Familiengerechtes Wahlrecht – endgültig gescheitert?
26. November 2017
Die deutsche Politik ist nicht familienfreundlich. Ein Grund liegt wohl darin, dass Kinder bei Wahlen kein Stimmrecht haben. Das sogenannte „Übertragungs- und Stellvertretungsmodell“, bei dem Eltern für jedes ihrer Kinder ein zusätzliches Stimmrecht erhalten, ist verfassungswidrig. Deshalb erarbeitete ich vor über 20 Jahren eine verfassungsgemäße Lösung: das „höchstpersönliche Elternwahlrecht zugunsten des Kindes“.
Jugendliche unter 18 Jahren gelten als zu unreif zum Wählen – eine im Jahr 2011 veröffentlichte Studie des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ hat diese Auffassung bestätigt. Der Kerngedanke des „höchstpersönlichen Elternwahlrechts zugunsten des Kindes“ ist, dass Eltern als Inhaber des höchstpersönlichen Sorgerechts ins Zentrum gestellt werden sollen. Sie sollten sich einigen, wer jeweils für das Kind wählt. Hierbei könnte einmal mehr der eine, einmal mehr der andere Elternteil Verantwortung zeigen. Schaffen sie es nicht, nach § 1627 BGB zum Wohle des Kindes zusammenzuarbeiten, müsste ein Elternwahlrecht verfallen.
Und für dieses „höchstpersönliche Modell“ lassen sich vor allem Art. 6 GG, aber auch Art. 1, 3, 20 (2) 1. Satz GG anführen. Allein die Wahlgleichheit steht dem entgegen, die aber nach BVerfGE aus wichtigen Gründen änderbar ist. Somit ließe sich dieses Modell nur durch Erweiterungen in den einfachen Wahlgesetzen auf Bundes- und Landesebene verwirklichen. Und damit wären Familien im Wahlrecht, den Parlamenten und den folgenden Gesetzen nicht mehr unterrepräsentiert und nachteilig betroffen.
Im Jahr 2000 hatte ich die Petitionen „Verbesserung des Landeserziehungsgeldes“ und „Elternwahlrecht“ im Bayerischen Landtag einstimmig zur Würdigung gewonnen, ausgeführt wurde hingegen nur die erste. Auch eine später erfolgte Wahlrechtspetition in Thüringen blieb ohne Verwirklichung. So legte ich 2003 meine erste Popularklage in Bayern ein. Sie blieb für mich kostenlos, doch ich verlor sie leider. Denn nach der Bayerischen Verfassung (BV) soll jeder Wähler gemäß der Wahlgleichheit den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Da wog laut Bayerischem Verfassungsgerichtshof (Bay. VerfGH) die richtige Überlegung zu wenig, dass nach dem allgemeinen Gleichheitssatz wesentlich Ungleiches auch ungleich behandelt werden sollte.
Erst 2015 fielen mir Fehler in diesem Urteil auf: Denn in III 1 war zum „Schutz Ehe und Familie“ lediglich enthalten: „Art. 124 bis 126 BV sind teils Grundsatz- oder Programmvorschriften, teils Abwehrrechte gegenüber der öffentlichen Gewalt. Aus ihnen lässt sich ein Auftrag zur Einführung eines Elternwahlrechts nicht herleiten.“ Doch weil laut BV-Kommentaren Art. 124 (1) und 126 (1) weit wichtigere Grundrechte waren, mit den besonders bedeutsamen Aspekten des familiären Benachteiligungsverbots und Fördergebots, legte ich Einspruch ein.
An sich gelten Urteile des Bay. VerfGH als unanfechtbar, doch mir gelang unter Auflagen die Wiederaufnahme in einer zweiten Popularklage, die vom ÖDP-Bundesvorstand und vom ÖDP-Familien- und Sozialexperten Dr. Johannes Resch unterstützt wurde. Vor allem argumentierte ich, dass nach einer neueren Studie Ältere und Kinderlose in der Regel andere als Familieninteressen bevorzugten. Familien würden also durch das Wahlergebnis zunehmend benachteiligt, weil sie seit Adenauers Zeiten, in denen fast alle Kinder hatten, durch die hiesige Geburtenarmut immer mehr zurückgehen. Nachdem das Wahlrecht eine Nachbesserungspflicht kennt, sollten künftig Eltern die Interessen der Kinder in die Wahl einbringen dürfen. So würden Familien nicht mehr in zunehmender und verfassungswidriger Weise geschädigt.
Leider urteilte der Bay. VerfGH wieder gegen mich und erwies sich hier wohl auch als befangen gegenüber seinem früheren Fehler. Zwar gestand er ein, dass Art. 124 (1) und 126 (1) Grundrechte waren, doch seien Ausführungen zu diesen Artikeln mit seinen Inhalten in der letzten Entscheidung nicht notwendig gewesen. Wenn ich nun vorbringe, dass sich zum Beispiel der Anteil von Eltern mit minderjährigen Kindern an den Wahlberechtigten von 38,1 % im Jahre 1974 auf 23,8 % im Jahr 2014 verringert hat, so kann der Bay. VerfGH jetzt nur den Zeitraum ab 2003 (Entscheidung der ersten Klage) bis heute überprüfen – und hier ist die Abnahme nicht so drastisch. Den Einwand, dass oben genannte Studie neueren Datums ist, ließ man nicht gelten.
Doch will ich mich mit diesem erneuten mutmaßlichen Fehlurteil nicht abfinden und würde das Thema gerne durch eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG klären, denn im GG sind Grundrechte mit Art. 6 GG besser geordnet und ausgeführt als in der 1946 entstandenen BV. Leider ist beim BVerfG statt einer Popularklage nur eine Verfassungsbeschwerde (VB) möglich, für die eine persönliche Betroffenheit durch ein Grundrecht notwendig ist. Da meine Kinder längst erwachsen sind, habe ich nach Art. 6 GG kein Grundrecht mehr. Wenn aber jemand in der ÖDP sich wegen seiner eigenen Kinder betroffen fühlt, kann er sich gerne bei mir melden und mit mir zusammen eine kostenlose Verfassungsbeschwerde ins Auge fassen!
Link
Gerhart Meixner
Familiengerechtigkeit ohne Verfassungsänderung
ÖkologiePolitik 161, Februar 2014
https://www.oedp.de/aktuelles/oekologiepolitik/oep161/