„Für Mütter ist es schwerer geworden“
12. Januar 2017
Heutige Mütter sind in einer Zwickmühle: Bleiben sie zu Hause, gilt das als Verrat an der Emanzipation. Gehen sie früh und mit hoher Stundenzahl arbeiten, vernachlässigen das Wohl ihrer Kinder. Deshalb werden sie ständig von verschiedenen Seiten bevormundet und angefeindet. Zwei mehrfache Mütter schrieben darüber gemeinsam ein Buch und sorgten damit in diesem Jahr für Aufsehen.
Interview Alina Bronsky und Denise Wilk
ÖkologiePolitik: Frau Bronsky, Frau Wilk, was genau verbirgt sich hinter der „Abschaffung der Mutter“?
Alina Bronsky, Denise Wilk: Wir haben unter diesem Begriff unsere Beobachtungen zusammengefasst, dass Mütter heutzutage in vielen Bereichen als unwichtig, inkompetent und leicht ersetzbar gelten. Uns allen wird vermittelt, dass Frauen einerseits Kinder bekommen müssen, sich aber – überspitzt formuliert – nicht um sie kümmern, sondern die Erziehung möglichst bald vermeintlichen Fachleuten überlassen sollen.
Welchen Herausforderungen und Hürden sehen sich Mütter heutzutage gegenüber?
Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Grundsätzlich ist es für Mütter schwerer geworden, sich kompetent und verantwortlich zu fühlen. Schon in der Schwangerschaft haben es Frauen schwer, sich gegen die entmündigende Vorsorge und wissenschaftlich unbegründete Überkontrolle zu behaupten. Kindererziehung wird als akademische Disziplin dargestellt, in der die Mutter angeblich nur scheitern kann, sofern sie nicht ausreichend Kurse und Workshops belegt hat. Und dann werden Frauen unter Druck gesetzt, zu einem Zeitpunkt in den Beruf zurückzukehren und Kinder fremdbetreuen zu lassen, der vielen eigentlich verfrüht erscheint.
War die Situation früher anders?
Wir behaupten nicht, dass früher alles besser war. Jede Zeit hatte ihre Schwierigkeiten. Mütter standen schon immer unter Druck. Vieles war aber selbstverständlicher, die mütterliche Kompetenz wurde nicht so automatisch angegriffen, wie es heute passiert. Wir haben das selbst erlebt. Selbst als unsere ältesten Kinder zur Welt kamen, noch vor 20 bis 15 Jahren, wurde die Mutter weniger infrage gestellt.
Welche Themen Ihres Buches sind Ihnen besonders wichtig?
Uns ist das Gesamtpaket wichtig. Wir haben ganz unterschiedliche Aspekte der Mutterschaft untersucht, um zu zeigen: Alles gehört zusammen. Am Ende stehen viele Mütter schlechter da als noch vor wenigen Jahren.
Gesellschaftlicher Konsens scheint mitunter, der Vater solle sich mehr an der Erziehungsarbeit beteiligen, die Mutter wiederum schneller in den Beruf zurückkehren und mehr Wochenstunden arbeiten. Ihre Meinung?
Wir finden diese Regulierungswut bis ins Private hinein übergriffig. Viele Umfragen zeigen, dass das in der Frage angesprochene Ideal eher in wenigen Familien gelebt wird. Wir glauben: Jedes Paar soll seine Aufgabenteilung selbst regeln. Manche Familien sind mit 50/50 glücklich, andere entscheiden sich dafür, dass die Mutter in den ersten Jahren den größeren Beitrag zur Erziehung leistet, manche leben gar den totalen Rollentausch. Wir sind alle unterschiedlich und passen nicht in die gleiche Schublade.
Das Stillen im öffentlichen Raum bleibt ein Dauerthema. Erst im Februar sorgte eine Mutter medial für Aufsehen, die in ihrer Online-Petition ein Gesetz zum besseren Schutz des Stillens fordert.
Wie beurteilen Sie die Debatte?
Wir finden es schrecklich, welche aufgestauten Aggressionen gegenüber Müttern kleiner Kinder sich durch so eine Selbstverständlichkeit Damm brechen. Kinder haben ein Recht darauf, gestillt zu werden. Mütter haben ein Recht darauf, sich mit ihren Kindern frei zu bewegen und in öffentlichen Räumen aufzuhalten. Die Gehässigkeit, die gerade Frauen mit Brustkindern entgegenschlägt, als würden sie etwas Obszönes praktizieren, empfinden viele Mütter zu Recht als bedrohlich. Wir sind dafür, das Recht auf ungestörtes Stillen gesetzlich zu verankern – wie etwa in Großbritannien durch den Equality Act.
Wie sollte der Umgang mit Müttern in unserer Gesellschaft konkret gestaltet sein? Was muss sich ändern?
Das kann man nicht in wenigen Sätzen beantworten. Manches lässt sich schwer, anderes relativ schnell umsetzen. Wir sind zum Beispiel für eine Stärkung der Geburtshilfe durch Hebammen, weil selbstbestimmte Geburten ein besserer Start in eine selbstbestimmte Mutterschaft sind. Wir sind für ein Betreuungsgeld in den ersten drei Jahren, das diesen Namen auch verdient, damit Familien die Wahl haben, ob sie die Kleinsten zu Hause betreuen oder in eine Einrichtung geben. Wir sind grundsätzlich gegen Ausgrenzung, für Rücksicht und Offenheit, auch für den Gedanken, dass Kinder nicht automatisch eine Bürde sind, sondern Bereicherung und Glück.
Frau Bronsky, Frau Wilk, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Das Interview führte der Verlag und darf hier mit dessen freundlicher Genehmigung veröffentlicht werden.
Onlinetipps
Interview mit Alina Bronsky
„Sich Hausfrau zu nennen, hat etwas Revolutionäres“
Spiegel, 12.03.2016
http://tinyurl.com/hs5ukav
Interview mit Alina Bronsky
„Mütter können heute nur alles falsch machen“
Brigitte, 11.03.2016
http://tinyurl.com/hkygx3z
Buchtipp
Alina Bronsky, Denise Wilk
Die Abschaffung der Mutter
Kontrolliert, manipuliert und abkassiert –
warum es so nicht weitergehen darf
DVA, März 2016
256 Seiten, 17.99 Euro
978-3-421-04726-7