wenn wir alle einen Tag in der Woche weniger arbeiten dürften? Qua Gesetz. Nicht für ein verlängertes Wochenende, sondern einen Tag, an dem getauscht und repariert wird, instandgesetzt und selbst gemacht. Wenn ich weniger für Geld arbeite, habe ich mehr Zeit, nicht für Geld zu arbeiten. Also die Wohnung selbst zu streichen, erstes Gemüse selbst anzubauen. Und was ich nicht selbst kann, kann vielleicht mein Nachbar. Sicher, mehr Geld würde das nicht einbringen. Dafür aber mehr Zeit.
Ich weiß schon: Das ist Utopie. Im Alleingang lässt sich eine Festanstellung nicht um einen Tag reduzieren. Und die Forderungen zum Monatsersten wollen alle bezahlt sein. Auch ich komme da allein nicht raus. (Sonst würde ich jetzt nichts tun und nicht diesen Text schreiben!) Ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem – das gelingt nur im Verbund. Nichtstun könnte ein erster Schritt sein: Es hält sich keine Arbeitssklaven in anderen Ländern und verursacht kein CO2.
Einziges Manko: Die Wirtschaft kurbelt Nichtstun nicht an. Wir können nun entweder glücklich sein und aufs Kurbeln verzichten. Oder wir kurbeln und verzichten aufs Glücklichsein. Noch entscheiden wir uns für die zweite Möglichkeit. In Buthan haben sie sich dagegen fürs Bruttoinlandsglück entschieden. Das wächst auch dann, wenn man gar nichts tut.
Buchtipp
Björn Kern
Das Beste, was wir tun können, ist nichts
Fischer, März 2016
256 Seiten, 12.00 Euro
978-3-596-03531-1