„Unser Hauptproblem ist die Korruption“
6. September 2018
Ghana könnte ein reiches Land sein. Doch Korruption, Vetternwirtschaft und die unzureichende Weiterverarbeitung der in Ghana gewonnenen Rohstoffe lähmen die Wirtschaft des Landes, begünstigen Armut in weiten Teilen der Bevölkerung und führen zu Träumereien über eine Migration nach Europa. Ein Bericht aus dem Land mit der zweitgrößten Kakaoproduktion weltweit.
Der alte Mann sieht erschöpft aus – so, als hätte jedes seiner Lebensjahre ihm viel Kraft abgerungen. Er ist Kakaofarmer in Ghana, seine Hände sind schwielig von der Arbeit, sein Gesicht wettergegerbt. An diesem Tag trägt er das T-Shirt einer deutschen Fastfood-Kette. Secondhand-Kleidung kann man hier in jeder Kleinstadt erwerben – wirklich neue Kleidung nur in den Großstädten des Landes wie Accra oder Kumasi. Er lächelt seine Besucher aus Europa an, während die Kinder des Dorfes kreischend für Fotos posieren. Heute ist ein guter Tag. Die Besucher kommen aus der Schweiz. Sie sind Schokoladenhersteller. Sie haben Süßigkeiten mitgebracht, die die Kinder des Dorfes wenig später vor Schwierigkeiten stellen werden, weil sie nicht wissen, wie man die bunten Verpackungen öffnet. Vor allem aber: Die Besucher haben gebrauchte T-Shirts dabei, die sie kostenlos verteilen. Der erschöpfe Mann lächelt selig, während er das schwarze Hemd irgendeines Schweizer Jazzclubs auswählt.
Der erschöpfte Mann ist nach europäischen Standards arm. Sein deutsches Fastfood-Ketten-T-Shirt ist zerrissen, in der Gegend, in der er wohnt, gibt es viele Dörfer, die nicht an die Wasser- und Stromversorgung angeschlossen sind. Trotzdem geht es ihm, verglichen mit vielen anderen Farmern, nicht schlecht. Zum einen wohnt er im Süden des Landes. Im Süden von Ghana sind die Bauern vergleichsweise wohlhabend. Der Kakaoanbau hat sie reich gemacht. Zumindest im Vergleich zum Norden, wo die Menschen dem kargen Boden kaum genug zum Überleben abringen können. Zum anderen produziert er seit über 7 Jahren Kakao nach ökologischen Standards. Eine Firma kauft diesen Kakao zu höheren Preisen auf, um ihn schließlich nach Europa zu verschiffen. Die Firma heißt Yayra Glover Ltd. Der Chef heißt auch Yayra Glover. Die Leute im Dorf kennen ihn.
Staatsversagen
Yayra Glover sitzt in seinem Büro und telefoniert. Vor 12 Jahren ist er nach Ghana zurückgekehrt, um hier sein Handelsunternehmen für ökologischen Kakao aufzubauen. Davor hat er 20 Jahre in der Schweiz gelebt. „Wenn du in Europa gelebt hast, dann wird dir klar, warum das System dort funktioniert und hier in Ghana nicht.“ Yayra lacht und schüttelt den Kopf: „Unser Hauptproblem ist die Korruption. Die Politiker sind korrupt, die Polizisten, die Damen am Empfangsschalter. Und weil so viele davon profitieren, gibt es keinen echten staatlichen Willen, die Korruption in den Griff zu kriegen. Der Staat hier kommt seiner Verantwortung in vielen Punkten nicht nach. Wir haben eine Schulpflicht, aber Kinder, die nicht das Schulgeld bezahlen können, werden vom Unterricht suspendiert. Wir haben offiziell eine Krankenversicherung, aber ich habe Leute sterben sehen, weil sie die 400 Euro für die Behandlung nicht zusammenkratzen konnten.“
400 Euro sind in einem Land, in dem das Durchschnittseinkommen 104 Euro pro Monat (Stand 2016) beträgt, eine Menge Geld. Zumal das Geld ungleich verteilt ist: Die Oberschicht residiert in stattlichen Villen, während 28 % der Bevölkerung unter der globalen Armutsgrenze (Stand 2013) leben. Gerade unter den Jugendlichen ist die Arbeitslosigkeit groß. Viele versuchen ihr Glück in den Großstädten – und scheitern. Manch einer träumt von Europa. „Europa erscheint hier vielen als das Paradies“, sagt Yayra. „Der Grund ist einfach: Eine Putzfrau, die in Deutschland für den Mindestlohn arbeitet, verdient das 10-Fache des ghanaischen Durchschnittseinkommens. Diese Frau ist in Deutschland ein Niemand, aber in Ghana kann sie Land kaufen, ein großes Haus bauen, ein gutes Auto fahren. Wer in Europa Arbeit gefunden hat, ist in Ghana tatsächlich reich.“
Ein guter Ort zum Leben
Aber auch wenn die meisten weit entfernt von diesem Reichtum bleiben, ist Ghana kein schlechter Ort zum Leben. Im afrikanischen Vergleich ist es sogar ein ausgesprochen guter Ort. Die Sicherheitslage ist vorbildlich. Die Pressefreiheit ist besser als in manch europäischem Land. Die politische Stabilität gilt als herausragend in Westafrika. Trotzdem könnte das Land um Welten besser sein, sagen viele. Es könnte seine Potenziale besser nutzen. Die Landschaft ist exotisch und oft atemberaubend schön – aber eine touristische Vermarktung findet kaum statt. Millionen Cedi – Ghanas landesweite Währung –, die dem Staat für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen würden, versickern weiterhin durch Korruption im Nirgendwo.
Mangelnde Weiterverarbeitung von Rohstoffen
Die Rohstoffe des Landes – Ghana ist unter anderem der zweitgrößte Produzent für Kakao weltweit, der drittgrößte Lieferant für Hartholz aus Afrika und ein relevanter Handelspartner für Gold, Erdöl und Diamanten – werden zumeist im Rohstadium ins Ausland exportiert. Die Verarbeitung der Rohstoffe und damit auch der Großteil der Wertschöpfung findet in den allerwenigsten Fällen in Ghana selbst statt. Yayra Glover will zumindest bei der Rohstoffverarbeitung etwas verändern: „Ab 2019 werden wir nicht mehr nur Kakaobohnen exportieren, sondern auch die sogenannten Nibs – die gerösteten Kakaostückchen, aus denen die Schokolade schließlich hergestellt wird.“ Diese Verlagerung von Produktionsschritten von Europa nach Afrika soll die Einheimischen stärker an der Wertschöpfung beteiligen und Arbeitsplätze schaffen. Ähnliche Ziele verfolgen mittlerweile auch noch einige andere Unternehmen. Da ist beispielsweise die Firma fairafric – die die erste komplett in Afrika produzierte Schokolade auf den europäischen Markt gebracht hat. Oder Cajou Espoir, ein Produzent, der die erste Fabrik zur Verarbeitung von Cashewnüssen in Togo betreibt.
Wenn der erschöpfe Alte mit dem deutschen Fastfood-Ketten-T-Shirt von solchen Unternehmen hört, lächelt er. „Wir haben uns lange auf die Almosen von Fremden verlassen. Das hat den Kontinent gelähmt. Es wird Zeit, dass wir unser Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen.“ Dann greift er nach dem schwarzen Jazzclub-Hemd, das die Besucher aus der Schweiz kostenlos verteilt haben, und lacht – halb glücklich, halb bitter.