„Arbeitslose sind die natürlichen Gegner der Umweltbewegung“
7. Dezember 2020
Dass der notwendige Strukturwandel in einer Demokratie nur dann umsetzbar ist, wenn er keine allzu großen sozialen Verwerfungen auslöst, betont dieser frühere Staatssekretär und UN-Chef-Volkswirt. – Interview Nr. 4 in einer Reihe von 8 Interviews mit jeweils identischen Fragen.
Interview mit Prof. Dr. Heiner Flassbeck
ÖkologiePolitik: Herr Prof. Flassbeck, warum gilt in der Wirtschaftspolitik Wachstum als primäres Ziel?
Prof. Dr. Heiner Flassbeck: Wirtschaftswachstum dient dazu, unsere Einkommen zu erhöhen. Wächst die Wirtschaft, können die Einkommen wachsen, der Lebensstandard verbessert sich und das Leben wird angenehmer und sicherer. Zudem eröffnen sich für viele neue Perspektiven. „Entwicklung“ ist dafür wohl das bessere Wort, denn es geht ja nicht um die bloße Wiederholung dessen, was es schon gibt.
Welche sozialen Folgen hat es, wenn die Wirtschaft nicht wächst oder gar schrumpft?
Das erleben wir ja gerade infolge der Corona-Pandemie: Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Das technische Niveau, auf dem unsere Wirtschaft produziert, das lässt sich nicht einfach auf ein niedrigeres Niveau zurückschrauben. Und bei gleichbleibender Produktionstechnik führt ein Sinken der Produktionsmenge zwangsläufig zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit. Und die ist für die Betroffenen ein sehr großes Problem. Die Corona-Pandemie ist ein Rückschritt im Kampf gegen die Klimaerwärmung, da sich die öffentliche, mediale und politische Aufmerksamkeit geradezu monothematisch um die Pandemie und die von ihr ausgelöste Wirtschaftskrise dreht. Gegenüber der drohenden Massenarbeitslosigkeit erscheint der Klimaschutz plötzlich als zweitrangiges Problem, dessen Lösung keine so hohe Dringlichkeit und Wichtigkeit hat. Diejenigen, die den Corona-bedingten Stillstand preisen, vergessen die anderen, die durch den Stillstand in existenzielle Nöte gestürzt wurden: Unternehmer, die Firmen nicht retten konnten; Angestellte, die ihren Arbeitsplatz verloren; Freiberufler, die kein Einkommen mehr hatten und von ihren Ersparnissen leben mussten. Arbeitslose sind die natürlichen Gegner der Umweltbewegung.
Bedeutet Wirtschaftswachstum zwangsläufig auch ein Wachsen des Rohstoff- und Energieverbrauchs und damit der Umweltzerstörung?
Nur dann, wenn wir keinen Strukturwandel vollziehen. Um das Klima zu schützen, müssen wir wegkommen von der Nutzung fossiler Energieträger. Weltweit! Sowohl unsere Produktionsweisen als auch unsere Konsumgewohnheiten müssen sich ändern – und zwar ganz massiv und nicht nur ein bisschen, wie das von der Bundesregierung und auch von den Grünen suggeriert wird. Dieser Strukturwandel braucht Zeit. Es ist ein langer Prozess, der allerdings heute entschlossen eingeleitet und dann konsequent durchgezogen werden sollte. Dieser vom Staat verordnete Strukturwandel kostet natürlich viele traditionelle Arbeitsplätze und lässt sich politisch nur durchsetzen, wenn genauso viele neue Arbeitsplätze an anderer Stelle entstehen.
Wie müsste eine Wirtschaftsordnung aussehen, die das Ziel „Nachhaltigkeit“ ernsthaft verfolgt und erreichen kann?
Wir brauchen keine andere Wirtschaftsordnung, aber eine konsequente Verfolgung umweltpolitischer Ziele durch staatliche Lenkung. CO2 zu emittieren, muss auf der gesamten Welt deutlich teurer werden. Ob über eine CO2-Steuer oder über eine CO2-Budgetierung ist egal. Wichtig ist, dass es geschieht. Der CO2-Preis muss kontinuierlich steigen – und zwar stärker als die Einkommen. Nur so sinkt die Nachfrage nach CO2-emittierenden Energien. Und nur so steigt die Nachfrage nach CO2-freien Energien. Der Hebel ist allerdings auch auf der Angebotsseite anzusetzen. Die fossilen Energieträger müssen im Boden bleiben. Werden sie gefördert, dann werden sie irgendwann irgendwo von irgendjemandem verbrannt. Es ist ja auch bei uns immer noch so, dass ein Sinken des Ölpreises von der Wirtschaft, den Verbrauchern, den Medien und der Politik begrüßt wird. Das ist jedoch genau das falsche Signal. Deswegen muss die gesamte Staatengemeinschaft handeln und Druck auf die Produzenten ausüben, damit diese ihre fossilen Energieträger im Boden lassen.
Wie sinnvoll sind die aufgrund der Corona-Pandemie initiierten Rettungsfonds und Konjunkturprogramme?
Prinzipiell ist es richtig, die Wirtschaft anzukurbeln, denn die Massenarbeitslosigkeit, die sich bei uns in Kurzarbeit zeigt, führt zu starken gesellschaftlichen Verwerfungen und Problemen. Staatliche Förderung kann man jetzt auch dafür nutzen, die genannte Umstrukturierung zu forcieren. Ohne einen wirklich internationalen Ansatz ist das allerdings alles zum Scheitern verurteilt.
Birgt die Staatsverschuldung Gefahren?
Nein. Da die Zinsen, die der Staat für Kredite zahlen muss, bei fast null liegen, wird durch den Kredit niemand belastet. Einer muss sich immer verschulden, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen – entweder der Staat oder die Unternehmen oder die Verbraucher. Wenn der Staat es tut, kann er Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Ein Kollaps durch eine zu hohe Staatsverschuldung droht nur da, wo sich kleinere Staaten in ausländischer Währung verschuldet haben.
Herr Prof. Flassbeck, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Buchtipp
Heiner Flassbeck
Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft
Lassen sich Ökonomie und Ökologie versöhnen?
Westend, August 2020
173 Seiten, 18.00 Euro
978-3-86489-312-4