Weniger ist mehr: die ÖDP-Strategie zur Europawahl
6. Januar 2019
Bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 errang die ÖDP mit 0,6 % Stimmenanteil nur sehr knapp ein Mandat im europäischen Parlament. Diesmal gibt es zwar weiterhin keine Sperrklausel, aber die politische Konkurrenz ist noch härter geworden. Dennoch steht als Wahlziel, das Mandat zu halten und auszubauen. Organisiert in mehreren Arbeitsgruppen hat der Bundesverband seine Wahlkampfstrategie entwickelt. Jorgo Chatzimarkakis, erfahrener Europawahlkämpfer, ehemaliger EU-Abgeordneter und Mitglied der AG „Strategie“ stellt die Eckpfeiler vor.
Die Europawahl in diesem Jahr stellt uns vor eine doppelte Herausforderung: Erstens wollen wir das bereits bestehende Mandat verteidigen oder sogar ausbauen, indem wir auf entsprechende Erfolge der ÖDP-Parlamentsarbeit aufmerksam machen. Zweitens müssen wir eine Alleinstellung über unser Programm und unsere Kandidaten im Lichte einer stärkeren Konkurrenz verdeutlichen, die sich sowohl für das gesamte Parteienspektrum (nationale Populisten) als auch im explizit ökologischen Milieu (hohe Sympathie für die Grünen) ergibt.
Wer in diesem Umfeld Erfolg haben will, muss seine Zielgruppe(n) erreichen. Dies ist angesichts einer ständig im Umbruch befindlichen Gesellschaft nicht leicht. Es ist eine besondere Herausforderung, sowohl die klassischen (und schrumpfenden) Zielgruppen anzusprechen und gleichzeitig neue mögliche Wählergruppen zu erreichen. Der Verzicht auf eine genaue Analyse gliche dem Schuss mit Schrot in den Wald. Nahezu alle etablierten Parteien arbeiten mit den sogenannten Sinus-Milieus, mit denen sich auch der ÖDP-Bundesvorstand beschäftigt hat.
Ein Weg, die unterschiedlichen möglichen Wähler-Gruppen der ÖDP miteinander zu verbinden, ergibt sich über das bewusste Ansprechen des sogenannten „Regrounding“. Dieser Trend, der sich auf Deutsch am besten als „neue Erdung“ übersetzen lässt, beschreibt die Sehnsucht vieler Menschen nach Entschleunigung in einer Welt, die äußerst komplex geworden ist und ein Gefühl des Kontrollverlusts vermittelt. Die „Welt scheint aus den Fugen geraten“, hört man immer mehr, was insbesondere auch für Europa gilt.
Die ÖDP ist eigentlich die einzige Partei, die diesem Wunsch nach Entschleunigung wirklich entsprechen kann, denn sie steht glaubwürdig für ein konsequentes Festhalten an der Botschaft der „Grenzen des Wachstums“. Unsere Aufgabe für die EU-Wahl besteht nun darin, dies auch im Wahlkampf zu vermitteln. Der altbewährte positive Ansatz „Weniger ist mehr“ kombiniert mit einer modernen Ansprache in Wort (Begriffspaare) und Bild (neue Farben) kann dies ermöglichen. Die folgenden Begriffspaare sind in die engste Auswahl gekommen und sprechen eigentlich für sich: „Weniger Wachstum ist mehr Zukunft“, „Weniger Spendensumpf ist mehr Transparenz“ und „Weniger Agrarfabrik ist mehr Bauernhof“. Hier hat die ÖDP entscheidende Alleinstellungsmerkmale. Weitere Begriffspaare werden in den sozialen Medien zum Einsatz kommen und in einem Wahlkampffaltblatt vorgestellt.
Doch wie erreichen wir unsere Zielgruppen am besten? In der Vergangenheit wählten hauptsächlich Menschen die ÖDP, die aus dem umweltbewussten bürgerlichen oder dem sozial-ökologischen Milieu stammen. Hier ist die Empfänglichkeit für ein „Regrounding“ traditionell sehr hoch.
Mögliche neue und junge Zielgruppen wie das adaptiv-pragmatische Milieu sind weniger ideologisch, aber sehr interessiert an Fragen des Klimaschutzes und der Wachstumskritik und zusätzlich sehr den sozialen Medien affin. Eine ganz bewusst zugeschnittene Kampagne auf diese Zielgruppen (jeweils unter Betonung der Antworten auf den Regrounding-Trend) könnte neue Wählerschichten erschließen, da diese Gruppen gerne experimentieren. Junge Erwachsene sind heute ständigen Veränderungen ausgesetzt – niemals zuvor haben sich die Lebensumstände derart schnell gewandelt. Auch die Ökologie interessiert diese Gruppe, Kernthema beim Umweltschutz ist insbesondere für die unter 30-Jährigen klar der Klimawandel; folgerichtig tendieren sie auch eher dazu, Maßnahmen zum Klimaschutz bzw. Effizienzmaßnahmen zu befürworten. Hier müssen wir ansetzen.
Das Internet und insbesondere die sozialen Medien sind von grundsätzlicher Bedeutung zum Erreichen dieser Zielgruppen. Moderne Techniken erlauben es, Menschen aus allen oben genannten Zielgruppen der ÖDP direkt zu erreichen. Das entbindet uns natürlich nicht von der Aufgabe, einen aktiven Straßenwahlkampf mit all seinen klassischen Elementen zu führen. Nur in der Kombination ergibt sich eine Überzeugungskraft, die letztlich zur Wahlentscheidung für die ÖDP führen kann. Da die jungen Zielgruppen neben dem Klimaschutz auch dem Tierwohl eine besondere Bedeutung zumessen, könnte eine Aktion der ÖDP im Wahlkampf Elemente des Mitmachens mit einer pragmatisch ausgerichteten politischen Zielsetzung (Labeling von Haltungsbedingungen, die einen Klima- und Tierschutz-Effekt haben, z. B. auf Lebensmitteln) verbinden. Ideal ergänzt dies eine Online-Kampagne zu einer entsprechend ausgerichteten Petition, die von unserem Europaabgeordneten Klaus Buchner bereits begonnen wurde und mehr als 100.000 Unterstützer gefunden hat („Agrarwende-jetzt“).
Die sinkenden Werte für die etablierten Volksparteien zeigen, dass die Wählerschaft volatiler geworden ist und Neues wagen möchte. Die hohen Umfragewerte für Bündnis 90/Grüne untermauern, dass sich viele Menschen mehr Umweltorientierung wünschen, doch wir müssen betonen, dass effiziente Maßnahmen nicht ohne Wachstumskritik wirken können, und uns so auch gegenüber den Grünen abheben. Genau hier liegt die Chance der ÖDP, da sie sich von allen anderen Parteien deutlich unterscheidet. Sie muss es nur herüberbringen – das wird uns gelingen!