Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen
23. Oktober 2017
Für Donnerstag, den 18. Oktober 2017, hatte die Initiative, unterstützt von 140 Trägerinnen und Trägern des Bundesverdienstkreuzes, zur Einsetzung einer Enquete-Kommission Fluchtursachen durch den Deutschen Bundestag in das Auditorium Friedrichstraße in Berlin eingeladen.
Bereits Anfang des Jahres erging an die zur Bundestagswahl antretenden Parteien der Aufruf, die Forderung nach Einsetzung einer Enquete in ihre Wahlprogramme aufzunehmen und diese Kommission nach der Konstituierung des Bundestages umzusetzen. Bereits beim Bundesparteitag Anfang Mai wurde diese Forderung aufgegriffen und von über 200 Delegierten, unterstützt von den vier ÖDP-TrägerInnen des Verdienstordens Roswita Bendl, Bernhard Suttner sowie Dr. Rainer Schanne und Gertrud Schanne-Raab, mit überwältigender Mehrheit beschlossen. „Wir wollen nicht, dass die Heimat von Millionen von Menschen durch unser ausbeuterisches Wirtschaftssystem weiter zerstört wird und Flucht die einzige Perspektive ist“, lautete der Tenor in Ingolstadt.
Auf der Veranstaltung betonte Prof. Dr. Angelika Zahrnt in ihrer Begrüßungsrede, dass die Einsetzung einer solchen Enquete-Kommission notwendig sei, um für das Drama der Migration tragfähige, langfristige Lösung zu entwickeln. Die viel diskutierte Obergrenze lasse die moralische Dimension außen vor. Diese Position vertrat in der zweiten Rede des Abends auch der ehemalige Umweltminister, Prof. Dr. Klaus Töpfer. Man dürfe Menschen in Not nicht alleine lassen, sondern müsse kluge Lösungen finden, statt sich über die Fluchtbewegungen nach Europa/Deutschland zu wundern.
Den Reden schloss sich eine spannende Podiumsdiskussion mit prominenten Vertretern an, moderiert von der ZEIT-Redakteurin Christiane Grefe.
Prof. Markus Schächter, ehemaliger Intendant des ZDF, vertrat die Auffassung, dass das Thema Flucht und Migration eine große Sprengkraft hätte, da es tief in unseren Alltag eingreifen würde. Dr. Volker Hauff, ehemaliger Bundesminister für Verkehr und ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, bezeichnete die Diskussion um Obergrenzen als oberflächlich und gestand gleichzeitig die eigene Hilflosigkeit mit der gesamten Thematik ein. Für ihn lägen die Hauptfluchtursachen in den unfairen weltweiten Handelsbeziehungen. Als weitere Ursachen nannte Hauff die Klima- und die Kriegsfrage sowie die weltweite Korruption. Er erhoffe sich von einer Enquete eine breite Diskussion um die Ursachen für Fluchtbewegungen.
Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe e.V., kennt die Krisengebiete der Welt sehr gut, sei es nun Somalia, Sudan oder Myanmar. Sie befindet sich mehrfach im Jahr in solchen Krisenstaaten. Ihrer Erfahrung nach flüchte niemand gern und wenn, dann flüchteten in der Regel nie die Allerärmsten. Zu bestreiten, dass Hunger nicht zu einer Wirtschaftsflucht führt, nennt Dieckmann „verlogen“. Für sie besteht die Chance einer Enquete-Kommission vor allem darin, Sachverhalte zu ordnen und politische Folgerungen zu erarbeiten. Der viel diskutierte „Marshallplan mit Afrika“ sei ihrer Einschätzung nach zu einseitig auf die Interessen der Industrie ausgerichtet.
Prof. Klaus Töpfer merkte an, dass der aktuelle brain drain aus den Entwicklungsländern, also die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften, den Industrieländern mehr nutze, als diese aktuell in Entwicklungszusammenarbeit investieren würden. Allein das Befassen und Ordnen der Gesamtthematik sei für ihn ein großer Zugewinn durch eine solche Enquete.
Volker Hauff betonte im Verlauf der Diskussion, dass Enquete-Kommissionen grundsätzlich ein Instrument zur Vorbereitung von Entscheidungen, also keine reine Fortsetzung der politischen (Auschuss-)Arbeit sein dürfen. In seinem Statement ging er auf die unterschiedlichen Erfolge früherer Enquete-Kommissionen ein. Für ihn sei in erster Linie entscheidend, dass eine gesellschaftliche Verständigung erreicht wird mit dem Ziel, dass sich alle Menschen, die sich über den Themenkomplex Gedanken machen, im Ergebnis wiederfinden. Im Weiteren müsse eine solche Kommission Handlungsoptionen sichtbar machen. Und es müsse klar sein, mit welchen Bewertungskriterien ein jeder an eine solche Diskussion herangehen würde. Wie die Diskussion in der Enquete angelegt werden könnte, müsse gleichfalls genauestens überlegt sein.
Besonders wichtig seien hierbei die Auswahl und die Rolle der oder des Vorsitzenden.
Bärbel Diekmann betonte, dass aus ihrer Sicht speziell diese Enquete-Kommission sehr kompliziert werden dürfte, da auch rechtsnationale Äußerungen eine Rolle spielen werden. Sie unterstrich jedoch die Wichtigkeit derlei Diskussionen, da die Probleme weltweit weiter zunehmen würden.
Volker Hauff betonte, dass vergangene Enquete-Kommissionen vor allem dann erfolgreich gewesen wären, wenn sie sich von der parteipolitischen Auseinandersetzung gelöst hätten. Als negatives Beispiel nannte er die Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. Sie habe sich nie aus den politischen Fronten der einzelnen Parteien lösen können.
In der Abschlussrunde wollten die Diskutanten keine konkrete Namen nennen, die sie gerne in der Kommission verortet sähen. Mehrheitlich wurde gewünscht, auch Betroffene zu Wort kommen zu lassen.
In seinem Abschluss-Statement „Wie weiter?“ betonte der evangelische Pfarrer und Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck, dass die 140 Unterzeichner der Forderung keinen bloßen Apell erhoben hätten, sondern sich eine ernsthafte Diskussion um die Thematik wünschen. Man solle die Echokammern der Republik öffnen und ein gemeinsames Nachdenken zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik ermöglichen. Die 140 unterstützenden Bundesverdienstkreuzträger würden den Fortgang einer solchen Kommission sehr aufmerksam und kritisch begleiten.
Anschließend bat Beck darum, dass alle Unterstützerorganisationen sich die größte Mühe geben sollten, die Forderung nach der Einsetzung einer Enquete-Kommission in den sich neu konstituierenden Bundestag zu transportieren.
Links
Homepage der Initiative:
https://fluchtursachen-enquete.com/