Straßenbahn in der Münchner Maximilianstraße – Foto: Christian Wenger, 1989

Gesellschaft & Kultur

„Die Straßenbahnen haben mich fasziniert“

Diesen Beitrag teilen

Heimat – persönliche Erfahrungen I: Normalerweise denken wir nicht viel über Heimat nach. Denn sie ist einfach da. Doch was ist, wenn wir die alte verlassen und uns in einer neuen niederlassen? Einwanderer können deshalb viel über Heimat sagen. Wie war das für eine Engländerin, die zum Studieren nach Bayern kam und blieb?

Interview mit Charlotte Schmid

 

ÖkologiePolitik: Frau Schmid, seit wann leben Sie in Deutschland?

Charlotte Schmid: In einem Vorort von London aufgewachsen, kam ich 1999 als Austauschstudentin von Oxford nach München und durfte im Maximilianeum wohnen. Das war sehr angenehm und ich bekam ein extrem geschöntes Bild von Deutschland – was mich dazu bewog, hier zu bleiben. Das Bild wurde dann im Lauf der Jahre immer realistischer. Und das war ein Grund, mich politisch zu engagieren.

Was war der Grund, sich in München niederzulassen?

Eine ganz neue Kultur, eine herausfordernde neue Sprache – das waren schon zwei gute Gründe. Ausschlaggebend aber waren die Straßenbahnen. Die gibt es in London nicht. Die haben mich fasziniert. Und das tun sie bis heute. Auch wenn ich inzwischen aus München in die kleine Umlandgemeinde Poing gezogen bin, um dort ein etwas entspannteres Familienleben zu haben.

Fühlen Sie sich heute heimisch?

Ich fühle mich hier prinzipiell wohl. Ich werde akzeptiert und fühle mich nicht wegen meiner Herkunft ausgeschlossen. Lustigerweise ertappe ich mich hin und wieder bei Urlaubsgefühlen, wenn ich etwas wahrnehme, was ich zwar seit über 20 Jahren kenne, was mir aber trotzdem irgendwie fremd ist.

Wie lange dauerte es, bis Sie sich heimisch fühlten?

Das hat rund 10 Jahre gedauert. In der kleinen Gemeinde Poing lebten damals überwiegend Alteingesessene und nur wenig Zugezogene – und erst recht wenig Ausländer. Es war zu spüren, wer als einheimisch und zugehörig angesehen wurde – und wer nicht. In München hätte ich mich wahrscheinlich viel schneller heimisch gefühlt, weil dort viele Ausländer leben und das zur Normalität gehört.

Was war schwierig? Was war dabei wichtig?

In Deutschland gibt es nicht nur eine andere Sprache, sondern andere Sitten, andere soziale Erwartungen, andere Selbstverständlichkeiten. Das musste ich alles Schritt für Schritt erlernen. Ich musste nicht nur den Alltag meistern – was schon schwer genug ist! –, sondern mich ständig anpassen, weil hier vieles anders ist, als ich es als Kind gelernt habe. Dabei sind sich England und Deutschland in manchen Hinsichten sehr ähnlich. Ich kann mir vorstellen, dass es für Menschen aus einer ganz fremden Kultur sehr schwierig sein kann, sich einzuleben. Ich unterscheide „heimisch werden“ und „sich heimisch fühlen“: Das eine ist die Fremdwahrnehmung, das andere die Selbstwahrnehmung. Beide sind wichtig.

Wie wichtig ist die Sprache?

Sehr wichtig! Wie soll man sonst in eine Gesellschaft integriert werden? Man sieht bei Kleinkindern, wie frustriert sie werden, wenn sie sich nicht ausdrücken können. Diese Frustration erfährt man kurzfristig im Urlaub, aber lang anhaltend, wenn man sich in einem fremden Land niederlässt. Anfangs war es mir auch unangenehm, dass ich wegen meines Akzents nicht als gebürtige Deutsche „durchgehen“ konnte. Inzwischen habe ich meine Einstellung geändert: Meinen Akzent betrachte ich nun als einen Teil von mir, als etwas, was mich ausmacht.

Was betrachten Sie noch als Ihre Heimat?

Meine geistige Heimat ist die Michaelskirche in München. Dort singe ich seit vielen Jahren im Chor und schätze als Anglikanerin die geistige Offenheit der Jesuiten. Seelische Heimaten habe ich mehrere: Die Musik ist sicherlich eine. Auch Taekwondo, bei dem ich das Gefühl von Community und Zielstrebigkeit mag. Ganz wichtig ist mir die Freude an meinen Kindern und am Zusammenhalt innerhalb meiner Familie. Und meine politische Heimat ist natürlich die ÖDP. Der Europawahl-Slogan „erstaunlich ehrlich“ bringt ihren Charakter auf den Punkt.

Welche dieser Heimaten ist Ihnen am wichtigsten?

Die Mischung macht es, sie verleiht Perspektive und Ausgeglichenheit. Aber wenn alle Stricke reißen, ist mir meine Familie am wichtigsten.

Frau Schmid, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.