„Die soziale Unwucht wäre nicht beseitigt“
14. März 2017
Ist ein Grundeinkommen gerecht? Welchen Einfluss hätte es auf die soziale Struktur unserer Gesellschaft? Würde sich die immer weiter fortschreitende Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich dadurch abschwächen oder gar umkehren?
Interview mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge
ÖkologiePolitik: Herr Prof. Butterwegge, warum sind Sie gegen ein Grundeinkommen?
Prof. Dr. Christoph Butterwegge: Weil es die seit dem 19. Jahrhundert mühsam aufgebaute Sozialstaatlichkeit auf einen Schlag zerstören würde. Und weil es schlicht und einfach unfair ist, wenn ein Millionär dieselbe Summe ausgezahlt bekommt wie ein Müllwerker. Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip schafft nicht mehr soziale Gerechtigkeit. Vielmehr sollte Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden. Würde der Staat allen Bürgern 1.000 Euro zahlen, kostet das pro Jahr 1 Billion Euro, dreimal so viel wie der Bundeshaushalt. Trotzdem verschwände weder die relative Armut noch die soziale Ausgrenzung. Die von der EU bei 60 % des mittleren Einkommens angesetzte Armutsschwelle würde sich nur geringfügig nach oben verschieben und das Preisniveau steigen. Wer nicht armutsnah leben will, müsste trotz Bezug des Grundeinkommens einer Erwerbsarbeit nachgehen. An den bestehenden Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnissen sowie der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich würde sich überhaupt nichts ändern.
Kommt es nicht darauf an, wie ein Grundeinkommen finanziert wird?
Die enorme Ungleichheit würde nur dann verringert, wenn man das Grundeinkommen über Gewinn- oder Vermögensteuern finanziert, was kaum zu erwarten ist. Im Gegenteil: Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemarktkette und prominenter Befürworter eines Grundeinkommens, möchte sämtliche Steuerarten abschaffen, die Großunternehmer wie er zahlen müssen: die Reichensteuer, die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer, also die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften. Refinanzieren möchte Werner das Grundeinkommen durch eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer. Diese träfe besonders kinderreiche Familien, Geringverdiener und Transferleistungsbezieher, die praktisch ihr gesamtes Einkommen für die Alltagsnotwendigkeiten ausgeben müssen.
Was wäre, wenn das Grundeinkommen komplett über Abgaben auf Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung finanziert würde?
Dadurch wäre die soziale Unwucht nicht beseitigt. Ich trete zwar für eine sozialökologische Transformation der Industriegesellschaft ein, doch die dafür notwendigen Reformen dürfen nicht auf dem Rücken der Armen stattfinden.
Wenn der finanzielle Druck zum Geldverdienen sinkt, müssen dann die Arbeitgeber nicht höhere Löhne zahlen, um für Arbeitnehmer attraktiv zu sein?
Nein. Es ist kein Zufall, dass namhafte Unternehmer und Spitzenmanager großer Konzerne zu den Verfechtern eines Grundeinkommens gehören. Denn sie wären die Hauptprofiteure. Die Arbeitnehmer hingegen hätten weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften könnten keine Gegenmacht mehr entwickeln, zumal alle übrigen Sozialleistungen aus Kostengründen abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen würden. Wahrscheinlich gäbe es keinen Kündigungsschutz, keine Flächentarifverträge und keinen Mindestlohn mehr. In der Folge würde das Lohn- und Gehaltsniveau eher sinken als steigen, fürchte ich. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre gewissermaßen ein Kombilohn für alle Bürger, so wie Hartz IV ein Kombilohn für 1,2 Mio. Aufstocker ist.
Sinken würde jedoch der staatliche Verwaltungsaufwand.
Ein „Minimalstaat“ ist einer der großen Wünsche der Neoliberalen, die in der sozialen Gerechtigkeit nur ein Hirngespinst sehen. Soziale Gerechtigkeit benötigt indes einen starken Sozialstaat, der Hilfebedürftige finanziell unterstützt, nicht aber Wohlhabende. Um zwischen diesen beiden Gruppen differenzieren zu können, bedarf es einer leistungsfähigen Bürokratie, die rational und unvoreingenommen auf der Basis entsprechender Gesetze entscheidet. Ohne staatliche Bürokratie gibt es keine Bedarfsgerechtigkeit. Würde ein Grundeinkommen eingeführt, dann hätten die Neoliberalen ihr Hauptziel erreicht: die Zerschlagung des Sozialstaates.
Was schlagen Sie anstelle eines Grundeinkommens vor?
Statt unser jahrzehntelang bewährtes Sozialsystem zu zerstören, sollten wir seine Vorzüge bewahren und es zu einer allgemeinen, einheitlichen und solidarischen Bürgerversicherung weiterentwickeln. „Allgemein“ bedeutet, dass die Bürgerversicherung sämtliche Sozialversicherungszweige übergreift. „Einheitlich“, dass es keine mit ihr konkurrierenden Versicherungssysteme gibt. „Solidarisch“, dass zwischen ökonomisch unterschiedlich Leistungsfähigen für einen sozialen Ausgleich gesorgt wird. Die Beiträge sollten nicht nur auf Löhne und Gehälter erhoben werden, sondern auf alle Einkommensarten, also auch Zinserträge, Dividenden, Tantiemen und Mieterlöse. Nach oben darf es weder eine Beitragsbemessungs- noch eine Versicherungspflichtgrenze geben, die es Gutverdienern erlauben würde, in exklusive Versicherungssysteme auszuweichen und sich so der Verantwortung für Finanzschwächere teilweise oder ganz zu entziehen. „Bürger“ bedeutet, dass alle Wohnbürger aufgenommen werden müssen, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Durch die Aufnahme von bisher nicht einbezogenen ökonomisch leistungsstarken Berufsgruppen wie Selbstständigen, Freiberuflern, Beamten, Abgeordneten und Ministern würde die Bürgerversicherung auf ein solides finanzielles Fundament gestellt. Mit einer Wertschöpfungsabgabe – auch „Maschinensteuer“ genannt – würden sich zudem eine ausgewogenere Belastung der Unternehmen und ein positiver Beschäftigungseffekt erzielen lassen.
Herr Prof. Butterwegge, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Buchtipp
Christoph Butterwegge
Armut
PapyRossa, Oktober 2016
131 Seiten, 9.90 Euro
978-3-89438-625-2