„Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern“
2. November 2019
Verkehr soll schnell und preisgünstig sein. Doch dadurch nehmen das Verkehrsaufkommen und die damit einhergehende Umweltbelastung unaufhörlich zu. Die Politik setzt auf Einzellösungen, doch die sind nicht zielführend. Die Verkehrsproblematik ist komplex und muss deshalb ganzheitlich angegangen werden. Ein Lehrstuhl der TU Dresden tut das.
Interview mit Prof. Dr.-Ing. Udo J. Becker
ÖkologiePolitik: Herr Prof. Becker, was ist Verkehrsökologie?
Prof. Dr.-Ing. Udo J. Becker: All das, was die Verkehrswelt mit der Umwelt zusammenbringt. Also vor allem Abgase, Lärm, Energieverbräuche, Unfälle, Flächeninanspruchnahmen, Klimagasemissionen usw. Wir sind aber nicht nur die, die immer mit dem bösen Finger auf den Verkehr zeigen, sondern wir sind auch dafür da, dass die Menschen mobil bleiben, wenn sich der Verkehr einmal ändern wird.
Was sind die größten Missverständnisse beim Thema „Verkehr“?
Alle verwechseln Verkehr mit Mobilität, dabei ist das eben nicht dasselbe! Mobilität ist, wenn Menschen an ihre Ziele kommen: zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf, zum Arzt, zur Apotheke, ins Kino usw. Verkehr ist immer das Instrument, um an die Ziele zu kommen: mit Autos, Flugzeugen, Fahrrädern, Straßen, Schiffen, Signalanlagen, Verkehrsgesetzen usw. Natürlich hängt beides zusammen – und doch sind die Begriffe grundverschieden. Man kann nämlich viel Verkehr für wenig Mobilität haben, wenn z. B. alle Ziele weit weg sind. Und man kann viel Mobilität mit wenig Verkehr haben, wenn z. B. alle Ziele in der Nähe sind oder wenn man Fahrgemeinschaften bildet. Mobilität ist das, was wir alle eigentlich wollen. Verkehr, das sind die Fahrzeuge – man braucht sie, aber sie sind doch nicht der Hauptzweck!
Welches sind Ihre wichtigsten Handlungsfelder?
Am wichtigsten ist, etwas erklären zu können, denn die Menschen haben heute vor allem Angst. Angst vor Veränderungen, Angst vor Verlusten. Und deshalb lehnen sie vernünftige Vorschläge oft erst einmal ab, egal ob Klimaabgabe, Tempo 30, Verkehrsberuhigung usw. Dabei wissen wir, dass sich der Verkehr ändern muss, damit wir auf unserem Planeten überleben. Schlau wäre es, wenn wir uns sanft und abgestimmt jetzt auf den Weg machen, diese Veränderungen zu steuern und verträglich zu gestalten. Dumm ist, wenn man sich bis zur letzten Sekunde gegen jede Veränderung wehrt, denn dann wird man ganz plötzlich dazu gezwungen, ist unvorbereitet und hat keine Lösungen parat.
Welche Bedeutung messen Sie der E-Mobilität bei?
Ein Instrument wird in den Vordergrund gestellt, das alle Probleme lösen soll – aber so geht das nicht. Natürlich können E-Autos Teil der Lösung sein, aber wenn wir nur einen Antrieb gegen einen anderen tauschen und ansonsten so weitermachen wie bisher, dann werden wir scheitern. Die E-Mobilität wäre dann hilfreich, wenn die Fahrzeuge leicht, langsam und für viele gemeinsam nutzbar wären. Dann spielt auch das Batteriegewicht keine so große Rolle mehr. Aber E-Autos mit 500 PS und 3 Tonnen, die wir auch noch mit Kaufprämien fördern? Wir brauchen andere Rahmenbedingungen im Verkehrswesen!
Welche Bedeutung messen Sie dem autonomen Fahren bei?
Gleich Antwort wie eben: Das kann positiv oder negativ wirken – je nach den Rahmenbedingungen. Es kann zu viel mehr Verkehr führen. Und zu viel mehr Abgas, Lärm und Energieverbrauch. Unter geänderten Rahmenbedingungen kann es aber auch sehr hilfreich sein und die Lebensqualität erhöhen. Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern!
Wäre die City-Maut eine vernünftige Maßnahme?
Die City-Maut ändert den Rahmen, zweifellos. Und eben hier müssen wir zuerst wieder viel erklären: Nein, damit soll nicht der Autofahrer abkassiert werden. Und auch nicht die Steuerkasse gefüllt werden. Bei einer Maut handelt es sich schlicht und einfach um Marktwirtschaft: In der Stadt ist Platz knapp und teurer. Und saubere Luft ebenfalls. Wenn also jemand kostbaren Platz und saubere Luft verbraucht, dann muss er dafür eben bezahlen. So ist das in Marktwirtschaften üblich. Sie können Sekt und Kaviar auch nicht kostenlos im Supermarkt abholen. Wenn der Umweltverbrauch endlich etwas kosten würde, dann würden das alle sofort bemerken und bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Jeder würde überlegen: Wie kann ich das jetzt vermeiden? Welche Umgehungsmöglichkeiten habe ich? Und genau das ist der Trick: Alle sollen die City-Maut eben gerade nicht bezahlen, sondern umgehen: mit dem Fahrrad, mit dem Bus, mit Fahrgemeinschaften oder mit näheren Zielen. Es ist aber vorher auch dafür zu sorgen, dass alle Bürger viele Optionen haben, um die Maut nicht zu bezahlen. Zuerst sollten Umgehungsoptionen – Radwege, ÖPNV, Stadtteilzentren – geschaffen und dann erst eine City-Maut eingeführt werden.
Welche Maßnahmen sehen Sie ansonsten als wichtig? Und wirksam?
Reden, reden, reden. Und noch mal erklären. Wenn wir den Rahmen richtig ändern, ändert sich sehr viel. Es eröffnen sich viele neue Optionen, die sich heute noch nicht rechnen und die sich auch keiner vorstellen kann. Aber wenn sie Menschen fragen, deren Verkehrswelt sich geändert hat, vielleicht wegen einer City-Maut wie in London oder Stockholm, wegen höherer Abgaben oder wegen einer kindergerechten Verkehrsplanung, dann sagen die oft: „Vorher konnten wir uns das nicht vorstellen und hatten schlimme Befürchtungen. Aber jetzt, wo neue Läden in der Nähe eröffnet haben, wo die Busse alle 3 Minuten fahren und überall Carsharing ist, da können wir tatsächlich auf den Zweitwagen verzichten und sparen richtig Geld. Und natürlich kommen wir an alle unsere Ziele – besser als zuvor!“ Würde z. B. das Benzin 50 Cent teurer je Liter, dann müssten wir dafür sorgen, dass Mobilität spritsparend und nah möglich wird und dass dann alle noch halb so viel Benzin wie vorher tanken müssen. Wenn das Benzin teurer ist, werden sich 1.000 Möglichkeiten auftun, um ohne Benzin mobil zu sein. Und wenn der Verkehrsaufwand insgesamt abgenommen hat, wird es auch viel sicherer, leiser, sauberer – sprich: lebenswerter. Genau darauf wollen wir hinaus.
Herr Prof. Becker, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Buchtipp
Udo J. Becker (Hrsg.)
Grundwissen Verkehrsökologie
Grundlagen, Handlungsfelder und Maßnahmen für die Verkehrswende
oekom, März 2016
320 Seiten, 24.95 Euro
978-3-86581-775-4