„Wir brauchen gute Arbeit, nicht keine Arbeit“
2. März 2017
Würde ein Grundeinkommen die Menschen tatsächlich glücklicher machen? Falls es zum Nichtstun verführt: Welche Auswirkungen hätte das auf die menschliche Psyche und Persönlichkeitsentwicklung? Und welche auf die Gesellschaft?
Interview mit Thomas Vašek
ÖkologiePolitik: Herr Vašek, warum sind Sie gegen ein Grundeinkommen?
Thomas Vašek: Ich lehne es gar nicht radikal ab, sondern stehe ihm nur skeptisch gegenüber. Und das aus zwei Gründen: Zum einen, weil ein Grundeinkommen ohne Arbeit meines Empfindens gegen zentrale Gerechtigkeitsgrundsätze verstößt. Zum anderen bin ich davon überzeugt, dass gute Arbeit zu einem guten und glücklichen Leben gehört, sodass ein starker Anreiz, nicht zu arbeiten, ziemlich kontraproduktiv ist. Aber ich bin da nicht dogmatisch und wäre auch neugierig, in der Realität zu erleben, wie Menschen tatsächlich auf ein Grundeinkommen reagieren. Es sollte durchaus einmal in einem Großversuch ausprobiert werden – räumlich und zeitlich begrenzt, in einzelnen Städten oder Regionen über mehrere Jahre.
Ist die Befreiung von Arbeit nicht ein uralter Menschheitstraum?
Zahlreiche empirische Untersuchungen zeigen, dass Menschen ohne Arbeit in der Regel nicht glücklich, sondern unglücklich sind. Sie könnten eigentlich die viele freie Zeit nutzen, um sich schönen und sinnvollen Dingen zu widmen, um gute Bücher zu lesen und sich ehrenamtlich zu engagieren, doch das tun sie meist nicht. Stattdessen verfallen sie oft in Lethargie und Depression. Das hat gar nicht so viel mit einem Mangel an Geld zu tun, sondern mehr mit einem Mangel an Struktur. Arbeit schafft wunsch-unabhängige Gründe, etwas zu tun, erzeugt Pflichten, erfordert Disziplin. Man muss morgens aufstehen, zur Arbeit fahren, ein bestimmtes Arbeitspensum erledigen, mit Problemen fertigwerden – egal ob man dazu gerade Lust hat oder nicht. Die wenigsten Menschen würden es schaffen, ihr Leben ohne äußere Zwänge zu strukturieren. Und dies führt dann dazu, dass sie ihre Talente, ihre Fähigkeiten und ihre Kreativität nicht entfalten, dass sie ihre Persönlichkeit nicht entwickeln, dass sie stagnieren oder sogar verkümmern. Unsere Persönlichkeit entwickelt sich nicht einfach so aus sich selbst heraus, sondern in starkem Maße durch die Lebensumstände: durch Begegnungen, Beziehungen, Herausforderungen, Anstrengungen und Erfahrungen – negative und positive. Und die liefert die Arbeit. Das eigentliche Leben beginnt nicht jenseits der Arbeit in der Freizeit, sondern die Arbeit ist ein ganz wesentlicher Teil eines guten Lebens.
Viele Arbeitsplätze sind langweilig und frustrierend statt erfüllend.
Das ist richtig, aber was wir brauchen, ist bessere Arbeit, wirklich gute Arbeit, nicht keine Arbeit. Wenn heute Roboter zunehmend menschliche Arbeitskraft ersetzen, dann sehe ich dies als etwas Positives, denn das waren dann ja auch eher stupide Tätigkeiten. Und es gibt ja noch viele Aufgaben, die nur schlecht oder gar nicht erledigt werden, z. B. in sozialen Berufen. Es wäre doch ein großer gesellschaftlicher Fortschritt, wenn Pflegekräfte endlich ausreichend Zeit für ihre Patienten hätten. Aber sicherlich gibt es auch viele Arbeiten, die nicht glücklich machen – teils aus objektiven Gründen, teils aus subjektiven. Die Arbeit muss zur Persönlichkeit des Arbeitenden passen und ihre Ausübung muss ihn innerlich befriedigen – und zwar die Arbeit an sich, nicht nur der finanzielle Lohn dafür. Wer merkt, dass ihn seine Arbeit unglücklich und auf Dauer kaputt macht, der muss sie wechseln, auch wenn das oft schwierig ist.
Das Grundeinkommen würde ja eben das erleichtern.
Ja, und deswegen bin ich ja auch nicht völlig gegen ein Grundeinkommen. Es würde sicherlich die Angst, eine Arbeitsstelle zu kündigen, deutlich senken, weil man danach nicht schnell in eine prekäre Situation käme. Und umgekehrt würde das den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen, wirklich gute Arbeit anzubieten: attraktive Arbeitsbedingungen, anständige Löhne.
Sie kritisierten eingangs das Grundeinkommen als ungerecht. Warum?
Weil diejenigen, die nicht arbeiten, letztlich immer auf Kosten derjenigen leben, die arbeiten. Ein Grundeinkommen verletzt das Prinzip der Gegenseitigkeit: Es ist ein Recht ohne Pflichten, eine in Anspruch genommene Leistung ohne erbrachte oder zu erbringende Gegenleistung. Erbracht werden müssen die Leistungen jedoch trotzdem – und zwar letztlich von denjenigen, die arbeiten. Das System funktioniert nur, solange ein Großteil der Bürger weiterhin einer Arbeit nachgeht. Will ein Großteil der Bürger nur noch vom Grundeinkommen leben, kollabiert das System. Insofern ist das oft verwendete Attribut „bedingungslos“ irreführend, denn die Bedingung ist, dass nicht jeder ausschließlich vom Grundeinkommen lebt, sondern ausreichend viele weiterhin arbeiten und so das System am Leben erhalten.
Wenn das Grundeinkommen komplett über Abgaben auf Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung finanziert würde, wäre es dann immer noch ungerecht?
Das wäre sicherlich eine interessante Variante. Allerdings bliebe die Ungerechtigkeit bestehen, dass Grundeinkommensbezieher von der Arbeit anderer profitieren, während sie selbst keinen Beitrag leisten. Ein Grundeinkommen kann ich mir im Moment nur innerhalb eines Modells vorstellen, in dem weiterhin die Erwerbsarbeit im Mittelpunkt steht. Eine Möglichkeit wäre ein Grundeinkommen als Kompensation für längere Auszeiten im Rahmen eines neuartigen Arbeitsvertrags.
Herr Vašek, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Buchtipp
Thomas Vašek
Work Life Bullshit
Warum die Trennung von Arbeit und Leben in die Irre führt
Riemann, September 2013
288 Seiten, 16.99 Euro
978-3-570-50153-5