„Solidarität unter Landwirten ist schwierig“
6. August 2020
Für Außenstehende sind die Zusammenhänge in der Landwirtschaft nicht so leicht zu durchschauen. Um sie umwelt-, tier- und menschengerecht umzugestalten, braucht es keine simplen, eindimensionalen Lösungsansätze, sondern komplexe, ganzheitliche. Die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Dimension darf dabei nicht zu kurz kommen.
Interview mit Dr. Peter Manusch
ÖkologiePolitik: Herr Dr. Manusch, wie viel erhält ein Landwirt z.B. für Bio-Milch?
Dr. Peter Manusch: Im Jahr 2019 erhielt ein Landwirt durchschnittlich 48 Cent pro Liter plus 5 Cent Umsatzsteuer, also 53 Cent pro Liter. Verkauft wurde die Bio-Milch für durchschnittlich 1,05 Euro pro Liter bei Handelseigenmarken oder für 1,20 bis 1,40 Euro pro Liter bei Molkereimarken.
Woher kommt diese große Preisspanne?
In Deutschland wird der Markt von vier großen Handelskonzernen beherrscht: Aldi, Lidl, Rewe und Edeka. Beliefert werden diese von rund 200 Molkereien, die wiederum von rund 60.000 Milchbauern. Die Handelsseite ist mächtiger, denn sie besteht aus wenigen Großkonzernen, während die Landwirtschaft in eine Vielzahl ungleicher Unternehmen zersplittert ist, die unter Preisdruck und in Konkurrenz zueinander stehen.
Der Ökonom Mathias Binswanger fordert, Landwirte sollten sich zusammenschließen und eine Gegenmacht zu den Handelskonzernen bilden.
Solidarität unter Landwirten ist schwierig, was auch an einer hohen Ungleichheit und Zersplitterung liegt. Es gibt Erzeugergemeinschaften, die das Angebot bündeln, aber nur sehr wenige. Und diese handeln zwar sehr unabhängig, aber auch unabgestimmt. Eine Solidarität nur in Deutschland nützt auch wenig. Sie müsste international sein, zumindest europaweit. Zudem schafft die Überproduktion keine gute Verhandlungsposition. In Bayern muss bei konventioneller Milch jeder zweite Liter exportiert werden. Nur bei Bio-Milch gibt es in Deutschland die Idealsituation, dass das Angebot die Nachfrage deckt. Hinzu kommt der Zeitdruck. Landwirte müssen oft „just in time“ vermarkten. Gerade Milch ist nur begrenzt haltbar.
Sind Bio-Supermärkte besser als konventionelle Supermärkte?
Das Ungleichgewicht in den Verhandlungspositionen ist dort geringer. Es gibt zum Teil stabilere, langfristigere Handelsbeziehungen. Bei Bio-Produkten gibt es in Deutschland nur kurzzeitige oder gar keine Überangebote. Die Preise von Bio-Produkten weisen deshalb nicht diese hohen Differenzen zwischen Kauf und Verkauf auf. Aber auch der Bio-Supermarkt ist in seiner Preisgestaltung nicht unabhängig von den Preisen bei Aldi und Co.
Warum gibt es so wenig Direktvermarkter?
Allgemein problematisch sind die Faktoren „Zeit“ und „Hygiene“. Auch gibt es Regionen, in denen jeder Bauer nur dasselbe Produkt anbieten könnte, z.B. Rindfleisch oder Milch. Das begrenzt die Möglichkeit der Direktvermarktung. Zum Faktor „Zeit“: Wie sollte ein kleiner Familienbetrieb, der sieben Tage in der Woche mit der Produktion beschäftigt ist, auch noch den Vertrieb leisten? Auch der Direktverkauf ist ein großer Aufwand. Zum Faktor „Hygiene“: Da es in Deutschland hohe Hygienestandards gibt, muss ein Bauer z.B. bei Milch erst einmal hohe Investitionen tätigen, um überhaupt eine Molkereinummer zu erhalten. Bei Gemüse geht dies etwas leichter. Die Handelsstrukturen, die wir heute haben, haben schon ihre Berechtigung – ökonomisch und logistisch. Solidarische Landwirtschaft und Direktvermarktung werden sie nicht ersetzen können.
Was kann der einzelne Konsument tun?
Jeder Konsument kann bei seiner Kaufentscheidung drei Dinge hinterfragen: (1) Ist das Produkt biologisch erzeugt? (2) Kommt es aus der Region? Und (3) ist es saisonal erzeugt? Die Punkte (2) und (3) hängen oft zusammen. Das kann jeder bei jedem Einkauf einfach und schnell durchdeklinieren. Nur nach regionalen Kriterien zu kaufen, springt zu kurz. Ein Schwein auf Vollspalten und 0,75 m2 Platzangebot, wie das die Gesetzesnorm vorschreibt, fühlt sich im kleinen Stall der Nachbargemeinde genauso beschissen wie im 1.000er-Stall in Vechta. Der Verbraucher hat durchaus Einfluss und Macht. Nur was gekauft wird, wird auch produziert. Die weit verbreitete „Geiz ist geil“-Mentalität ist allerdings sehr kontraproduktiv, wenn man eine umwelt-, tier- und menschenfreundlichere Landwirtschaft will. Es gilt, ein verantwortungsvolles Verbraucherbewusstsein zu entwickeln, aufzuklären und zu sensibilisieren. Auswüchse wie in der Fleischerzeugung und -industrie muss aber der Staat konsequent verbieten.
Was wären die Folgen des Freihandelsabkommens Mercosur der EU mit Südamerika?
Fleisch aus Südamerika wird zu anderen Bedingungen erzeugt als bei uns in Deutschland. Im Abkommen müssten auch unsere Standards wie z. B. das Verbot von Hormongaben oder dem Chloren von Hähnchen festgeschrieben werden. Aber generell sollte auch die Frage einer Ernährungssicherheit bedacht werden, denn durch die Corona-Pandemie wurden wir gewahr, wie labil internationale Transportwege sein können. Da Handel keine „Einbahnstraße“ sein sollte, unsere Autoindustrie z. B. aber möglichst viel nach Südamerika liefern will, die dortigen Länder aber oft nur mit landwirtschaftlichen Produkten „bezahlen“ können, drohen unserer heimischen Landwirtschaft durch das Freihandelsabkommen große Nachteile. Um sie zu schützen, ist ein System des Ausgleichs über Subventionen nicht verwerflich. Es sollte allerdings klarer an Umweltleistungen und an das Tierwohl gekoppelt sein – und nicht mit der „Gießkanne“ verteilt werden.
Herr Dr. Manusch, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Das Interview führte Theo Sarikas.