„Neoliberale Fehlentwicklungen würden bleiben “
15. Februar 2017
Ist ein Grundeinkommen die schlüssige Antwort auf das Verschwinden der Arbeit durch Digitalisierung und Automatisierung? Oder verschwindet die Arbeit aus ganz anderen Gründen, auf die mit ganz anderen Maßnahmen zu antworten wäre?
Interview mit Gerd Zeitler
ÖkologiePolitik: Herr Zeitler, warum sind Sie gegen ein Grundeinkommen?
Gerd Zeitler: Weil die Idee des Grundeinkommens von einem falschen Wirtschaftsverständnis ausgeht. Die Befürworter meinen, die klassische Erwerbsarbeit für alle sei ein Auslaufmodell, weil menschliche Arbeit immer mehr durch Digitalisierung und Automatisierung ersetzt wird. Diese Annahme ist aber falsch. Denn der Rückgang existenzsichernder Arbeitsplätze ist das Ergebnis unseres neoliberalen Wirtschaftssystems, eines Systems, das sich von der Maxime gesellschaftlicher Wohlfahrt verabschiedet hat. Diese Entwicklung ist nicht „alternativlos“, wie gerne suggeriert wird, sondern wird von dem entfesselten Expansions- und Gewinnstreben einer einflussreichen industriellen Minderheit angetrieben – auf Kosten der großen Mehrheit und der Umwelt. Die Forderung nach einem Grundeinkommen lenkt von dieser Fehlentwicklung ab und trägt nichts zu ihrer Korrektur bei. Im Gegenteil: Es würde die Entsolidarisierung legitimieren, weil sich dann jeder ohne Not vom noch arbeitenden Teil der Gesellschaft aushalten lassen könnte, ohne selbst einen Beitrag zu leisten. Besonders für die nachwachsende Generation wäre das ein fatales Sig-nal. Vor allem aber würde es den Willen zur Veränderung lähmen und damit das bestehende System stabilisieren.
Was läuft denn eigentlich genau falsch in unserer Wirtschaftspolitik?
Die industriellen Akteure sind sehr erfolgreich darin, ihre Doktrin der Deregulierung zu verbreiten, die sie beschönigend als „Liberalisierung“ bezeichnen. Das ist die Grundlage für den Verdrängungswettbewerb, der auf offenen globalen Märkten ausgetragen wird. Dieser Wettbewerb, den auch Deutschland bewusst anheizt – Stichwort: Exportweltmeister –, zwingt uns, unsere Produktionskosten mittels Zentralisierung der wirtschaftlichen Strukturen sowie sinkender Löhne, Sozial- und Umweltstandards einem Weltniveau anzupassen, das von Ländern vorgegeben wird, die das skrupelloseste Dumping betreiben. Indem die Unternehmen einen Teil ihrer Kosten auf Gesellschaft und Umwelt abwälzen, erzeugen sie eine Scheinproduktivität, die das Ausmaß der gesellschaftlichen und ökologischen Beschädigungen verdeckt. In diesem Prozess werden lokale und regionale Wirtschaftsstrukturen zunehmend zerstört. Unterbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und Ungleichverteilung nehmen zu, Steueraufkommen und Kaufkraft sinken. Die Volkswirtschaft gerät in eine Abwärtsspirale. Ein Gleichgewicht aus Produktivität, Löhnen und Kaufkraft existiert nicht mehr: Bei steigender Produktivität lässt sich die Gleichverteilung des sinkenden Arbeitsvolumens nicht mehr durch Arbeitszeitverkürzungen aufrechterhalten und die Wirtschaftskreisläufe lassen sich nicht mehr durch Lohnerhöhungen stabilisieren. Ich nenne diese Entwicklung einen „neoliberalen Teufelskreis“. Wie jeder im Alltag beobachten kann, gibt es einerseits einen massenhaften Anstieg erzwungener Untätigkeit, andererseits können zahllose Arbeiten von hoher sozialer und ökologischer Bedeutung nicht mehr oder nur noch zu Dumpinglöhnen erledigt werden, weil sie aus öffentlichen Kassen nicht finanzierbar und privatwirtschaftlich unrentabel sind.
Entstünde bei einem Ausstieg aus dem „neoliberalen Teufelskreis“ Vollbeschäftigung?
Ja, wenn bei sozialökologischer Regelung und Steuerung zwei Voraussetzungen erfüllt wären: Die produktiven Unterschiede von Handelspartnern müssten primär durch Wechselkurse neutralisiert und die binnenwirtschaftliche Wertschöpfung zwecks allgemeiner Teilnahme und Teilhabe dezentralisiert werden. Dann wären sowohl ein allseits gewinnbringender Welthandel als auch eine leistungsgerechte Gleichverteilung von Arbeitsvolumen und Einkommen unter der Erwerbsbevölkerung ermöglicht. Produktivitätszuwächse ließen sich grundsätzlich für steigende Löhne oder für kürzere Arbeitszeiten nutzen, wären also beschäftigungsneutral. Mittels autonomer Steuerung könnten die wirtschaftlichen Kreisläufe immer wieder in ein Gleichgewicht aus Produktivität, Löhnen und Kaufkraft gebracht werden.
Welche konkreten Maßnahmen sind denn am wichtigsten, um dem „neoliberalen Teufelskreis“ zu entkommen?
Die Wechselkurse müssten in bilateralen Handelsverträgen vereinbart und durch gegenseitig zugestandene Autonomie für Importzölle und Handelskontingente ergänzt werden. Damit könnten Handelspartner ihre Importe dazu nutzen, ihre innovativen und produktiven Fähigkeiten im Binnenwettbewerb konstruktiv zu stimulieren. Der Welthandel könnte qualitatives Wachstum und Fortschritt induzieren und wäre zudem für alle Länder gewinnbringend. Im Innern müssten die Unternehmen durch eine dynamische Besteuerung nach dem Kriterium der produktionstechnischen Möglichkeiten laufend in dezentrale Strukturen gezwungen werden.
Was wäre, wenn das Grundeinkommen komplett über Abgaben auf Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung finanziert würde?
Ich denke, diese beiden Dinge haben nichts miteinander zu tun und wir sollten sie völlig getrennt voneinander betrachten und bewerten. Das unsolidarische Verhalten, zu dem ein Grundeinkommen ermuntert, würde seine zersetzende Wirkung auch durch eine ökologisch sinnvolle Finanzierung nicht verlieren. Ökologische Abgaben sind aber natürlich absolut notwendig, damit sich unsere Marktwirtschaft zu einer sozialökologischen Marktwirtschaft entwickelt.
Herr Zeitler, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.